Читать книгу Johanna verrückt die Geschichte - Sönke Bohn - Страница 15
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Am Abend setzt sich Liesel oben auf ihre Bettkante. Ausschnaufen, klagen. Womit habe ich das verdient! Vater kann mich nicht eine Minute in Ruhe lassen. Immer will er dieses, dann jenes, immer sofort und immer genau so, wie er es will. Wie hat Mama das nur ausgehalten! Immer muss er mir zeigen, dass ich ihm gehöre, und mit mir zusammen auch alles, was mir gehört, Walter einmal beiseitegelassen, da traut er sich nicht ran. Und Hannchen – sie war so süß und wird nun immer öfter so eine Göre; wie undankbar sie sein kann! Warum tut sie mir das an? Ich hätte Mama sowas nie angetan. Wo sie das wohl herhat?! Und ich sitze hier und rackere mir die Seele aus dem Leib, während diese Luder aus der Straße sich mit ihren Männern vergnügen und auch noch drüber prahlen. Und dann Frau M. mit dem Paketboten. Schande. Und ihre Kinder lässt sie tun, was sie wollen. Wie die rumlaufen. Ich will anständige Kinder. Meine Johanna. Aber die Ohrfeige, die ich ihr verpasst habe, die tut mir schon auch weh, sie brennt. Ich geh noch mal zu ihr, vielleicht schläft sie ja noch nicht, sie muss mir verzeihen. Sie muss mir in die Augen schauen und mir vertrauen und mir verzeihen. Wir gehören doch zusammen. Sie hat ja keine Ahnung, was es heißt, den ganzen Tag auf Trab zu sein; dies hier, das da, immer ohne Pause und Ruhe. Und das dreht sich die ganze Zeit um Essen und Trinken, fressen und saufen. Wie Mastgänse. Wie kotzt mich das an! Kein „Danke“. Nach mir fragt keiner.
Ach, könnt ich doch jetzt schon mit Ruth telefonieren. Das ist zu anstrengend, eine anständige Frau, eine gute Mutter und eine gehorsame Tochter zu sein. Wie soll das gehen, gleichzeitig? Wo bleib denn ich? Wer fragt nach mir? Die Sassner, na, keine Kinder, und da hat sie natürlich Zeit für dieses Rumgeschminke. Ordinär!
Und dann dieses schimmernde Blumenkleid, rot, weiß und schwarz, wie unsere Farben, damals! Und sie jetzt an einem ganz normalen Donnerstag! So kann eine Mutter nicht aussehen, das ist ja nur für Männeraugen. Was macht sie nur den ganzen Tag? Keine Kinder. Was will der Mann mit ihr! Seine Eltern oder ihre Eltern – die waren noch nie zu Besuch. Das hätte ich dann schon gesehen. Besuch gibt’s da nicht viel. Die sind fast immer alleine. Diese Matrone! Was diese Frauen nur mit ihren Männern machen. Pfui! Und keine Kinder. Nur Frau Birnling, die übertreibt dann aber auch. Wann ist die eigentlich nicht schwanger! Schon sechs Kinder. Wie die Kaninchen treiben die es. Ach, könnt ich doch nur schon Ruth anrufen. Wieso muss sie so weit weg wohnen! Wenn sie doch zu mir kommen könnte. Mich in den Arm nehmen, so wie ich sie, damals, bei den Maiden. Was war das schön, wir junge Frauen, so ganz unter uns. Die schneidigen Männer, die uns unsere Arbeit tun ließen und uns keine Blicke nachwarfen. Da hatten wir Uniformen. Uniformen und Respekt. Und flott sah das aus. Als ich Ruth die Knopfleiste geraderücken konnte, kurz an ihrem Schlips ziehen und ihr einen verschworenen Blick zuwerfen konnte. Und wir uns in die Augen strahlten. Und nun heißt es: folgen, gehorchen, vorangehen, immer nur auch als Tochter nur Mutter sein. Keine Kameradschaft. Und keiner merkt, was für ein Opfer ich bringe.
Mal gucken, ob die Kleine schon schläft.