Читать книгу Johanna verrückt die Geschichte - Sönke Bohn - Страница 6

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Johanna, neunjährig und damit nach verbreiteter Sichtweise gewiss noch ein Kind, hat sich soeben eine Tüte goldbrauner Fritten gekauft und schlendert, die mit roter und gelber Sauce betunkten Stängelchen herauspickend, den sanft ansteigenden Deich hinauf. Wolf, Klaus und Tine – ein Hund und zwei „Erwachsene“ – sind schon ein Stück voraus, der Hund am weitesten. Auf der Deichkrone angekommen hält Johanna inne, blickt auf und späht über die weite, endlose Fläche. Sanfter, warmwürziger Wind weht ihr entgegen. Sie schließt die Augen, atmet die Unendlichkeit tief ein. Das darf bis in die Kniekehlen und Fußspitzen hinunterrieseln; sie streicht ein paar wenige, kitzelnde Haarsträhnen aus dem Gesicht. In dem Windhauch hört sie etwas von hinten auf sich zukommen. Sie öffnet die Augen und blinzelt in das glitzernde Licht.

Da, der Junge, der eben noch hinter ihr in der Reihe gestanden hatte, kommt den grünen, mit spitzem, kurzem Gras bewachsenen Hang hinaufgelaufen, überholt sie und stellt sich vor sie hin. Dann stampft er etwas ungelenk kurz auf den Boden, spuckt ihr vor die Füße, streckt ihr den Arm fast in die Nase und ruft „Heijel Hietler“.

Anschließend rennt der kleine Held, fast ein wenig panisch Land gewinnend, den Hang ein Stück weit wieder hinunter. Dann bleibt er kurz stehen, nestelt etwas an seinen Sandalen, um dann, fröhlich hüpfend, seine Eltern zu erreichen.

„Sowas! Die sind aber komisch in Holland!“

Klaus und Tine, kinderlos, haben Johanna für zwei Wochen zu sich genommen. Johanna, als kleine, nachgekommene Cousine, ist gut zu haben, hilfsbereit und hört sehr gerne alle möglichen Geschichten, die Klaus tagtäglich unermüdlich erzählt. Er hat viel zu erzählen, aus dem richtigen Leben. Klaus ist ständig unterwegs und kennt die Leute. Wie die wirklich so sind, das heißt, was sie anstellen und was ihnen passiert. Spannend, dass der Feuerteufel selbst bei der Feuerwehr gearbeitet hatte; erst zündeln – dann löschen. Irgendwie kennt sie das, aus der Schule. Im Rechnen werden da auch erst Probleme erfunden, schreckliche Textaufgaben, und dann ernsthaft gelöst.

Für Tine, Klaus’ Frau, ist es mit Hannchen – einer ihrer Kosenamen – weniger langweilig als sonst, sie wartet dann nicht den halben Tag auf ihren Klaus, Heftchen blätternd, Nägel, Wimpern und Brauen pflegend, ihre schönen vollen Lippen um den eher kleinen Mund in einer Auswahl von wechselnden Rottönen hervorhebend, ihre Taille und täglich auch das Gewicht messend. Sie hört gern, was die schnatterlustige Johanna so alles von sich gibt, aus der Schule, von zu Hause, was sie so aufschnappt aus der Welt, von draußen. Hier und während der Ferien ist sie eine unglaubliche Plappertasche. Was so ein Kind alles aufschnappt, mitbekommt, worüber es sich seine Gedanken macht – manchmal mag Tine es gar nicht fassen! Wie sie die Nachbarn betrachtet, was sie über die denkt, eine wilde Mischung aus Beobachtungen, Gerüchten, Getratsche, immer mit einem Unterton der Verwunderung. Und dann, wer mit wem was zu tun hat, Streit hat, jemanden mag und sogar schon unter einer Decke steckt, heimlich. Und wer welche Geheimnisse hat, peinliche, wohlgemerkt. Die Erwachsenen tun ja oft nur so. Die Kinder der Nachbarschaft tauschen sich ziemlich unbefangen aus, machen auch ihre eigenen Nachforschungen. Zu dieser Zeit laufen die Grenzen mehr zwischen jung und alt als zwischen den Familien. Und: Die Kleinen dort halten ziemlich zusammen; also Sippenehre, die ist nicht so wichtig, eher Kinderehre; wer welche krassen Dinge bei den Erwachsenen entdeckt hat, und dass die alle unterschiedlich dolle einen an der Waffel haben. Johanna erzählt das alles. Johanna hält dauernd die Ohren und Augen offen, guckt sich die Leute an und die merken es oft gar nicht richtig. Bei Klaus und Tine badet und sonnt sie sich darin, Aufmerksamkeit geschenkt und vor allem von Tine so viel Gehör zu bekommen.

