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Am Samstag fuhren Hanna und ich mit dem Bus an die Kiesgrube Mörfelden zum Baden. Dort trafen sich allerdings nicht die Stinkis aus unserer Marshallbrunnen-Clique, die ein Bad dringend nötig gehabt hätten. Es waren hauptsächlich unsere Schulfreunde und Freundinnen, so zwischen sechs und zwölf Jugendliche in unserem Alter, maximal achtzehn Jahre alt. Pit war dabei und Gaby, auch Hörbi, den ich noch aus der Realschule kannte und der im Gegensatz zu uns anderen schon stramm politisch war. Sein Thema war der „Antifaschismus“. Später half er mir bei meinen Schulreferaten. Irgendwann wurde dies sein Studienfach im Rahmen der Politikwissenschaft. Er studierte noch Pädagogik. Dann wurde er mein Mitarbeiter in einer Umweltbildungseinrichtung. Und sehr viel später wurde er tatsächlich vielgefragter wissenschaftlicher Experte in verschieden Staatsdiensten in Sachen Antifaschismus.

Wir saßen an der Kiesgrube bis spätabends, zündeten ein Lagerfeuer an und tranken Bier. Das war der Ursprung meines Spitznamens, den ich über Jahre behielt. Denn ich konnte dem bitteren Bier nichts abgewinnen und bevorzugte Karamalz. Das war ein kalorienreiches, nichtalkoholisches Malzbier, das mir mein sportlicher Vater empfohlen hatte, das „inoffizielle Getränk der Helden“, wie er meinte. Seitdem hieß ich Kara.

Mein Vater mied Alkohol, bis auf den Apfelwein. Davon trank er schon mal ein Glas zum Abendbrot. Man konnte ihn auch getrost als Nichtraucher bezeichnen, denn er rauchte nur sonntags eine einzige Zigarette, Reval oder Reyno mit Menthol-Geschmack. Er hatte mir das Rauchen nicht verboten. Im Gegenteil, schon sehr früh schenkte er mir großkalibrige Zigarren und meinte, die hätten so einen tollen Duft. Ich roch sie gerne und sammelte sie seit meinem dreizehnten Lebensjahr. Natürlich hatte ich sie auch mal geraucht – und das ging ganz schön in die Hose. Auch Bier mit Schuss hatte ich damals in frühen Jahren von meinem Vater erlaubt bekommen, das war ein genialer pädagogischer Schuss ins Schwarze. Ich fühlte mich zwei Tage elend.

Die Folge mit sechzehn Jahren war, dass ich nun hier in meiner Clique am Badesee der einzige Nichtraucher und Nichttrinker von Alkoholika war. Das war eine verdammt blöde Außenseiterrolle. Aber da halfen mir die Weiber. „Weiber“ sagten wir Jungs damals tatsächlich noch, jedenfalls hin und wieder. Die Mädels erklärten mich zum standhaften Helden, da mich meine männlichen Herausforderer selbst nach wochenlanger Bearbeitung nicht dazu bewegen konnten, Zigaretten und das echte Männerbier mit ihnen zu teilen. Ich stand es durch. Es half mir später, in und vor Gruppen meinen Standpunkt standhaft zu verteidigen.

Wir paddelten auf zusammengebundenen Holzflößen und – ganz modern – auf Luftmatratzen über das stille, klare Wasser. Dass es stark kerosinbelastet war, erfuhren wir erst zwei Jahre später. Damals ließen die amerikanischen Militärflugzeuge und die zivilen Flieger über Mörfelden massenweise ihren Treibstoff ab, um gefahrloser und leichter auf dem Rhein-Main-Flugplatz landen zu können. Übrigens hieß der Flugplatz tatsächlich »Flughafen« und noch lange nicht so wie heute: »Rhein-Main-Airport«. Die Amerikanisierung der deutschen Sprache steckte noch in den Kinderschuhen.

Am Abend sammelten wir Holz für ein Lagerfeuer und grillten. Die meisten Jungs und auch Mädels tranken Bier. Es war ein Wunder, dass manche trotz ihres halb besoffenen Zustandes in dieser spätsommerlichen Hitze wieder lebend aus dem Wasser stiegen, in das sie sich zuvor Hals über Kopf gestürzt hatten. Ohne langsame Abkühlung, wie es uns die Eltern immer wieder einbläuten. Aus Pits voluminösem Radiorekorder – Ghettoblaster lagen noch für eineinhalb Jahrzehnte in der unvorhersehbaren Zukunft – hörten wir auf Audiokassetten Tonbandmitschnitte von Konzerten der Beatles, von The Troggs oder von The Mamas and The Papas: „Paperback Writer“, „With a girl like you“, „Monday Monday“.

