Читать книгу Berufsprofilierung - Sonja Hilzinger - Страница 10

2.2Geschlechtsspezifische Voraussetzungen und Perspektiven

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Frauen und Männer bringen unterschiedliche Voraussetzungen und Erwartungen mit im Hinblick auf Studium, Berufswahl und Lebensentwurf. Einer Langzeitstudie von Hochschulforschern der Universität Konstanz (2005)1 zufolge übt eine freiberufliche Tätigkeit für Studentinnen eine deutlich größere Anziehungskraft aus als für ihre männlichen Kommilitonen. Manche Ergebnisse dieser Studie muten wie altbekannte Vorurteile über die sozial und historisch geprägten Geschlechterrollen an. So betonen die Autoren Ramm und Bargel die ausgeprägtere „sozial-interaktive Einstellung“ der Studentinnen gegenüber den Studenten. Frauen wollen stärker als Männer ihre Ausbildung und Qualifikation dafür nutzen, anderen Menschen zu helfen, zu gesellschaftlichen Veränderungen beizutragen, Verantwortung für das Allgemeinwohl zu übernehmen – sie erweisen sich also als altruistischer, stärker sozial orientiert und ideell motiviert. Mehr Frauen als Männer haben bereits vor dem Studium eine Berufsausbildung abgeschlossen. Auch die Wahl des Studienfaches folgt noch immer der traditionellen Orientierung: Etwa 70% der Frauen studieren Sprachen und Geisteswissenschaften. Innerhalb der zwanzig Jahre Laufzeit der Studie zeigte sich, dass den Studentinnen Einkommen, Arbeitsplatzsicherheit und sozialer Aufstieg zunehmend wichtiger werden (neben der Erwartung, dass ihr Studium sie für eine interessante berufliche Tätigkeit qualifiziert). Immer mehr Akademikerinnen gehen also davon aus, dass sie mit ihrer Ausbildung und Berufstätigkeit ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten. Während des Studiums erleben allerdings die meisten – auch die leistungsstarken – Studentinnen, dass sie von den Lehrenden wenig gefördert und zu einer wissenschaftlichen Karriere ermutigt werden, dass sie deutlich weniger Möglichkeiten als ihre Kommilitonen erhalten, im Wissenschaftsbetrieb zu bleiben und sich weiterzuqualifizieren. Zwar sind seit 1983 (dem Beginn der Befragungen für die Studie) die Erfahrungen von Studentinnen mit Benachteiligungen im Studium von 40% auf 20% zurückgegangen. Aber sie müssen mehr leisten für dieselben Noten als ihre Mitstudenten, werden von den Lehrenden seltener zur Promotion ermutigt (2003 nur 38% abgeschlossene Promotionen von Frauen) und brechen häufiger das Studium ab. Im Umgang mit dem Internet sind weibliche Studierende sachbezogener und pragmatischer als männliche, sie entscheiden sich häufiger für Auslandsaufenthalte und haben ein größeres Interesse an alternativen Studienmodellen.

Dieser Aspekt scheint mir besonders interessant, denn er verweist auf den offensichtlich ausgeprägteren Wunsch von Studentinnen, ihre akademische Ausbildung flexibler in ihren Lebensalltag integrieren zu können, sowie eine stärkere berufspraktische Orientierung. So wünschen sie sich abwechselnde Phasen von Berufsarbeit und Studium, ein ausgewogeneres Theorie-Praxis-Verhältnis, einen Wechsel zwischen Präsenzphasen und E-Learning im Studium. Unter den beruflichen Wertorientierungen der Studentinnen dominieren professionelle Aspekte einer anspruchsvollen, vielfältigen, selbstständigen Tätigkeit, die sich, stärker als bei ihren Mitstudenten, an sozialen Werten und am Allgemeinwohl orientiert. Allerdings liegen, bedingt durch ihre Fächerwahl, die Tätigkeitsbereiche von Akademikerinnen eher im öffentlichen Dienst als in der Privatwirtschaft. Studentinnen planen seltener als ihre Kommilitonen berufliche Selbstständigkeit, und wenn, dann eher freiberuflich als unternehmerisch. Das könnte aber auch, wie die Ergebnisse der Studie nahelegen, an den einschlägigen Erfahrungen und Erwartungen der Frauen liegen: Sie wünschen sich stärkere und vor allem individuellere Unterstützung durch ihre Hochschule bei Fragen der Existenzgründung. Frauen erwarten mehr Schwierigkeiten beim Übergang vom Studium zum Beruf als Männer und rechnen auch weiterhin mit geringerem Einkommen und geringeren Aufstiegschancen – obwohl sie sich beim Berufsstart flexibler zeigen und eher bereit sind als Akademiker, Belastungen und Einbußen hinzunehmen.