Tine hat wenig zu erzählen – und eher wenig auch zu sagen. Gern redet sie von Klaus, sehr gern sogar. Klaus ist ihre Welt, ist mein Klaus. O du, mein Klaus. Mit ihr zusammen hat er fast immer gute Laune. Und für Klaus ist sie die süße, ergebene bessere Hälfte – die viel Schlimmes, das er sehen und hören muss, lindert – wirklich seine Schöne, seine heile Welt.

Tine kocht nicht schlecht, auch das macht für drei mehr Spaß als für zwei. Hausmannskost, Kartoffeln mit Fleisch und etwas Gemüse und Soße, braune oder helle, – aber: lecker. Maggiwürze ist auch drin, eigentlich immer. Vor dem Essen muss sie sich ordentlich die Hände waschen, immer. Eigentlich ist es egal, was es gibt – Hauptsache, es ist nicht zu abwechslungsreich und schmeckt immer nach Tine. Sie essen abends, nach dem Spaziergang oder einem kleinen Ausflug.

Für Johanna ist es richtig klasse, jüngere Leute als ihre doch schon ganz schön alten Eltern mitzubekommen – und dazu diese Geschichten. Das schreibt sie so ihrer Freundin Brigitte; sie ist stolz auf ihre Vizeeltern.

Ihr Papa zu Hause erzählt wenig von der Arbeit oder seinen Erlebnissen. Die sind wohl nicht so interessant. Viel aber von dem, was er alles so weiß – und er weiß richtig viel, von Kaisern und Kriegen, allen möglichen Sachen, die früher mal passiert sind, überall auf der Welt. Wahrscheinlich weiß er alles, was nach der Eiszeit passiert ist. Als ob er überall mit dabei gewesen wäre. Das sind dann wohl doch seine Erlebnisse.

Klaus hingegen erzählt wirklich immer gerne von seiner Arbeit, von den Leuten und was ihnen so passiert. Ist immer auch lustig, mindestens ein bisschen, selbst wenn‘s um richtig schlimme Sachen geht. Es gibt immer eine Pointe, bei der man sich schlapplachen kann, Klaus vorneweg. Er ist bei der Feuerwehr. Manche Leute haben richtig viel Pech, eigentlich gute Leute, feine Leute, aber mit Pech, dann gibt es auch die richtig Dummen, die ganz blauäugig und ahnungslos die volle Katastrophe selbst in Gang bringen, und dann auch mal Kriminelle, Erzschlingel sozusagen, echte Bösewichte. Da kommt dann auch die Polizei – seine besten Freunde sind bei der Polizei. Und die haben erst zu erzählen! Klaus ist voll drin im Geschehen.

Von dem, was Johanna von Klaus hört, hört sie in der Schule erst mal gar nichts. Zu ihrem Verdruss! Und schon das macht sie auch ein wenig misstrauisch.

Ein kleines Ersatzzipfelchen fürs echte Leben sind die „vermischten Meldungen“, die Rolf, ihr Bruder, gerne aus der Zeitung vorliest, „letzte Seite“. Die lesen, komisch, alle immer zuerst. Das ist eben interessanter als Textaufgaben oder die Heimatkunde, bei der es um Deichhöhen, Landgewinnung und Polder geht. Das ist ja auch mal auch ganz interessant, das kann man schon auch wissen sollen, aber ehrlich: nichts gegen diese Geschichten!

