Читать книгу Sexy Zeiten - 1968 etc. - Stefan Koenig - Страница 23

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Die sexuelle Revolution von Hanna und mir fand in den folgenden drei Sommerwochen des Jahres 1966 nicht so recht statt. Wir fabrizierten eher kleine Reförmchen. Wir dümpelten liebestechnisch mit Dingen dahin, die wir uns in BRAVO und TWEN oder – noch viel besser – in irgendwelchen studentischen Aufklärungsbroschüren angelesen hatten. Wir lernten neue Fremdwörter kennen. Mit Fellatio versuchte Hanna an mir die hohe Kunst vom Lecken, Saugen und Lutschen. Mit Cunnilingus revanchierte ich mich bei ihr für den Blow-Job. Das Petting-Programm beschäftigte uns in ziemlich gleichberechtigter Weise. Schließlich hatte die BRAVO und sein Dr. Sommer-Team sachkundig aufgeklärt, was Petting bedeutet, nämlich knutschen, fummeln, streicheln, zärtlich beißen, kurzum: heiß machen. So vergingen die hochsommerlichen Wochen.

In einer jener Wochen, am Abend der dritten miss- glückten Entjungferung und zehn Tage vor unserer Trennung, erzählten Hanna und ich uns wieder einmal unsere Familiengeschichten. Und wieder fragten wir uns, wie unsere Väter und Mütter in der Nazizeit und während des Krieges wohl gewesen waren. Wir fragten, warum keiner dieser Männer und Frauen, die wir als Eltern und Großeltern zutiefst zu kennen schienen und die wir als solche auch bei unseren Schulkameraden kennen lernten, warum keiner von ihnen aufgemuckt hatte. Niemand außer einer Handvoll Verschwörer hatte versucht, dem Nazipack Einhalt zu gebieten. Was für ein Volk waren wir denn?! Hochnäsige Herrenmenschen und doch nur hochfeige? Großkotzig und doch nur kleinkarierte Duckmäuser?

Noch empfanden wir Jugendliche unsere Alten nicht als das, was sie zu diesem Zeitpunkt aus tiefenpsychologischer Sicht wohl waren – eine gebrochene Generation, ein gebrochenes Volk. Weit über fünf Millionen deutsche Männer kamen aus dem Wahnsinnskrieg nicht mehr lebend heim, in den eine braun-konservative Allianz unser Land gestürzt hatte. Die, die es nachhause schafften, mussten jetzt die Ärmel hochkrempeln und aufbauen.

Die Frauen leisteten dabei in den ersten Nachkriegsjahren den Hauptanteil an dieser Schwerstarbeit. Es sollte später ein schwerwiegendes Argument sein, um sich auf dem Gebiet der Erwerbsarbeit an die gleichen Rechte, wie sie die Männer besaßen, heranzupirschen. Das war eine mühselige, bis heute andauernde Arbeit. Oder anders gesagt: Es war eine politische Schwerstarbeit, behindert von braun-schwarz durchsetz- ten Strukturen und ihren Repräsentanten. Sie setzten den Erhalt männlicher Privilegien irrtümlich mit der Sicherung der kapitalistischen Wirtschaft gleich.

Aufstehen! In die Hände spucken! Aufräumen und aufbauen! Aus Ruinen auferstehen! So lauteten die Schlagworte jener Zeit. Ein historisch unweigerliches Folge-Produkt des Nazi-Desasters war übrigens die antifaschistische Nachkriegs-Ordnung im Osten, die DDR.

„Wer hat denn die DDR aufgebaut“, fragte ich Klint, einen meiner älteren Gammlerfreunde, der fast jeden Tag am Marshallbrunnen auf seiner Klampfe spielte und auf alles eine Antwort zu wissen schien.

„Sie wurde von Männern und Frauen gegründet, die unter den IG Farben, unter Krupp und Hitler im Knast, in Folterkellern, in KZ’s oder im Exil saßen und das Glück hatten zu überleben.“

Noch wusste ich zu wenig. Mit sechzehn Jahren war mir die Ostzone – oder nur »Zone«, wie sie verkürzt von den Westzonlern genannt wurde – noch ein fernes, fremdes und völlig unverständliches Ausland.

Mein Vater war im Dritten Reich trotz seiner sozi- aldemokratischen Einstellung kein wirklicher Wider- ständler gewesen. Er habe zwar „gemuckt“ sagte er, schließlich jedoch „widerwillig mitgemacht, weil alle mitmachten.“ Ich glaube, dass er ursprünglich ver- dammt antisozialistisch war, wahrscheinlich ein „rech- ter“ Sozi. Später zeigte er allerdings zunehmend Interes- se für meine bohrenden Fragen und wurde lockerer.

Allerdings interessierte ihn die DDR bis zum Jahr 1966 keinen Deut. Denn „da drüben“ herrschte „unmenschlicher Kommunismus und Stalinismus“ und überhaupt war das nix Deutsches „da drüben“. Und mich interessierte dieses andere Deutschland bis dahin nur mäßig. Ich kannte „die Zone“, dieses „da drüben“, lediglich über die märchenhaft-grauenvollen Erzählungen bei den Treffen unserer Jungen Union. Ich glaubte alles. Ohne mit der Wimper zu zucken. Völlig ohne zu hinterfragen.

Sexy Zeiten - 1968 etc.

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