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Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Vater samt seiner Polizeieinheit in die Wehrmacht eingegliedert. Da war er dann bei den Feldjägern an der Ostfront. Das waren keine heiligen Jungs. Ob er inzwischen politisch „umgedreht“ war, konnte ich niemals in Erfahrung bringen. Ich nehme es an, denn der fanatische Natio­nalismus hatte einer breiten Volksmehrheit den klaren Verstand geraubt. Die Zeit bei der Militärpolizei muss bei ihm so schreckliche Eindrücke hinterlassen haben, dass er sie beharrlich totschwieg.

Noch schlimmer aber waren die Angehörigen der Waffen-SS. Mein Vater hasste sie. Nicht nur weil sie ihm in die berufsmäßige „polizeiliche“ – und in seine religiöse sowie moralische – Quere kamen. Sie brannten „ohne Kriegsgrund“ ganze Dörfer ab und erschossen die Dorfbewohner. Das waren Kriegsverbrechen gegen Zivilisten. Die Waffen-SS, die ihnen, den auf militärischen Ehren eingeschworenen Soldaten, nicht geheuer war, war selbst für die abgebrühten Frontsoldaten eine unmoralische und gnadenlose Mörderbande.

Vater sagte einmal: „Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, mit welcher Brutalität, mit welchen Mordgelüsten diese Verbrecher von der Waffen-SS in Russland wüteten.“

Später sagte er einmal, er würde verstehen, wenn uns die Russen bis zum Sankt Nimmerleinstag hassen würden. Gottseidank bekam er jedoch noch mit, dass dies nicht der Fall war. Dafür mochte Otto seinen Schwager, meinen Onkel Karl, überhaupt nicht, denn der war ein hohes Tier bei der Waffen-SS gewesen.

„Was der für ein Gewissen hat, möchte ich gerne wissen! Wie der damit leben kann!“

Mehr erfuhr ich aber nicht. Nur meine Mutter bemerkte eines Tages, als es am Familientisch um das Thema Kriegsschuld ging, dass Onkel Karls Einheit in sehr böse Sachen verstrickt gewesen war. Wie ich heute weiß, scheute sie sich vor der ganzen schrecklichen Wahrheit. Das hätte womöglich auch das Bild von ihrer Schwester beschädigt.

Jedenfalls mochten sich Onkel Karl und mein Vater gegenseitig nicht. Für Karl war Otto ein kleiner nichtsnutziger sozialdemokratischer Beamter. Und für meinen Vater war sein Schwager Karl ein großkotziger Altnazi, der jetzt mit Hilfe alter Seilschaften Karriere an der Spitze des größten deutschen Versicherungskonzerns machte. Ohne dass ich damals einen blassen Schimmer von „Kommunismus“ hatte, kannte ich schon den „Antikommunismus“. Denn ich hatte Onkel Karl von Anfang an als einen fanatischen Antikommunisten kennen gelernt – wahrscheinlich entlud sich hierin sein schlechtes Gewissen, wenn er denn überhaupt noch ein Gespür dafür besaß, was er den Menschen Russlands angetan hatte.

Eine damals typische Erkrankung der Frontsoldaten rettete meinem Vater im Krieg das Leben. Er er- krankte 1943 an Ruhr und wurde von der Ostfront abgezogen. Nach seiner Genesung kam er nach Italien, wo er 1945 von den Amerikanern gefangen genommen wurde. Das war reine Glückssache. Als er 1948 aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause kam, waren seine Kinder Ursula und Günter bereits sechs und fünf Jahre alt.

Hanna hatte keine Geschwister. Als Einzelkind ge- noss sie die volle Aufmerksamkeit ihrer Eltern, was bedeutete, dass ihre schulischen Leistungen super gut waren. Meine hingegen pendelten in der Gymnasialzeit um den mittleren Level herum. Ich war auf dem naturwissenschaftlichen Zweig, der mir sehr lag. Mathe, Chemie, Physik, Bio – das waren „meine“ Fächer, sie waren mir sehr wichtig und ich bemühte mich redlich. Meine Lieblingsfächer aber waren Geschichte und Sozialkunde. Religion fand ich kotzlangweilig. Erst in der letzten Klasse wurde aus dem religiösen Gebrabbel mehr ein pseudophilosophischer Ethikunterricht. Das war halbwegs interessant. Hanna besuchte den sprachlichen Zweig ihres Mädchengymnasiums. Mitte der Sechziger Jahre wurden die Geschlechter noch getrennt unterrichtet.

Sexy Zeiten - 1968 etc.

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