Letztens mussten sie ausrücken, hat Klaus erzählt, da ist einem Bauern seine ganze Scheune runtergebrannt und der Stall dazu, Heu und Stroh für den ganzen Winter, der Stall war grad daneben, und da mussten sie spät abends in der Dunkelheit erst mal alle Tiere rauslassen; die waren völlig außer sich, nichts als Angst und Panik, Gemuhe und Gegrunze, so muss das wohl auch im Krieg gewesen sein, das kennen die Alten ganz gut. Das geht also wahnsinnig schnell, und: Stroh qualmt zuerst wie wahnsinnig, mit einer frischen Brise brennt’s dann aber richtig gut! Die alten Bauersleute hatten gleich ihre Rinder losgebunden und aus dem Stall gejagt, dann auch die Schweine. Die werden dann richtig gefährlich, wenn die durchdrehen. Als Klaus dann anrückte, mit zwei Fahrzeugen mit 5000 Liter und einem großen Löschzug mit fast 20 000 Litern, da kamen ihnen die Tiere schon auf der Straße entgegen. Volles Durcheinander. Panik. Und dann war das Feuer schon übergesprungen: Stall und Scheune, der Wohnteil am Stall dran, alles verbunden, so ein Aussiedlerhof. Da muss man sich schnell entscheiden, da geht es um Minuten, manchmal um Sekunden. Erst die Menschen, dann die Tiere, dann das Wohnhaus. O Mann, o Mann! Und da kannst du nicht einfach mit dem Wasser draufhalten. Erfahrung zählt, nachdenken! – sonst macht das Wasser auch noch das kaputt, was das Feuer nicht geschafft hat!

Die Bauersleute waren ganz verstört, fast zwanzig lange Jahre aufgebaut – und nun in einer Viertelstunde alles weg. Da muss man erst mal mit klarkommen! Alle wollen natürlich helfen, freiwillige Feuerwehr und so, alles, was Beine hat, will helfen. Da müssen dann klare Ansagen gemacht werden, sonst geht’s schief. Die Alten kennen das ja auch noch vom Krieg, hilft ihnen aber auch nichts mehr, konnten aber noch was retten, Fotoalben und den Rentenbescheid, was man so mitnimmt. Und wenn dann gut vier Dutzend Leute nach und nach aufkreuzen, musst du auch gucken, dass niemand im Weg steht und jeder seine Aufgabe hat. Licht machen, Leute trösten. Da kommt dann alles, was Schläuche und Eimer hat, und – na klar – Beine. Und Wasser alleine tut’s auch nicht. Die Öltanks musst du abdecken, mit Schaum. Ach, und der Klaus kann das so toll erzählen, du hast immer das Gefühl, du bist dabei und kannst den Qualm riechen. Das alles, auch wenn’s ganz schlimm ist, immer voll lustig. Da war eine Kuh rausgelaufen und voll ins Fußballtor auf dem Bolzplatz neben dem Hof, ist alles zusammengekracht und die lag dann wie so ein großer Butt im Netz, zappelte und kam gar nicht wieder auf die Beine. Ist auch gefährlich sowas, lachen muss man trotzdem. Die arme Kuh! „Lass sein, das arme Schwein“, sagt Klaus, fast mit Tränen in den Augen.

Klaus ist einfach eine Stimmungskanone, immer ein großer Freund, nicht wie die beiden Brüder, die immer wissen, was richtig ist und was nicht, und auch ganz anders als der Papa.

Im Auto singt Klaus an jeder Ampel inbrünstig gegen den lauten Käfer-Motor an, ganz laut also, am liebsten irgendwelche italienische Arien, aus Operetten. Johanna findet das ziemlich lustig. Manchmal ist es ihr auch etwas peinlich, so an der Ampel, weil sie befürchtet, die anderen Autofahrer oder irgendwelche Fußgänger könnten das mitbekommen. Nicht weil sie dann mitsingen würden, das wäre ja noch lustig. Vielleicht würden sie dann denken, er wäre betrunken, was er ja gar nicht ist. Er ist einfach so. Papa singt nie. Klaus redet auch mit den anderen Autofahrern, meistens aber nur über sie, Ausdrücke und so was. Auch wenn oder weil sie ihn nicht hören, besser so. „Du Brit“, sagt er dann oft. Er sitzt sehr nah an seinem Lenkrad, in Bissnähe, sozusagen.

Klaus nennt seine Tine „mein Püppi“.

Wenn er von Wolf spricht, wird er ganz weich und ruhig. Hunde sind so treu. So viel zu Klaus und Tine.

Heute stand aber eben dieser Ausflug auf dem Ferien-Programm, rüber nach Holland. Erst im Auto, Klaus hat eben so einen Kugelporsche, bis an die Mole, Parkplatz suchen, kleines Schwätzchen mit dem alten Mann, der erst kurz mit der Zunge den Daumen leckt und dann einen kleinen Zettel von seinem Block am Bauchladen abreißt. Den soll Klaus vorne ins Auto legen, gut sichtbar.

