Читать книгу Menschenwürde nach Nietzsche - Stefan Lorenz Sorgner - Страница 24
2.3.3 Der Weise
ОглавлениеBei den Stoikern wird das Leben „in Übereinstimmung mit der Natur“ als das höchste Gut bezeichnet und das Ehrenhafte in der ausgeprägten Form findet sich ausschließlich bei Weisen „und es kann niemals von der Vollkommenheit losgerissen werden“. Die Nichtweisen hingegen besitzen ausschließlich Abbilder des Ehrenhaften.34 Es ist jedoch nicht klar, was Cicero meint, wenn er schreibt, dass es „niemals von der Vollkommenheit losgerissen“ werden kann, da Cicero durchaus die Meinung vertritt, dass es dem Weisen passieren kann, „dass ihm trotz aller umfassender, sorgfältigster Prüfung etwas wahrscheinlich erscheine, was dennoch sehr weit vom Wahren entfernt sei“35, also könne auch der Weise irren. Ist es möglich, dass jemand in gewisser Art vollkommen ist, jedoch trotzdem irrt? Wie ist Vollkommenheit hier zu verstehen? Forschner sagt über den Weisen:
„‚Tugend‘ meint Geist in Perfektion, vollkommene Vernunft, verkörpert vom Weisen, der in erhabener Freiheit und völliger Selbstgewissheit seiner Autarkie alles, was ihm zustoßen oder verloren gehen kann, für gering erachtet und in affektloser Ruhe und Gelassenheit sein Leben lebt.“ (Forschner 1999, 179)
Merklin betont, dass der Weise bestimmt sei, durch die absolute Ausrichtung in Übereinstimmung mit der Natur zu leben.36 Wie bei den Stoikern kommt bei Cicero dem Weisen die höchste Stellung innerhalb der Ethik zu und auch bei ihm sei das höchste Gut damit verbunden, „in Übereinstimmung mit der Natur zu leben“. Seine akademische Skepsis wirkt sich jedoch auf sein Verständnis des Weisen aus. Der Weise lebe zwar gemäß der Natur, da er aber diese nie ganz erkennen kann, könne er irren. Trotzdem habe er die Tugend in Perfektion erreicht, weshalb er diesbezüglich als vollkommen zu bezeichnen ist.
Im Gegensatz zu den Stoikern, die die Auffassung vertreten, dass jeder, der nicht tugendhaft ist, lasterhaft sei, fokussiert Cicero nicht auf den Weisen, sondern auf die, die sich zur Weisheit hinbewegen, da er im Unterschied zu den Stoikern davon ausgeht, dass eine graduelle Annäherung an die Tugend möglich ist. Der Weise stellt nur eine bestmögliche Annäherung an die vollkommene Tugendhaftigkeit dar.