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3.4FreiberuflerInnen zwischen Ethos und Kommerz
ОглавлениеIn der Praxis zeigt sich, wie Sie gesehen haben, dass FreiberuflerInnen in wissensintensiven Dienstleistungen sich zunehmend mehr gesellschaftliche Felder erschlossen haben. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Sonja Bischoff, bis zu ihrer Emeritierung 2011 Professorin an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik, veröffentlichte bereits 1995 ihr Buch „Zukunftsmodell ,Freier Beruf‘ “. In FreiberuflerInnen, die „mit ihren beratenden, heilenden, kreativen und sozialen Funktionen ein hohes Maß an Verantwortung für die Qualität der Entscheidungen in dieser Gesellschaft“32 haben, sah sie eine Avantgarde von ExpertInnen, die in der Lage sind, Lösungen für die verschiedensten Probleme zu entwickeln und wissenschaftliche Erkenntnisse kompetent in die gesellschaftliche Praxis umzusetzen. Als Ökonomin machte Bischoff notwendige Veränderungen zur wirtschaftlicheren Gestaltung freiberuflicher Tätigkeiten an zwei Punkten fest: FreiberuflerInnen sollten ihre Dienstleistungen noch konsequenter an den Bedürfnissen der Nachfragenden und noch effizienter an Kosten-Nutzen-Aspekten orientieren.
Die gesellschaftliche Bedeutung von FreiberuflerInnen hat sich verändert
Die sehr positive Einschätzung Bischoffs von der Bedeutung von FreiberuflerInnen für die bzw. in der Gesellschaft kann meines Erachtens heute nicht mehr uneingeschränkt aufrechterhalten werden. Im europäischen Raum werden zunehmend auch die Freien Berufe in den verschiedenen Ländern einander angeglichen, aber sie unterliegen auch zunehmenden Einschränkungen des Berufsrechts durch das europäische Parlament. Für die mehr als eine Million FreiberuflerInnen in Deutschland, die über drei Millionen MitarbeiterInnen (Auszubildende eingeschlossen) beschäftigen und 10,1% des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften33, gibt es mit dem Berufsverband der Freien Berufe (BFB) eine Dachorganisation. In ihr haben sich Kammern (Selbstverwaltungskörperschaften) und Verbände (etwa 30 Einzelberufsverbände, die zu den nichtverkammerten Freien Berufen gehören) zusammengeschlossen; allerdings sind bei weitem nicht alle Berufsverbände nichtverkammerter Freier Berufe Mitglied im BFB. Aber auch für die zahlenmäßig kleineren und weniger finanzstarken Berufsverbände kann sich die Mitgliedschaft im BFB dennoch lohnen, etwa weil hier wichtige Informationen aus bundesdeutscher wie europäischer Politik zugänglich sind, Lobbyarbeit betrieben und Einfluss auf zentrale Institutionen wie z.B. die Künstlersozialkasse genommen werden kann. Im Unterschied zu den Berufsverbänden sind die Kammern (Bundesärzte-, Bundesrechtsanwalts-, Bundesarchitektenkammer u.a.) Körperschaften des öffentlichen Rechts, also vom Gesetzgeber eingerichtete Institutionen, die staatliche Aufgaben in Selbstverwaltung übernehmen und dabei von einer Aufsichtsbehörde kontrolliert werden.
Das „Leitbild“ der Freien Berufe im BFB
Der BFB positioniert sich mit einem „Leitbild“, das die Berufsethik der Freien Berufe darstellt. Ellen Madeker, die Autorin des „Leitbildes“ (2010), konstatiert, dass im öffentlichen Bewusstsein Funktion, Aufgabe und Nutzen der Freien Berufe zunehmend unscharf geworden seien, woraus sowohl ein Vertrauensverlust als auch eine Legitimationskrise resultiere. Madeker fokussiert diese Entwicklung auf den Konflikt „Kommerz vs. Ethos“34. „Vor dem Hintergrund eines stetig steigenden Wettbewerbsdrucks droht weiteres Vertrauen durch die zunehmende Materialisierung und Kommerzialisierung unserer Gesellschaft verloren zu gehen,“ schreibt sie. „Kommerzialisierung meint einen durch Europäisierung und Globalisierung noch beschleunigten Prozess, in dem profitorientierte Erwägungen einen immer größeren Einfluss auf das Handeln gewinnen als ideelle Aspekte. Auch und gerade für die Freien Berufe wird der Antagonismus ‚Kommerz vs. Ethos‘ immer wieder diskutiert. In diesem Zusammenhang wird kritisch gefragt, ob die Tätigkeit des Freiberuflers nicht zunehmend jene Charakteristik verliere, die ihn von Gewerbetreibenden unterscheidet […].“35 Mit ihren traditionellen Werten wie Verantwortung, Kompetenz, Unabhängigkeit, Einheit von Person und Profession, die im Zeitalter des globalisierten Kapitalismus so altmodisch wirken, dass sie schon wieder avantgardistisch sind, können – so scheint es – FreiberuflerInnen in dem Maße Vertrauen (wieder)gewinnen, wie das Vertrauen in die politische Klasse in der Bevölkerung schwindet.
Ein Leitbild für die sehr unterschiedlichen verkammerten und nichtverkammerten Freien Berufe, das außerdem sowohl für die Angehörigen dieser Berufsgruppen als auch für deren KundInnen, KlientInnen, PatientInnen oder MandantInnen glaubwürdig ist, fällt notgedrungen eher abstrakt – man könnte auch sagen: ideell – aus. Das FreiberuflerInnen-Leitbild des BFB fokussiert auf die Berufsethik bzw. das Berufsethos und fragt nach Mission („Wofür sind wir da?“), Vision („Was sind unsere Ziele?“) und Werten („Wie erfüllen wir unseren Auftrag?“).