Dann wurde etwas herumgeschlendert, Hafenduft mit Möwengeschrei, hier und da gibt’s Fritten, und auch Matjes, kleine Kioske mit ganzen Säcken voll Muscheln und Schnecken, Stände mit kleinen, glänzenden Plastikfähnchen aus fast aller Welt. Portugal hat richtig schöne, tolle Farben. Dann geht’s an Bord, Übersetzen mit der Fähre, Inselbesuch.

Unter der Woche darf Hannchen Tine ein wenig im Haushalt helfen, abtrocknen, morgens frische Brötchen holen und die Zeitung aus dem Briefkasten angeln, ganz selten mal auch andere kleine Besorgungen machen, und, wenn es dann nach dem Frühstück bald unweigerlich langweilig wird, sich auf das braune Sofa setzen und in den vielen bunten Heftchen vom „Lesering – jeden Donnerstag neu“, blättern. Erst mal die „Praline“, dann „Wochenend“, oder umgekehrt. Es gibt schier nicht viel anderes zu tun, die Wohnung ist übersichtlich, super aufgeräumt, zum Sich-Zurechtmachen ist Johanna noch zu klein. Also anno dunnemals war das zumindest so. Die Zeit, wo auch kleine Mädchen Nagellack auftragen dürfen, ist noch in weiter Ferne, das wäre zu anzüglich, das macht man einfach nicht. Darum also Heftchen blättern. Oder Mama, aber besser noch Oma mal ’ne Karte schreiben, mit einer Briefmarke des Herrn Bundespräsidenten Heinrich Lübke. Lübke! Na, das ist toll, oder?

Zu Hause bei den Eltern liegt so ein „Schund“, wie Mama sagen würde, nicht herum, das würde nicht so passen, halbnackte Mädchen und Frauen mit prallen Brüsten, dass die Knöpfe fast aufspringen und Männer mit Pilotenbrillen und Schulterklappen auf den halboffenen Hemden, „Bildergeschichten“. Klaus und Tine würden sich das auch nicht so am Kiosk kaufen, es ist halt im Paket vom Lesering mit drin und für Johanna dann doch interessanter als Familientratsch aus irgendwelchen europäischen Adelshäusern oder kein Radio zu hören, denn das verträgt Tine nicht. Diese Herzchen-Geschichten sind dann nicht so adelig, wirklich in keiner Hinsicht, eher sogar peinlich, aber irgendwie schon auch ganz interessant. Johannas „Einweisung“, sonst erfährt sie nicht so viel darüber, wie das ist, wenn es so heftig knistert zwischen den Frauen und den Männern. Bisher hat sie nur mitbekommen, dass Mama das nicht so toll findet, wenn’s die Frauen in der Nachbarschaft zu dolle treiben, was auch immer das sein mag. Denn was das genau heißt, davon hat sie keine klaren Vorstellungen. Dass Männer den Frauen hinterhersteigen, ja, davon hat sie schon auch gehört, aber umgekehrt? Frauen, die sich an die Männer ranmachen? Gott bewahre! Hier aber kann sie Schritt für Schritt in den kleinen Romanzen lesen, wie die Gefühle sich entzünden, kleine Sprechblasen die Geheimnisse der Erwachsenen verraten, wie die Herzen in sehr engen Blusen auflodern – und es dann passiert. Erst schmachten, wenig später ein letztes Mal die Kleider ordnen, Augen machen, dann geht seine Hand auf ihre Brust und Augen zu: So geht das Rumkriegen. Diese Geschichten sind schnell überflogen, auch mehrmals, so eine Woche ist schon ganz schön lang. Eigentlich liest sie diese Geschichten jeden Vormittag. Denn: Davon erfährt sie in der Schule rein gar nichts. Schon eher von Nomen und Satzzeichen, Punktstrich und so. Und nicht zu vergessen: Malreihen. Braucht man alles fürs Leben. Hat Frau Schulze gesagt.

Was aber gibt es zu diesem scheinbar über die Maßen heiklen Thema? Andeutungen, wenn überhaupt. Leider keine wirklichen Erhellungen, obwohl es viele ja doch interessiert; also Johanna kennt kaum einen, den es nicht interessiert. Der Schwiegersohn vom Nachbarn, der hat so eine echt verbotene Autonummer: SE-X 269 aber, das ist ein – „man weiß gar nicht, was man dazu nun sagen soll“ – Schamröte erzeugendes Autokennzeichen. Was zum Schämen. Wie kann man nur! Sie denken, das hätte er doch auch ablehnen können – dabei hat er dafür ganz begeistert noch was draufgelegt!

