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Anfang des Jahres 1966 hatte die Bundesregierung, die ihren Nachkriegssitz noch in Bonn hatte, das US-Blutvergießen in Vietnam ausdrücklich gut geheißen und unterstützt. Diese völlig unchristliche und unkritische Kriegsbefürwortung befeuerte die pazifistische Bewegung. Eine bislang unbeachtete Kleinpartei von ausgeschlossenen und ausgetretenen Sozialdemokraten gewann an Bedeutung, die DFU, die Deutsche Friedens-Union. Sie warb mit meinem Vorbild, Albert Schweitzer, den ich seit der Grundschule sehr verehrte. Er war ein wahrhaft christlicher Samariter, hatte uns die Grundschullehrerin in Religion gelehrt. Was sie uns verschwiegen hatte – er protestierte seit Ende der 50er-Jahre öffentlich und sehr resolut gegen die Gefahr eines Atomkrieges und forderte den Verzicht auf Versuchsexplosionen, weil die Streuung atomarer Partikel rund um die Welt die Gesundheit der Völker gefährde.

Gut möglich, dass die Grundschullehrerin Angst vor der Reaktion der Eltern hatte, wenn sie Schweitzer an die Seite der Ostermarschierer und jugendlichen Protestbewegung gerückt hätte. Denn alles, was zur Außerparlamentarischen Opposition zählte, war so etwas wie Vaterlandsverrat. Oder zumindest „vom Osten gesteuert“.

Die DFU-Leutchen, bieder in Anzügen gekleidet, verteilten Flugblätter vor den Unis und den Schulen. In einem Flugblatt stand auch etwas über das „tödlichste Waffensystem für unsere Soldaten“. Gemeint war der vom CSU-Chef Strauß beschaffte Bundeswehr-Jagdbomber mit dem kitschigen Sciencefiction-Namen Starfighter. Vom Volksmund bekam er die Namen Witwenmacher und Fliegender Sargnagel. Bei Übungsflügen stürzten insgesamt 269 Maschinen ab und 116 Starfighter-Piloten starben „in Friedenszeiten“.

Trotz dieser tödlichen Pannen ließ der urkonservative, bayrisch-soziale Christ aus Imagegründen die Maschinen noch volle zwei Jahre weiterfliegen, in denen weitere Abstürze passierten. Franz-Josef Strauß wollte seine persönliche Panne nicht eingestehen. Man munkelte schon damals über die „besonderen und pikanten Beziehungen“ des CSU-Verteidigungsministers zur Rüstungsindustrie des Ruhrpotts.

Das sozialdemokratisch dominierte Ruhrgebiet prosperierte dank dieser Waffenschmieden, die sich aus der Energie der Kohle und dem gewonnenen Eisen der Stahlindustrie speisten. Später warb der CSU-Chef, ein kapitalistischer Obertrickser, genau diese milliardenschwere Industrie mit Steuerbefreiungsversprechen und Landgeschenken hinter dem Rücken der Restrepublik ab und krempelte auf diese schmierige Weise das Bayernländle vom Kuhmilchland zum industrieträchtigen Rüstungsstandort um. Der Ruhrpott hatte das Nachsehen und verödete. Uns Schüler erschütterten solch politische Nachrichten im Wirtschaftswunderland schon, die Mädels gewiss auch – aber sie waren mehr auf dem Trip, sich ihre Rechte als junge Frauen zu erstreiten.

Die Altersgruppe, der ich angehörte, hatte noch nicht das ganze umfassende Umgestaltungsprogramm auf dem Schirm, das bereits in studentischen Ausschüssen und Arbeitsgruppen bundesweit erarbeitet wurde. Uns Blutjungen fehlte noch Wissen – und uns fehlte Erfahrung. Wir sollten sie in den kommenden zwei Jahren zuhauf machen.

Erfahrung machten wir auch mit dem billigen Teil der meinungsbildenden Presse, also mit der massenmeinungsmanipulierenden BILD-Zeitung. Mitte Juli 1966 hatten folgende Überschriften die Titelseite geziert: * Bei Spatzenjagd selbst erschossen * Sex-Idol, Frankreichs Filmstar Brigitte Bardot (31), und Deutschlands Playboy Nr. 1, Gunther Sachs (33), haben geheiratet. Im Film heißt sie weiter Bardot * Lasst Deutsche zu Deutschen! * Massenmörder tötete 8 Mädchen. Nur eine entkam dem Hünen. Nach der Mordnacht konnte die überlebende Schülerin die Polizei alarmieren. Dann bekam sie Schreikrämpfe und brach zusammen. *

In der Schule sollten wir solche Überschriften analysieren. Mein Resultat: Das ist Verdummung pur. Ich behielt seitdem die Springerpresse im Auge. Gelegentlich holte mein Vater die BILD, und ich las sie mit den Augen des jungen, unerfahrenen Kritikers, und siedelte diese Pamphlet-Zeitung zwischen kurios, lächerlich und politisch jugendgefährdend ein.

Mein Vater lachte über die BILD und nahm sie als bloße Unterhaltung. Doch das blöde Frauenbild, das die BILD vermittelte, fiel offensichtlich doch irgendwie auf fruchtbaren Boden, denn Otto sträubte sich noch eine gefühlte Ewigkeit gegen den Wunsch meiner Mutter, die unbedingt selbst Geld verdienen und arbeiten gehen wollte. Er versuchte sie zu bestechen. Er setzte ihr das Taschengeld herauf. Er erhöhte ihr den Haushaltsetat, das sogenannte Haushaltsgeld, mit dem sie für die Familie einkaufen konnte. Er unterschätzte jedoch ihren Willen. Und der wiederum hing von ihrer Herkunft ab. In ihrem Elternhaus hatte sie von der Pike auf schwäbische Diplomatie gelernt, das war Liberalität gepaart mit Willensstärke und Beharrlichkeit.

Sexy Zeiten - 1968 etc.

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