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3.3Akademisierung, Feminisierung und Prekarisierung
ОглавлениеDie in der Ratgeberliteratur für AkademikerInnen vielfach propagierte Rückkehr zu Tätigkeiten in Bildung, Erziehung und Kultur blendet aus, dass hier in der Regel für FreiberuflerInnen keine qualifikationsadäquaten Einkommen zu erzielen sind. Für die Kultur- und Kreativwirtschaft gilt außerdem, dass mit der Expansion dieses Marktes dessen sozial- und arbeitsmarktpolitische Regulierung abnimmt. Einerseits präsentiert sich die Kultur- und Kreativwirtschaft als ein an den Kompetenzen von GeisteswissenschaftlerInnen interessierter Markt, andererseits findet eine fortwährende Prekarisierung der Erwerbssituation vieler hier tätiger Selbstständiger statt. Hinzu kommen spezifische Problematiken der Kultur- und Kreativwirtschaft, die im Verlauf eines rasanten Modernisierungs- und Expansionsprozesses einer wachsenden Ökonomisierung unterliegt.
Der Berliner Kulturwirtschaftsbericht von 2003 gebraucht für den hier gemeinten Bereich den Begriff „Kulturwirtschaft“, seit 2007 werden Kultur- und Kreativwirtschaft deckungsgleich verwendet und schließlich ist nur noch von Kreativwirtschaft die Rede. Ihre Ränder sind ausufernd, ihre Bereiche schwierig zu definieren. Im weitesten Sinne ist darunter eine Mischung aus Kunst, Kultur und Kommerz zu verstehen. Künstlerische und kulturelle Produktionen in verschiedenen medialen Formaten gehören genauso dazu wie Design und Werbung. Privatwirtschaftliche Bereiche überschneiden sich mit dem öffentlichen Kulturbetrieb. Als Wirtschaftsfaktor erfährt die Kreativwirtschaft vor allem in den Großstädten zunehmend Aufmerksamkeit, aber über die sozialen Verhältnisse und das konkrete Leben ihrer ProduzentInnen weiß man eher wenig.
Akademische AlleindienstleisterInnen in Kulturberufen
Zwei aktuelle Studien, die ich Ihnen hier vorstellen möchte, bringen Licht ins Dunkel. Die eine widmet sich der Buchbranche – dazu ein paar Seiten weiter in diesem Kapitel –, die andere den AlleindienstleisterInnen in Kulturberufen, die als „Trendsetter“ für diese spezifische neuere Form hochqualifizierter selbstständiger Wissensarbeit gelten können. Im Rahmen einer empirischen Untersuchung von AlleindienstleisterInnen in ausgewählten Kulturberufen kommt die Studie (2006) von Sigrid Betzelt26 vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen zu zwei aufschlussreichen Ergebnissen: „Gezeigt wird, dass nicht nur deren objektive Erwerbsstrukturen von bekannten Mustern abweichen, da sie – bei vergleichsweise schwacher Geschlechtersegregation – den hoch Qualifizierten nur relativ bescheidene Einkommen unter risikoreichen Erwerbsbedingungen bieten. Besonderheiten zeigen sich auch in den individuellen subjektiven Orientierungen und Handlungsstrategien. Diese subjektiven Faktoren […] ermöglichen erst das ‚Funktionieren‘ des flexiblen Erwerbsmodells. Auf der Basis starker intrinsischer Motivationen und eines dominant wertrationalen Berufsverständnisses entwickeln die individuellen Akteure in reflexiver Weise Handlungsmuster im Umgang mit den marktradikalen Bedingungen, die eine mehr oder minder gelungene Balance zwischen individuellen Freiheitsgraden und marktlichen Restriktionen ermöglichen. Dabei ergeben sich für Männer wie Frauen überwiegend kontinuierliche, wenngleich komplexe Erwerbsbiographien jenseits herkömmlicher Karrierepfade.“ Betzelt kommt darüber hinaus zu dem Ergebnis, „dass das Erwerbsmuster flexibler Wissensarbeit besonders aufgrund der fragilen individuellen und kollektiven Risikostrategien durchaus institutionellen Handlungsbedarf aufwirft“. Während letzteres ein Auftrag an die (Sozial-)Politik ist, wollen wir uns die „individuellen subjektiven Orientierungen und Handlungsstrategien“ der Solo-Selbstständigen näher anschauen.