Frauen in Wissenschaft und Forschung

Eine Kurzexpertise über Frauen in Wissenschaft und Forschung (2006)2 legt den Fokus auf die Situation von Akademikerinnen im Wissenschaftsbetrieb. Auch nach einem Vierteljahrhundert Gleichstellungs- und Frauenförderprogrammen beträgt der Frauenanteil unter den Professorinnen etwa 14%, obwohl die Hälfte der StudienanfängerInnen weiblich ist. Der Anteil der Akademikerinnen in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen liegt für alle Statusgruppen unter dem an den Hochschulen, am geringsten ist er in der industriellen Forschung. Auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern zeigt sich, dass Deutschland den Wissenschaftlerinnen kaum Arbeitsbedingungen, -möglichkeiten und Chancen bietet, ihr Potenzial zum Nutzen des Gemeinwohls zu entfalten. Lind, die Autorin der Expertise, sieht Ursachen dafür auch in Haltung und Verhalten der Akademikerinnen selbst. Im Unterschied zu ihren männlichen Kollegen seien Wissenschaftlerinnen eher zurückhaltend in ihrer Selbstdarstellung und im Umgang mit offenen Konkurrenzsituationen und neigten dazu, ihre Fähigkeiten zu unterschätzen und eine geringe Selbstwirksamkeitserwartung zu entwickeln. Überwiegend sind jedoch systemische Ursachen auszumachen. Die Besonderheiten des Qualifikationssystems im deutschen Wissenschaftsbetrieb wie die Rekrutierung der Nachwuchsleute nach dem Prinzip homosozialer Kooptierung oder der langwierige, unsichere Qualifikationsprozess führen nicht nur tendenziell zur Ausgrenzung junger Akademikerinnen, sondern diese entscheiden sich vielfach gegen diesen Weg, weil ihnen solche Arbeitsbedingungen nicht attraktiv erscheinen oder ihren Wertorientierungen und Lebensentwürfen nicht entsprechen.

Unterschiedliche Sozialisationen der verschiedenen Generationen

Die Phasen von Studium und Berufsfindung verlaufen für jede Generation anders. Von den heute 50- bis 60-Jährigen haben nicht wenige ihre Studienjahre als Zeit der politischen Sozialisation, des politischen Engagements, des Ausprobierens kollektiver Lebens- und Lernformen, als Jahre der Persönlichkeitsbildung verstanden, und manche von ihnen, denen Berufsverbote den Weg als LehrerInnen oder als Angestellte im öffentlichen Dienst verbauten, suchten sich in den 1980er- und 1990er-Jahren ihre eigenen Wege. Die heute 30-Jährigen, die ihr Studium jetzt abschließen, haben bereits andere Motivationen, ihre Studienfächer zu wählen, als die Generation vor ihnen. Die Jüngeren sind mit der Notwendigkeit aufgewachsen, sich auf einen sich schnell wandelnden und in seinen Entwicklungen kaum prognostizierbaren Markt auszurichten. Sie haben in anderen Ländern einige Semester studiert, diverse Praktika absolviert, sind mehrsprachig und daran gewöhnt, sich wie ein Fisch im Wasser im World Wide Web zu bewegen. Das Lebensmodell, an dem sie sich orientieren, ist nicht (mehr) das „chronologische Modell“ mit den Phasen Studium, Karriere, Familiengründung. Ihr Modell ist häufig die biografische Improvisation, Chance und Last zugleich. Studium und Hochschule sind heute zumeist Durchgangsstationen, nicht mehr der prägende Ort zwischen Herkunftsfamilie und gesellschaftlicher Praxis. Jenseits des Studiums erstreckt sich die Unübersichtlichkeit. Junge akademisch gebildete Frauen und Männer sind gleichermaßen in der Situation, für ihr Leben Verantwortung zu übernehmen und sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, indem sie für sich verschiedene Berufsprofile entwickeln und aus- und umbauen. Ein einziger Beruf, eine einzige Tätigkeit reichen heute kaum mehr aus für ein ganzes (Erwerbs-)Leben. Mit der Wahl kommt die Qual: Wie will, wie kann, wie soll ich leben? Es ist alles möglich und nichts selbstverständlich. Mit den Möglichkeiten wachsen Erwartungen, Wünsche und Ängste.

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