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3.1AkademikerInnen als GründerInnen

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2011 beträgt die Zahl der Selbstständigen in Freien Berufen in Deutschland etwas über eine Million: 1.143.000. Sie verteilen sich auf die vier Gruppen Freie Heilberufe mit 30,2% (344.000), Freie rechts-, wirtschafts- und steuerberatende Berufe mit 27,1% (310.000), Freie Kulturberufe mit 24,9% (285.000) und Freie technische und naturwissenschaftliche Berufe mit 17,8% (204.000).14 Betrachtet man die vier Sparten der Freien Kulturberufe (die hier allerdings Berufe wie LektorIn, ÜbersetzerIn, RestauratorIn, DramaturgIn u.a.m. nicht explizit erfassen), sind die Frauenanteile in den letzten zwanzig Jahren unterschiedlich gestiegen: bei den darstellenden Künstlerinnen um ein Prozent auf 52%, bei den Musikerinnen von 9 auf 37,1%, bei den bildenden Künstlerinnen von 33 auf 47,3%, bei den Publizistinnen von 36 auf 49,7%.15 Insgesamt ist der Anteil der Frauen in den Kulturberufen (in den Heilberufen sind sie ohnehin stark vertreten) angestiegen, mehr Frauen wagen also den Schritt in die freiberufliche Selbstständigkeit. Die Autoren der IFB-Studie kommentieren dies lapidar: „Frauen mit einer höheren Bildung sehen die Selbstständigkeit als Chance, ihren beruflichen Weg alternativ zu einer abhängigen Beschäftigung zu gestalten.“16

„Gründerinnen und selbstständige Frauen“

Eine im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung am Institut für Mittelstandsforschung durchgeführte Studie zum Thema „Gründerinnen und selbstständige Frauen“ (2004) ermittelte eine Selbstständigenquote für Frauen von 6%, während die für Männer das Doppelte beträgt. Die AutorInnen der Studie sehen einerseits in geschlechtsspezifischen Benachteiligungen (darunter fassen sie z.B. auch fehlende weibliche Vorbilder für FreiberuflerInnen und UnternehmerInnen) eine wesentliche Ursache für die geringe Zahl von Gründerinnen und weiblichen Selbstständigen. Andererseits identifizieren sie überwiegend Akademikerinnen als diejenigen, die für den beobachtbaren Gründungsanstieg verantwortlich sind. Leicht und Welter sehen in der höheren Bildung dieser Frauen und in dem Faktum, dass Akademikerinnen anders als ihre männlichen Kollegen ihre Qualifikationen in abhängigen Beschäftigungen viel seltener angemessen „verwerten“ können, entscheidende Faktoren für ihre Entscheidung zur Selbstständigkeit. Anders gesagt: Als Selbstständige wächst offenbar die Chance von Akademikerinnen, die durch die hochqualifizierte Ausbildung erworbenen Kompetenzen professionell zu nutzen.17

„Wie Frauen gründen und was sie unternehmen“

Aus einer weiteren am IFM und an der Universität Mannheim durchgeführten Studie zum Thema „Wie Frauen gründen und was sie unternehmen“ (2005) gehen Aspekte zum Gründungsgeschehen aus weiblicher Perspektive hervor, welche die bereits unter weiblichen Studierenden auffallenden Wertorientierungen fortsetzen. Für Gründerinnen sind demnach Selbstverwirklichung und Zufriedenheit Erfolgskriterien, für männliche Gründer eher Wachstum und unternehmerischer Gewinn. Die vorrangige Gründungsmotivation bei Männern ist das Finden einer Marktnische, für Frauen, ihre eigene Chefin sein zu wollen. Selbstständige Frauen finden sich – neben Handel und Gastgewerbe – vor allem im Bereich kultureller, kreativer und sozialer Dienstleistungen. Sie sind eher Solo-Selbstständige als Männer, gründen mit weniger Startkapital, richten ihr Angebot eher an eine private als eine geschäftliche Kundschaft, sind stärker regional orientiert und haben ein deutlich geringeres Einkommen als Männer.18

Die bundesweite Gründerinnenagentur (bga)

Die 2004 in Stuttgart ins Leben gerufene bundesweite Gründerinnenagentur (bga) ist das erste und einzige deutschlandweite Informations- und Servicezentrum für selbstständige Frauen, für Freiberuflerinnen wie für Unternehmerinnen. Die von mehreren Bundesministerien und dem Europäischen Sozialfonds geförderte bga wurde 2009 als „europäisches Erfolgsmodell“ von der Europäischen Kommission ausgezeichnet.19 Die dort zugänglichen Daten und Fakten über Akademikerinnen als Gründerinnen bestätigen die bisher benannten Tendenzen. Je höher der Bildungsabschluss von Frauen, umso eher nehmen sie Selbstständigkeit als Alternative zu abhängiger Beschäftigung oder zu Erwerbslosigkeit wahr. Dennoch sind nur 6% der erwerbstätigen Frauen selbstständig, und etwa 70% von ihnen sind Alleinselbstständige (Teilzeit- und Nebenerwerbsselbstständige eingeschlossen). Den bga-Zahlen zufolge ist die Gründungsneigung von Akademikerinnen mit 16,3% am höchsten. Die Selbstständigenquote von Frauen ist in den eher männerdominierten Studiengängen Rechts-, Wirtschafts-, Sozial-, Natur- und Ingenieurswissenschaften proportional höher als in den häufiger von Frauen gewählten Studiengängen der Sprach- und Kulturwissenschaften.20