Unsere Clique blieb regelmäßig am längsten am Strand der Kiesgrube. Pit drehte auf volle Lautstärke und wir tanzten schweißtreibend im Sand, bei flackerndem Lagerfeuer. Bis die Batterien alle waren. Sie hielten nicht länger als drei Stunden. Manchmal hatten wir Glück und hatten Ersatzbatterien mit; eine teure Sache. Erst kurz bevor der letzte Bus in die City fuhr, brachen wir auf. Meistens erreichten wir den Hauptbahnhof gegen Mitternacht und hatten Schwierigkeiten, die letzte Tram nachhause zu bekommen. Dann mussten wir total erschöpft den Fußweg antreten.

Der Fußweg führte uns schnurstracks durchs Rotlichtviertel der Kaiserstraße. Die Polizei durfte uns hier nicht erwischen, denn um diese Uhrzeit waren Sechzehnjährige in diesem Viertel nicht erwünscht und man riskierte, dass die Bullen bei den Eltern vorstellig wurden. Joachim war in meiner Klasse, aber nicht in unserer Clique. Der Grund war einfach. Sein Vater war bei der Sitte. Die Sittenpolizei streifte auch an jenem Abend durch das Rotlichtmilieu. Das waren Bullen in Zivil, die auf die eine oder andere Art den Nutten und den Freiern das Leben schwer machen sollten. Als Hanna, Hörbi, Gaby, Pit und ich nun auf unserem Heimweg an einem Sexshop stehen blieben und uns an den ausge- stellten Dildos und anderem Zubehör erfreuten, tippte mir ein Ziviler von hinten auf die Schulter.

„Na, Herr Koenig, ist das nicht ein ungeeigneter Ort und eine ungeeignete Uhrzeit, um hier zu flanieren? Wissen das eigentlich Ihre Eltern?“

Wir erschraken. Joachims Vater kannte mich, weil ich hin und wieder bei ihnen zu Hause war, um Joachim in Physik und Chemie bei den Hausaufgaben zu helfen. Dafür half mir Joachim in Bio, wo er ein ausgesprochenes Ass war. Vererbungslehre.

„Oh, Herr Stiglmaier, ja, äh, also wir sind auf dem Heimweg. Zu Fuß. Die Tram. Also, wir haben die letzte Tram verpasst.“

„Wo ward ihr denn zu so später Stunde?“

„Wir kommen von der Kiesgrube. Mörfelden …“

„Na, da habt ihr ja auch ein Verbot übertreten. Da ist doch Baden gar nicht erlaubt.“

„Wir haben da nur gesonnt und am Abend ein Feuerchen gemacht.“

„Feuer machen ist dort auch nicht erlaubt.“

„Äh … nur kurz. Wir hatten es nur ganz kurz an. Und wir haben es nicht allzu heiß werden lassen.“

Jetzt musste Joachims Vater lachen. Er verwarnte uns kurz und sagte, er sehe über eine Unterrichtung unserer Eltern hinweg. Wir sollten uns hier aber nicht mehr zu so später Stunde sehen lassen und überhaupt.

„Das ist auch gefährlich, weil sich eine Menge Kriminelle auf der Kaiserstraße herumtreiben.“

Das stimmte wohl.

1966 war die Mainmetropole berüchtigt und Westdeutschlands Kriminalitätshochburg. Neun Jahre zuvor hatte Frankfurt durch den Mord an der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt bundesweit traurige Schlagzeilen gemacht. Sie hatte Kontakte zu hohen Tieren, und man munkelte, dass wohl deshalb ihr Fall nie aufgeklärt werden konnte. Der alltägliche Ganoven-Brennpunkt aber lag genau hier, rund um den Hauptbahnhof.

Für unsere Clique war diese anrüchige Gegend gerade deshalb irgendwie fesselnd und reizvoll und bot Stoff zu allerhand Räubergeschichten. Vielleicht wollten wir Jungs auch mal Zuhälter und unsere Weiber unsere Pferdchen werden. Das wäre ein Abenteuer! Auch Hanna bekam hier große Augen, denn wir Jugendliche hatten so etwas wie in den hiesigen Schaufenster-Auslagen noch nie gesehen. Ich sollte mich erst zwei Jahre später wieder in dieses Milieu wagen. Solange jedenfalls hielt der Schreck an, den uns Joachims Bullenvater eingejagt hatte.

Sexy Zeiten - 1968 etc.

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