Читать книгу Ausgewählte Briefe, Band 1 - Sophronius Eusebius Hieronmyus - Страница 28

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43. An Marcella

[Vorwort]

Dieser von einem eigenartigen Hauch der Romantik durchwehte Brief verläßt den Schreiber in einer stark melancholischen Stimmung. Rom ist ihm verleidet. Deshalb sucht er Marcella zu bestimmen, zusammen mit ihm Rom zu verlassen und in der Einsamkeit des Landlebens in klösterlicher Zurückgezogenheit zu leben. Selbst den Kreis der aszetischen Matronen, deren Seelenführer und Lehrmeister er war, will er preisgeben. Darin liegt allerdings noch keine Bestätigung für Grützmachers Meinung, daß die gebotene Sittenschilderung sich gerade auf diesen Kreis bezieht, 220 mochten ihm auch gewisse Enttäuschungen nicht erspart geblieben sein. Diese ist vielmehr allgemein menschlich gehalten, und stellenweise schließt sich Hieronymus selbst mit ein.

Wir kennen nur eine Epoche während des römischen Aufenthaltes, in welche sich eine solche niedergedrückte Stimmung zwanglos einfügen läßt. Es ist die Zeit unmittelbar nach Damasus’ Tode, in der Hieronymus Gegenstand vielfacher Anfechtungen war. Ich fasse den Brief auf als einen Versuch, Rom zu verlassen, ohne allzu weit von der Hauptstadt entfernt zu sein, um die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten. Der Brief dürfte also ins Jahr 385 zu verlegen sein. Rauschens Versuch, ihn der ersten Zeit des römischen Aufenthaltes zuzuweisen, ist als gescheitert zu betrachten. 221 Eine andere Auffassung, die den Brief als eine von Bethlehem aus an Marcella gerichtete Aufforderung, Rom zu verlassen und sich auf das stille Land zurückzuziehen, beurteilen will, wird der starken persönlichen Note des Briefes in keiner Weise gerecht. 222 Auch bietet der Text keinerlei Handhabe für eine derartige Vermutung. Dasselbe gilt von Pronbergers Meinung, der Brief enthalte eine Einladung, zu ihm nach Bethlehem zu kommen. 223

1.

Ambrosius 224 ermöglichte es, daß unser Adamantius und Chalkenterus 225 unzählige Bücher verfassen konnte, indem er die Auslagen für Papier, Lebensunterhalt und Schreibhilfen bestritt. In einem Briefe, den er von Athen aus an Origenes richtete, teilt er mit, daß er sich niemals mit diesem zusammen zu Tische gesetzt habe, ohne daß dabei eine Lesung gehalten wurde. In seiner Anwesenheit sei er nie zur Ruhe gegangen, bevor einer der Brüder aus der Heiligen Schrift vorlas. Diese Übung setzte sich Tag und Nacht fort, so daß die Lesung das Gebet und das Gebet die Lesung ablöste.

2.

