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Hanna und ich erzählten uns unsere Familiengeschichten und fanden es spannend herauszufinden, wie sich „die Alten“ damals im »Tausendjährigen Reich«, das zwölf Jahre währte, wohl verhalten hatten. Wir entdeckten von Treffen zu Treffen immer neue, manchmal recht überraschende Nuancen unserer Familiengeschichten, und da wir im Geschichtsunterricht laut Lehrplan gerade die Nazizeit durchkauten, war es für uns besonders spannend. Das war zwar keineswegs ein erotisches, vielmehr ein ernüchternd lehrreiches Thema. Und dennoch sprachen wir – meistens nach unseren knutschreichen Liebeleien – gerne über die Erfahrungen mit unseren Familien.

Noch mehr aber sprachen wir in jener wolkenbe-deckten Augustwoche über die sinnentleerten Wohlstandsideale und wie man andere Ideale an deren Stelle setzen könnte. Da gab es die Gegenkultur der Hippies, der Blumenkinder, die sich seit 1965 rasant von San Francisco aus über die westliche Hemisphäre der Jugendlichen verbreitet hatte.

„Schatzi“, sagte ich, „ich finde die Hippies gut, die haben eine Lebensvorstellung, wie sie mir gefällt: frei von Zwängen und frei von all den kleinbürgerlichen Tabus.“

„Ja“, antwortete Hanna, „frei von diesem und jenem – das klingt gut. Aber wofür sollten wir eintreten? Was ist unser Ziel?“

„Unsere Selbstverwirklichung“, sagte ich.

Anders als die Gammler, die dem Leistungsdruck nur entfliehen wollten, war die Flower-Power-Bewegung der Hippies auf der Suche nach neuen, menschlicheren Lebensweisen und Umgangsformen. Und wie wir hörten, entstanden in den USA auf dem Land die ersten Kommunen.

Die Hippies trugen bunteste Klamotten und schulterlanges Haar wie die Gammler. Die Mädels steckten sich Blümchen ins Haar, trugen wie die Jungs farbige Stirnbänder und bunt gescheckte Halstücher. So etwa kleidete sich jetzt auch Hanna, sogar in der Bettinaschule, wo sie von nun an das erste Hippiemädchen und modisches Vorbild für ihre Klassenkameradinnen war.

Nur ein Jahr später sollte die BRAVO das Hippie-Outfit kommerzialisieren und auf eine reine Modebewegung reduzieren.

Ich ging in den Schulmonaten nach den Sommerferien morgens als braver Schüler im üblichen und langweiligen Dresscode zum Unterricht. Aber nach der Schule ließ ich die Sau raus und ließ die Farben in mein graues Leben. Das war fast schon als mutig zu bezeichnen.

„So willst du auf die Straße!“, rief Mutter entsetzt aus. „Was sollen denn die Nachbarn denken!“

Als hätte die Schallplatte einen Sprung, hörte ich diese Vorhaltungen wohl gefühlte Ewigkeiten lang. Aber tatsächlich kümmerte mich die spießige Besorgtheit meiner Eltern schon nach wenigen Wochen keinen Deut mehr. Ich war ich. Hatte ich nicht das Recht auf Selbstverwirklichung – und wenn es nur die Selbstverwirklichung mit Hilfe des Klamotteninhalts aus dem furnierten Kleiderschrank der Fünfziger Jahre war?

Sexy Zeiten - 1968 etc.

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