Zu den Befragten gehören JournalistInnen, ÜbersetzerInnen, LektorInnen und DesignerInnen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie trotz hoher Qualifikationen ein relativ geringes Einkommen unter relativ risikoreichen Erwerbsbedingungen erwirtschaften. Mit Jahreseinkommen zwischen 6.000 und 29.000 Euro liegen sie weit unter dem Durchschnittsverdienst abhängig beschäftigter AkademikerInnen. Die Einkommen sind nicht nur extrem niedrig, sondern sie schwanken auch extrem von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr. Wie Zahlen aus der Einkommenssteuer- bzw. der Umsatzsteuerstatistik, dem Mikrozensus und der Künstlersozialkasse (KSK) belegen27, ist nur jede/r dritte FreiberuflerIn im Kulturbereich umsatzsteuerpflichtig28, und das versicherungspflichtige Durchschnittseinkommen der 2005 knapp 150.000 Versicherten in der KSK liegt bei ca. 12.000 Euro im Jahr, also 1.000 Euro monatlich. Betzelts Erhebung zufolge blieb dieses Durchschnittseinkommen etwa ein Jahrzehnt nahezu konstant – bei steigenden Lebenshaltungskosten. Es wird i.d.R. in relativ langen täglichen Arbeitszeiten erwirtschaftet; ist die Auftragslage gut, wird auch mal ein Wochenende „durchgearbeitet“, dann wieder gibt es viel freie Zeit bei Auftragsflauten. Zwischen 1995 und 2003 wuchs die Zahl der Selbstständigen im Kulturbereich mehr als viermal so schnell wie die Selbstständigenzahl in der Gesamtwirtschaft, und mehr als 80% der FreiberuflerInnen in Kulturberufen sind Solo-Selbstständige. Es strömen also – verglichen mit anderen Branchen – relativ viele hochqualifizierte DienstleisterInnen in den Kultursektor, der sich durch den Überhang an Angeboten zu einem Angebotsmarkt gewandelt hat, was u.a. auch einen erheblichen Wettbewerbsdruck schafft. Der Zustrom sehr gut qualifizierter AkademikerInnen trägt aber auch zu einer höheren Professionalisierung der Kulturberufe bei.
Entkoppelung von Bildung, Beruf und Einkommen
Die Konstellation „überdurchschnittliche Bildung und unterdurchschnittliches Einkommen“ entkoppelt Bildung, Beruf und Einkommen. Mit dieser Situation umzugehen, ohne in ihr unterzugehen, erfordert beträchtliche Kompetenzen: wie kann die Lebensplanung angegangen, wie können Entscheidungen zu Wohnen, Lebensstandard, Konsum, Altersvorsorge usw. sinnvoll getroffen und umgesetzt werden, wie gelingt die fortwährende Selbstmotivation angesichts der durch eigene Anstrengung und Aktivität nicht zu überwindenden grundsätzlichen Unsicherheit und Fragilität der Lebenssituation? Können materielle Einschränkungen durch ideelle Werte wie Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung „kompensiert“ werden?
Individuelle Bewältigungsstrategien
Betzelts Studie gibt auch Auskunft über die Fähigkeiten der KulturarbeiterInnen, mit der spezifischen Problematik ihrer Situation umzugehen. Besonders bemerkenswert ist, dass es den Frauen (in der Mehrzahl) und Männern überwiegend gelingt, sich kontinuierliche und komplexe Erwerbsbiografien zu schaffen. Die wissensintensiven DienstleisterInnen zeigen überwiegend eine hohe subjektive Zufriedenheit mit ihrer Lebenssituation und verstehen ihre Tätigkeit, ihren Beruf als Berufung. Jede und jeder für sich entwickeln sie individuelle Handlungsmuster, die ihnen einen Ausgleich zwischen persönlicher Autonomie und marktlichen Restriktionen ermöglichen. Was heißt das?
Während die bisher als „normal“ geltenden Erwerbsbiografien – eine lebenslange Tätigkeit im Ausbildungsberuf mit der Möglichkeit, auf der „Karriereleiter“ aufzusteigen – allmählich aussterben, die Kontinuität von Arbeit und Leben also immer stärker in Frage steht, kann ein Großteil der AkademikerInnen in WKD diese Kontinuität bewahren. Allerdings ist der Preis dafür eine weitgehende soziale Entsicherung und ein extrem niedriges Erwerbseinkommen. Komplexe Erwerbsbiografien gibt es auch bei abhängig Beschäftigten in vielen Berufsfeldern. Bei den selbstständigen AkademikerInnen in Betzelts Studie wird durch deren Verständnis ihrer Erwerbstätigkeit als Berufung die Einheit von Person & Profession in den Mittelpunkt gerückt. Was ihre Zufriedenheit ausmacht, hat also damit zu tun, dass sie in ihrer Tätigkeit oder ihren Tätigkeiten ganz aufgehen, dass sie diese gerne und motiviert ausüben, einen hohen Anspruch an die Qualität ihrer Dienstleistung(en) haben und erleben, dass sie ihre Kompetenzen, Qualifikationen und Begabungen optimal und sinnvoll einsetzen können.