Akademikerinnen in wissensintensiven Dienstleistungen

Dieser Befund korrespondiert mit den Ergebnissen einer Studie des Instituts für Mittelstandsökonomie an der Universität Trier (INMIT) zum Thema „Female Academic Entrepreneurs: Neue akademische Gründungspotenziale in wissensintensiven Dienstleistungen“ (2007)21. Grundlage der Studie bildete ein Sample von 152 unternehmerisch selbstständigen Akademikerinnen in wissensintensiven (und kulturellen) Dienstleistungen (bundesweit). Der Auswahl lag die Adressdatenbank des Unternehmerinnentages (www.u-netz.de) zugrunde. Die Frauen waren im Alter zwischen 30 und 66 Jahren. In acht Einzelporträts von Freiberuflerinnen in wissensintensiven Dienstleistungen werden „Erfolgsgeschichten“ erzählt. Die führende Gründungsbranche unter allen Befragten ist mit 27,6% die Unternehmensberatung; dies korrespondiert exakt mit der Studienfach-Angabe „Rechts- und Wirtschaftswirtschaften“ von 27,6% der Frauen. Architektur- und Ingenieurdienstleistungen sind mit 15,8%, Werbung mit 13,2%, Rechtsberatung mit 10,5%, Kulturelle Leistungen/Sprachdienstleistungen mit 6,9%, Medien/Verlage/Journalismus mit 3,9%, Veterinär-/Gesundheitsdienste mit 3,9%, Steuerberatung mit 2%, Psychologische Beratung mit 2%, Unterricht mit 0,7%, Hard-/Softwareberatung mit 0,7% und Sonstige mit 13,2% vertreten. Während die kulturellen Dienstleistungen (Sprachdienstleistungen, Medien, Verlage, Journalismus) zusammen 10,8% ausmachen, haben 23,7% der befragten Frauen Sprach- und Kulturwissenschaften, Kunst und Gestaltung und 12,5% Gesellschafts- und Sozialwissenschaften studiert. Mit insgesamt 36,2% machen also die Geistes- und Sozialwissenschaftlerinnen den größten Teil der Freiberuflerinnen in wissensintensiven (und kulturellen) Dienstleistungen aus – ohne dass sich ihr Studienfach unmittelbar in der Branche oder dem Bereich ihrer Dienstleistung wiederfindet. Ingenieurwissenschaften haben 19,7% der Befragten studiert, Mathematik/Naturwissenschaften 5,3%, Agrar- und Forstwissenschaften 3,9%, Medizin/Gesundheitswesen 2,6% und weitere Fächer 4,6%. Die deutliche Mehrzahl der Frauen hat ihr Studium mit einem Uni-Diplom (36,2%) oder einem FH-Diplom (24,3%) abgeschlossen, 9,9% sind promoviert. Über 80% waren der Meinung, das Hochschulstudium habe sie „schlecht“ bzw. „eher schlecht“ auf ihre unternehmerische Selbstständigkeit vorbereitet.

Betriebswirtschaftliche, kaufmännische, Markt- und KundInnenkenntnisse haben sich die Akademikerinnen mit der Zeit auf verschiedenen Wegen angeeignet. Als wichtigste Motive für die Gründung nannten sie Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung (auch im Hinblick auf Ort und Zeit), als größtes Hindernis oder größte Herausforderung die Gewinnung von Kundinnen und Kunden. Etwa 40% fühlten sich explizit als weibliche Selbstständige von Auftraggebenden unterschätzt, und etwa 30% nahmen an, dass ihre soziale Kompetenz und ihre Empathie gerade als Freiberuflerin besonders geschätzt wurden. Knapp 55% der Befragten glaubten, dass sich Berufs- und Privatleben bei einer unternehmerischen Selbstständigkeit besser vereinbaren lasse als bei einer abhängigen Beschäftigung, und die Frage nach ihrer aktuellen Zufriedenheit mit der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben beantworten 63,8% mit „zufrieden“ und 17,1% mit „eher zufrieden“. Das sind beeindruckende Zahlen, die nahelegen, dass die Selbstständigkeit für Akademikerinnen tatsächlich die bessere Wahl sein kann.

Gründungen als Freiberuflerin und im Haupterwerb

Wie gründen sie? Am häufigsten wählen sie die Form der Neugründung, sie machen sich überwiegend als Freiberuflerin und im Haupterwerb selbstständig. Ihre Gründungen sind zumeist wenig kapitalintensiv: Über die Hälfte der Befragten hatn lediglich bis zu 5.000 Euro Startkapital benötigt, zumeist griffen sie auf eigenes Kapital zurück. Bis zu fünf Jahre Berufserfahrung in abhängiger Beschäftigung hatten die meisten, ehe sie sich für die Selbstständigkeit entschieden. Beratungs- und Qualifizierungsangebote nahmen alle Gründerinnen wahr, wobei sie einer prozessorientierten individuellen Begleitung durch eine Expertin oder einen Experten einen besonderen Stellenwert einräumten. Etwa 45% der befragten Akademikerinnen haben allgemein gründungsbezogene und spezielle themenbezogene Beratungs- und Qualifizierungsangebote bei den Kammern (IHK, HwK) nachgefragt, knapp 26% bei Unternehmensberatungen.

Auf der einen Seite gibt es in Deutschland kaum eine Unternehmerinnen- Kultur, auf der anderen Seite zeigt die Gründungsforschung, wie wesentlich gerade für gründungswillige Frauen das (weibliche) Beispiel ist, wie motivierend Rollenvorbilder aus dem persönlichen Umfeld, der Familie, dem Freundes- und Bekanntenkreis sind. Und: Trotz des vielfach fehlenden Rollenmodells wirtschaften Unternehmerinnen nachhaltiger als männliche Selbstständige: weniger auf Wachstum, mehr auf Stabilität orientiert.

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