Читать книгу Berufsprofilierung - Sonja Hilzinger - Страница 12

2.4Perspektiven im Wissenschaftsbetrieb

Оглавление

Die Generation der jungen AkademikerInnen, die etwa seit der Jahrtausendwende ins Berufsleben strebt, hat häufig bereits unter ungünstigeren Bedingungen studiert als die Generation davor: Studiengänge im Umbruch, zunehmende Verschulung und Ökonomisierung, schlechte Betreuungsverhältnisse, Zeit- und Leistungsdruck, eine kaum berufsfeldbezogene und praxisbezogene Ausbildung, Orientierungs- und Motivationsprobleme. Auch aus dieser Generation wählen Studierende den Weg in die Wissenschaft, in Forschung und Lehre. Dafür gibt es unterschiedliche Motivationen, wie ich in meiner Beratungspraxis seit Jahren erlebe. Wenn Sie zu dieser Generation gehören: Was ist es, was Sie dazu gebracht hat, diesen Weg einzuschlagen? Die einen folgen der Faszination der Forschung, andere sind die geborenen Lehrenden, begeistert von ihrem Fach und fähig, diese Begeisterung zu vermitteln, und wieder andere gehen diesen Weg mangels einer Alternative, weil sie aufgrund ihrer Studienfächer kein anderes Berufsbild vor Augen haben. DoktorandInnen promovieren in Graduiertenkollegs, in Drittmittelprojekten, als wissenschaftliche MitarbeiterInnen (nicht selten mit einer faktischen 40-Stunden-Woche auf einer befristeten 20-Stunden-Stelle) oder als StipendiatInnen und erleben in dieser Qualifikationsphase häufig mehr Unsicherheiten, Abhängigkeiten, Ausbeutung und Leistungsdruck als eine fachlich und menschlich angemessene Ausbildung, Förderung und Motivierung. Frauen haben – jedenfalls überwiegend – noch immer signifikant geringere Chancen, auf dem Weg in den Wissenschaftsbetrieb weiterzukommen. Wer es auf eine Juniorprofessur schafft, ist – je nach Fach – oft schnell ernüchtert angesichts des alltäglichen Spagats zwischen institutionellen Pflichten, den Erwartungen der Studierenden und den eigenen Ansprüchen an Lehre und Forschung einerseits und der zumeist unsicheren, unplanbaren Perspektive andererseits. Wer sich aber mit Leidenschaft der Wissenschaft als Lebensform verschrieben hat, schafft es, so motiviert, immer wieder, sich ein neues Stipendium, einen weiteren Werkvertrag oder eine neue befristete Stelle zu „organisieren“, ist bereit, den Arbeitsplatz, die Stadt, das Land zu wechseln, das bisherige soziale Umfeld zu verlassen, immer wieder neu anzufangen – und wird belohnt durch Freiräume für Forschung, produktive Begegnungen mit KollegInnen und Studierenden, faszinierende Erkenntnisse und Entdeckungen.

„Wissenschaft als riskante Berufskarriere“

Es ist gut zu wissen, auf was man sich einlässt. „Wissenschaft als riskante Berufskarriere“ – unter dieser Überschrift präsentierte die Monatszeitschrift des Deutschen Hochschulverbandes Forschung & Lehre (Heft 4/2008) die Auswertung des ersten Bundesberichts zur Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses. Wer sich auf den Weg in den (deutschen) Wissenschaftsbetrieb begibt, braucht vor allem eines: Risikobereitschaft.

Und wofür sollen junge, gut ausgebildete, motivierte, engagierte AkademikerInnen dieses Risiko eingehen? Fakt ist, und das seit Jahren, dass es für das Gros der promovierten und habilitierten WissenschaftlerInnen an deutschen Hochschulen und an außeruniversitären Forschungseinrichtungen kaum attraktive und verlässliche Perspektiven gibt: Diese liegen zwischen der ordentlichen Professur und der Position als Hartz-IV-BezieherIn. Wer sich auf den Weg macht, setzt sich vielfach prekären Verhältnissen aus: Befristung, Drittmittelfinanzierung, Teilzeitarbeit, untertarifliche Bezahlung. Unbefristete Arbeitsverhältnisse sind für die Nachwuchsleute im Wissenschaftsbetrieb die Ausnahme. Je nach Fachkultur, Uni oder Institut erleben sie nicht selten von feudalistischen Relikten durchwirkte hierarchische Strukturen, eine lähmende Überbürokratisierung und allzu häufig die Geringschätzung der für wenig prestigefördernd angesehenen Lehre und Betreuung der Studierenden.

Erwerbslosigkeit und prekäre Arbeitsverhältnisse

Natürlich sind prekäre Lebensverhältnisse ein weltweites Phänomen in den Zeiten des globalisierten Kapitalismus. Sie betreffen den ungelernten Arbeiter oder die Schauspielerin ebenso wie die Privatdozentin oder den bildenden Künstler, die zwar nicht erwerbslos sind, aber vom Ertrag ihrer Arbeit immer häufiger nicht leben, keine stabile Perspektive entwickeln und keine Altersvorsorge betreiben können. Als moderne TagelöhnerInnen versuchen sie, der Entsicherung des sozialen Lebens eine jeweils individuelle Bewältigungsstrategie entgegenzusetzen. Jede und jeder erlebt diese Situation anders, zieht andere Konsequenzen, motiviert und organisiert sich anders. Die Situation verschärft sich für diejenigen, die Kinder haben (wollen) oder eine Familie zu ernähren haben.

Unter den AkademikerInnen sind heutzutage IngenieurInnen, HumanmedizinerInnen, Wirtschafts- und RechtswissenschaftlerInnen, InformatikerInnen und ChemikerInnen seltener von Erwerbslosigkeit und von prekären Arbeitsverhältnissen betroffen als Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen. Nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB war die Erwerbslosigkeit unter den Menschen mit Abitur, Fach- oder Hochschulabschluss im August 2009 um 25% höher als noch im Jahr davor – das sind knapp eine halbe Million Menschen. Der Anstieg der Erwerbslosigkeit bei den AkademikerInnen war demnach verglichen mit anderen Gruppen am größten. In Berlin hatten im Oktober 2009 9% aller Erwerbslosen einen Hochschulabschluss. Unter den AkademikerInnen, die als Freie im Kulturbereich arbeiten, gibt es immer mehr, die kaum noch von ihrer Arbeit leben können und zusätzlich lohnergänzende Leistungen beziehen, andere haben zwei und mehr Jobs, wieder andere leben vom Einkommen der Partnerin oder des Partners mit. Besonders betroffen sind ArchitektInnen, JournalistInnen, WissenschaftlerInnen und die Angehörigen der „digitalen Bohème“ (Holm Friebe/Sascha Lobo).4 Von Auftrag zu Auftrag zu leben und oft im Monatsdurchschnitt nicht mehr als 1000 Euro brutto zur Verfügung zu haben, erfordert jede Menge Kompetenzen: von Stressresistenz und sozialer Kompetenz über Risikobereitschaft, Flexibilität und Kreativität bis zu der Fähigkeit, mit Unsicherheiten und Provisorien leben zu können.

Berufsprofilierung

Подняться наверх