Haben wir, die Diener des Fleisches, je so gehandelt? Lesen wir in die zweite Stunde hinein, dann fangen wir an zu gähnen, reiben mit der Hand das Gesicht, greifen nach dem Magen und zerstreuen uns wieder mit weltlichen Dingen, wie wenn wir eine gewaltige Anstrengung hinter uns hatten. Ich übergehe die Gastmähler, welche den Geist belasten und niederdrücken. Ich schäme mich, von den häufigen Besuchen zu reden; denn Tag um Tag gehen wir zu anderen oder erwarten diese bei uns. Dabei kommt man ins Geplauder, führt müßige Reden, fällt über die Abwesenden her, hechelt ihre Lebensweise durch, und wir zehren einander auf, indem wir uns gegenseitig beißen. 226 Unter solchen üblen Gesprächen geht man zu Tisch und erhebt man sich wieder von der Mahlzeit. Haben sich die Freunde entfernt, dann geht die Rechnerei los. Schließlich wird man wütend wie ein Löwe und macht sich überflüssige Sorgen um die Zukunft auf viele Jahre hinaus. Aber an das Wort des Evangeliums, das da lautet: „Tor, in dieser Nacht wird man dein Leben von dir fordern. Wem wird dann gehören, was du zusammengerafft hast?“ 227 denken wir nicht. Man begnügt sich keineswegs mit der notwendigen Kleidung, sondern die Modefrage gehört mit zur Unterhaltung und Zerstreuung. Wo ein Vorteil herausschaut, macht man sich sofort auf den Weg, spart kein Wort und spitzt die Ohren. Erfährt man von einem Verlust, wie er öfters im Haushalte vorkommt, dann läßt man vor Traurigkeit den Kopf hängen. Ein gewonnener Pfennig macht uns glücklich, ein verlorener Groschen macht uns betrübt. Weil nun das Bild der Seele im gleichen Menschen so verschieden erscheint, deshalb bittet auch der Prophet den Herrn; „Entferne, o Herr, ihr Bild aus deiner Stadt!“ 228 Obwohl wir nach Gottes Bild und Gleichnis erschaffen sind, 229 spielen wir in unseren Sünden die mannigfaltigsten Rollen. Wie auf der Bühne ein und derselbe Schauspieler bald als strammer Herkules auftritt, bald wie ein Weichling im Kult der Venus sich aufreibt, bald wie ein Priester der Kybele in Ekstase gerät, 230 so spielen auch wir, die die Welt hassen würde, wenn wir nicht von der Welt wären, 231 mit jeder Sünde eine neue Rolle.

3.

Wir haben bereits ein gut Teil unseres Lebenslaufes in unentschiedenem Schwanken hinter uns. Mancher Sturmwind hat unser Schifflein erschüttert, manchmal ist es auf Klippen geraten und leck geworden. Deshalb wollen wir so bald wie möglich uns in die stille Verborgenheit des Landlebens wie in einen sicheren Hafen zurückziehen. Dort sei unsere Nahrung Schwarzbrot und Kohl, den wir selbst begossen haben, ferner Milch, überhaupt die ländlichen Leckerbissen. Sie sind zwar schlicht, dafür aber auch um so harmloser. Bei solcher Lebensweise wird uns weder der Schlaf vom Gebete noch die Übersättigung von der Lesung abhalten. Ist es Sommer, dann mag ein stilles Plätzchen unter einem Baume uns Schatten spenden. Naht der Herbst, so werden die milde Luft und die auf dem Boden umhergestreuten Blätter zur Rast einladen. Im Frühling leuchten die Fluren im Blumenschmuck, und beim lockenden Gesang der Vögel singen sich die Psalmen noch einmal so angenehm. Wird es Winter, setzen Kälte und Schnee ein, dann werde ich kein Holz kaufen. Trotzdem wird mir wärmer sein, mag ich nun wachen oder schlafen. Sicherlich, das weiß ich, werde ich nicht schlimmer frieren als hier. Ich frage nichts nach Rom und seinem lärmenden Treiben. Mögen die Gladiatoren in der Arena wütend gegeneinander losstürmen, mag man im Zirkus rasen, mögen die Theater ihren Luxus entfalten! Mag man sich, um schließlich auch auf unseren Zirkel zu kommen, Tag um Tag im Kreise der vornehmen Frauen zusammenfinden, für uns ist es gut, Gott anzuhängen und auf den Herrn unsere Hoffnung zu setzen. 232 Haben wir dann einmal für diese unsere selbstgewählte Armut den Himmel eingetauscht, dann können wir sprechen: „Was habe ich im Himmel, und was liebe ich auf Erden außer dir?“ 233 Wo solcher Reichtum uns im Himmel erwartet, muß es uns da nicht schmerzen, hier auf Erden nichtigen und hinfälligen Dingen nachzugehen?

Ausgewählte Briefe, Band 1

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