Zum Berufsethos in Freien Berufen
Ich möchte dem berufsethischen Aspekt hier breiteren Raum geben, weil die darin eingeschlossenen Grundwerte freiberuflicher Arbeit auch für WKD eine gute Orientierung bieten. Freier Beruf ist ein Rahmenbegriff, eine eindeutige gesetzgeberische Definition gibt es nicht, sondern lediglich verschiedene einzelne Bestimmungen wie z.B. in §1 Abs. 2 S. 1 PartGG (Juli 1998)36 oder in §18 Abs. 1 EStG37.
Für alle Freien Berufe gilt jedoch, dass die persönliche Vertrauensbeziehung zwischen FreiberuflerIn und KlientIn ein zentrales Element ist. Dieses qualitative Moment freiberuflicher Tätigkeit, dem mit Kompetenz, Eigenverantwortung, Unabhängigkeit weitere qualitative Momente beigeordnet sind, gewichtet verstärkt den ethischen gegenüber dem kommerziellen Aspekt. Das bedeutet auch, dass die Persönlichkeit der Freiberuflerin oder des Freiberuflers eine große Rolle spielt für die Haltung und die Wertorientierung, mit denen die freiberufliche Tätigkeit ausgeübt wird. Deshalb ist die Einheit von Person & Profession, die Übereinstimmung von Berufsausübung und Lebensmodell so grundlegend. Um sich für den ärztlichen Beruf zu entscheiden, braucht es auch Empathie und Altruismus, um als Übersetzerin zu arbeiten, braucht es auch die Neugier auf andere Kulturen, um eine beratende Tätigkeit auszuüben, braucht es auch Lebenserfahrung. Die freiberufliche Tätigkeit, beispielsweise eine wissensintensive Dienstleistung, ist untrennbar verbunden mit der Persönlichkeit der freiberuflich Tätigen, ihrer Kreativität, Kompetenz und Integrität – und sie ist, weil nicht standardisierbar, ganz individuell zugeschnitten auf die konkrete Klientin, den besonderen Klienten, für die und mit dem zusammen sie entwickelt wird. Diese individuelle, persönliche Beziehung ermöglicht Vertrauen. FreiberuflerInnen handeln eigenverantwortlich und unabhängig, sie nutzen ihre Kompetenzen, Erfahrungen und Begabungen zum Nutzen und zum Wohle ihrer KlientInnen. Soviel zum Ethos – und wo bleibt der Kommerz?
Marktliche und gesellschaftliche Aspekte der Freien Berufe
FreiberuflerInnen können, so Madeker, aber müssen nicht wirtschaftlich selbstständig arbeiten, sie sind einkommenssteuer-, aber nicht gewerbesteuerpflichtig, und sie arbeiten gewinnorientiert. Um auf dem Markt bestehen zu können, müssen sie ihre Dienstleistungsangebote flexibel an die Wünsche der KundInnen anpassen. Mit anderen FreiberuflerInnen stehen sie in einem Wettbewerb, in dem es um den Preis, um Wissen und Kompetenz einerseits und um Innovation und Serviceorientierung andererseits geht. Da ihr wichtigstes Kapital das sogenannte Humankapital ist, sind sie (relativ) unabhängig von Standortfaktoren wie Arbeits- oder Materialkosten. In der Welt des globalisierten Kapitalismus wirken Freie Berufe stabilisierend und tragen bei zu regionalem und sozialem Zusammenhalt: Sie schaffen und pflegen vertrauensvolle zwischenmenschliche Beziehungen.
Das von Madeker für den BFB formulierte Leitbild geht von dem aus, was FreiberuflerInnen in WKD zu bieten haben. Aber das Wissen darüber ist gesellschaftlich nicht flächendeckend verbreitet, jedenfalls nicht über alle Bereiche freiberuflicher Tätigkeiten, und vor allem nicht über WKD. Weil das Wissen um die Voraussetzungen ihrer Tätigkeit (Ausbildung, Qualifikationen, Spezialisierungen), um deren konkreten Nutzen, Qualität und Wert in der Bevölkerung, aber auch in Unternehmen und Behörden, im Wissenschafts- und Kulturbetrieb nicht selbstverständlich ist, resultieren hier bisweilen Missverständnisse. So werden, wie ich in meiner Beratungspraxis vielfach erlebt habe und erlebe, ÜbersetzerInnen oder LektorInnen nicht selten mit einer „Das kann ich auch“-Haltung von KundInnen konfrontiert, die damit den Preis drücken wollen. Darauf komme ich im 9. Kapitel noch einmal zurück. Hier, im Zusammenhang mit dem Leitbild des BFB, möchte ich auf die sprichwörtliche andere Seite der Medaille hinweisen: auf die Notwendigkeit, sachlich, kreativ, mit Esprit, informativ und freundlich in der Öffentlichkeit aufzuklären über das, was FreiberuflerInnen leisten und was ihre KundInnen darüber wissen sollten. Das ist ganz sicher eine Aufgabe der einzelnen Berufsverbände, aber auch der einzelnen FreiberuflerInnen in jedem Kundenkontakt. Das wäre eine gute Ergänzung, möglichst konkret und kommunikativ ins Spiel gebracht, zu der überwiegend ideell-abstrakten Orientierung des Leitbildes.