„Arbeiten in der Buchbranche heute“
Sigrid Betzelts Studie über „AlleindienstleisterInnen zwischen Privileg und Prekariat“ im Bereich der wissensintensiven Dienstleistungen mit Schwerpunkt Kulturbereich wird ergänzt und bestätigt durch eine im Auftrag des Netzwerks BücherFrauen durchgeführte Studie über „Arbeiten in der Buchbranche heute“29. Das Netzwerk, 1990 nach dem Beispiel der Women in Publishing (WiP) gegründet, versammelt im deutschsprachigen Raum etwa 850 Frauen in Berufen rund um das Buch. Die Buchbranche ist zu 80% weiblich – und was bedeutet das für Arbeit, Leben, Geld? Das interessierte die BücherFrauen zu ihrem 20jährigen Jubiläum. In ihrem Auftrag hat Romy Fröhlich, Professorin für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Berufsfeldforschung an der Universität München, die erste berufsübergreifende Untersuchung des Berufsfeldes Buchbranche durchgeführt. An der Online-Befragung, die der Studie zugrunde liegt, haben sich mehr als 1.200 angestellte und selbstständige Frauen und Männer beteiligt. Das Fazit ist ernüchternd: „In der Buchbranche wird erschreckend wenig verdient, obwohl die, die dort arbeiten, sehr gut ausgebildet und hoch motiviert sind. Erstaunlich ist, dass die Büchermenschen trotzdem immer noch zum großen Teil zufrieden sind in ihren Berufen.“30 Frauen verdienen weniger als Männer, höhere Qualifikationen wirken sich bei Frauen – anders als bei Männern – nicht auf Gehalt oder Einkommen aus, Frauen sind in Führungspositionen nicht annähernd ihrem Anteil in der Branche entsprechend vertreten. Mehr als zwei Drittel der für die Studie Befragten sind kinderlos; Kinder zu haben, wirkt sich durchaus auf das Einkommen aus: „Väter verdienen mehr als kinderlose Männer, Mütter weniger als kinderlose Frauen.“
Medienberufe wie die Buchbranche gehören zu den Berufsfeldern, die weiblich dominiert sind und in denen viele Beschäftigten mit besonderem Engagement arbeiten; sie sind aber auch von ökonomischen Krisen, verschärftem Wettbewerb und technischen Veränderungen (Digitalisierung, Verbreitung von E-Books u.a.m.) besonders betroffen. Auch für die Berufsfelder Journalismus, Public Relations und Lektorat bestätigt sich der Zusammenhang von Akademisierung, Prekarisierung und Feminisierung. In der Studie sind FreiberuflerInnen nur zu 21% vertreten; unter diesen sind 91% weiblich. Frauen erhalten – ob angestellt oder freiberuflich tätig – im Schnitt 36% weniger für dieselbe Arbeit als ihre männlichen Kollegen. Die Arbeitszufriedenheit ist bei Frauen wie Männern in der Buchbranche etwa gleich hoch, und sie hängt in hohem Maße mit der Identifikation mit dem Bücherberuf zusammen.
Fröhlich kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass die FreiberuflerInnen unter den Befragten etwa ein Drittel ihrer Arbeitszeit berufs- bzw. branchenfremd verbringen, und sieht darin eine Deprofessionialisierungstendenz. Allerdings räumt sie ein: „Ob ein Anteil von ca. einem Drittel quasi branchenfremder beruflicher Tätigkeiten schon ein Hinweis auf erste Entgrenzungs- und Prekarisierungstendenzen ist, weil es im eigentlichen Kernberuf und in der eigentlichen Kernbranche für die dort tätigen ‚Professionals‘ immer weniger angemessene Auftrags- und Verdienstmöglichkeiten gibt, oder ob das einfach nur ein Zeichen von großer Flexibilität und Freude an selbst gewählter Vielfalt und Abwechslung ist, muss hier unbeantwortet bleiben.“31 Die Profile der meisten BücherFrauen zeigen, dass die Verbindung verschiedener wissensintensiver Dienstleistungen oder auch eine „Mischkalkulation“ mit zusätzlichen Tätigkeiten wie z.B. Yoga-Lehrerin, Fotografin, Taxifahrerin, Coach oder Dozentin zum Berufsalltag gehören. Antiquarin, Autorin, Bibliothekarin, Buchhändlerin, Herausgeberin, Illustratorin, Journalistin, Lektorin, Literaturagentin, Übersetzerin – diese Berufsfelder aus der Buchbranche sind nicht nur kompatibel miteinander, sondern auch mit ganz anderen Tätigkeiten, wenn die jeweils individuelle Mischung als subjektiv sinnvoll erlebt wird. Dabei können auch freiberufliche Tätigkeiten und abhängige Beschäftigung miteinander verbunden werden.