Nachmittags, wenn Klaus von der Arbeit zurückkommt, sich kurz ausgeruht und seinen Uniform-Schlips – ja, Schlips muss sein – abgelegt hat, gehen alle zusammen raus an die frische Luft, Wolf braucht viel Auslauf.

Ihre anfängliche Scheu vor Wolf, einem kräftigen – unten gelbbraunen, oben schwarzen – gut abgerichteten und fein gehorchenden Deutschen Schäferhund, hat Johanna bald abgelegt. Das war komisch, als ob sie schon mal mit einem solchen Hund was zu tun gehabt hätte – hat sie aber nicht, nur mit Tante Tillis Pudel. Nun rennt sie mit ihm die Wege entlang, durch die Wiesen und Deich rauf, Deich runter. Sie darf ihn drücken, kraulen, streicheln und so viel mit ihm reden, wie sich die Worte aus dem Mund schaufeln lassen. Und immer zwischendrin: Komm! und: brav! Er schaut sie mit seinen treuen, honigfarbenen Hundeaugen ergeben an, hechelt und wedelt mit dem Schwanz. Er riecht nicht immer ganz gut, vor allem wenn’s geregnet hat. Johanna hat dennoch Vertrauen in ihn, liebt ihn geradezu, er ist ein so starker und lieber Geselle. Mit ihm an der Seite muss man keine Angst haben, da kann einem so ziemlich keiner was. Bei den fetten Pranken und dem Gebiss! Hallo, der hört auf mich. Ich, die Johanna mit Schäferhund – da wäre sie irgendwie unantastbar, nichts zum Rumschubsen. Könnte der doch bloß mit nach Hause kommen und sie ihn morgens mit in die Schule mitnehmen und dann liegt er unterm Tisch. Da wären die Lehrer schon etwas vorsichtiger, mindestens; wahrscheinlich hätten sie richtig Respekt, bestimmt. Und freche Jungs sowieso.

Wolf kann sie aber leider nicht mitnehmen, das ist schade, schade und nochmals schade, aber das Püppibild kommt schon mit nach Hause, es ist eben beeindruckend, prägt sich irgendwie ein. Weil: Tine ist unschlagbar, sie hat wirklich alles, was die Frauen in den Heftchen haben, ist voll adrett, und nett ist sie auch, lacht gerne, hört gerne zu. Sie ist immer sehr gepflegt, vollblondiert, die Haare hochgesteckt, ein paar Klammern drin, immer, zu jeder Zeit. Klaus tut das Seine, dass Tine so ist, wie sie ist, kauft auf seinem Nachhauseweg auch ihre Unterwäsche und Wimperntusche. Du, mein Püppi! Dass Papa das täte – undenkbar! Und Mama erst! Wenn Tine nicht Klausens Tine wäre – und der ist ja ihr Neffe – sie käme soo gut nicht weg. Aber sie ist eben schon auch sehr, sehr nett. Und bei Familienfeiern die Augenweide aller.

Tine soll schon so sein, wie sie ist, für Klaus, die anderen alle aber sollen besser stramme deutsche Mädchen sein. Blonde Zöpfe, fröhlich und immer strahlen, um jeden Preis. Er hat da so seine Vorstellungen: Kochen können ist von Vorteil, Männer in Ruhe lassen, vor allem, wenn sie trinken, ein Gebot, und: Politik geht sie ganz allgemein nichts an, denn davon verstehen die nichts, die Frauen. Da gibt’s klare Ansagen, gar nicht einmal mit irgendeinem Nachdruck, das ist schon einfach ganz selbstverständlich. Klaus sieht das einfach so, es ist seine völlig ungetrübte Meinung. Die Leute, die anderer Meinung sind, kommen nicht so gut weg. Undenkbar, dass Tine nicht einstimmt. Sie ist schon ganz seine Tine, die sind echt ein Paar. Und Streit zwischen den beiden hat Johannchen noch nie mitbekommen.

Über das komische Erlebnis am Deich redet Johanna nicht mit den beiden. Sie kennt sich da schon aus, ahnt, was Klaus beizusteuern hätte.

Er sagt gerne mal: „Jawoll, mein Führer!“ Mit Schwung und Schmiss, auch zu Tine, auch zu ihr, der kleinen Johanna, wenn sie irgendetwas Niedliches will. Darüber aber zu reden – kein gutes Thema.

Johanna verrückt die Geschichte

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