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3.3 Die Stellung der Würde innerhalb Manettis Ethik

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Einerseits ist der Mensch bei Manetti in ein christliches Weltbild eingebunden, was insbesondere daran deutlich wird, dass auch die Würde an Gottebenbildlichkeit gebunden ist, andererseits findet sich bei ihm eine immense Aufwertung des Körpers im Vergleich zu der Position vieler christlicher Denker der damaligen Zeit, womit eine Höherschätzung der gesamten diesseitigen Welt einhergeht. Analog zu dieser Erkenntnis lassen sich Bezüge zu den von Manetti beschriebenen menschlichen Pflichten erkennen. Die Motivation, sich an die von Manetti spezifizierten Handlungspflichten zu halten, liege darin, dass sie zum höchsten Gut führen sollen. Sich nach diesem zu richten entspricht der Würde eines jeden Menschen. Das höchste Gut zu erkennen und zu beschreiben ist das zentrale Anliegen seiner ethischen Überlegungen. Weiterhin geht es ihm darum, wie auch schon Cicero, das rechte Verhältnis zwischen der vita activa und der vita contemplativa zu bestimmen. Bejahend stimmt er Cicero zu, wenn dieser schreibt, „dass der Mensch natürlich wie ein sterblicher Gott zum Denken und zum Handeln geboren werde“ (Manetti 1990, 91). Das Denken (vita contemplativa) und Handeln (vita activa) seien die beiden spezifischen, den Menschen kennzeichnenden Tätigkeiten.30 Er betont sogar, dass diese Fähigkeiten exklusiv den Menschen zukämen.31

Aufgrund der großen Bedeutung dieser beiden Bereiche gelte es, die Voraussetzungen für angemessenes Denken und Handeln und das angemessene Verhältnis zwischen diesen Bereichen zu erörtern. Manetti verweist hier speziell auf den Glauben und die Weisheit, „weil in diesen beiden Dingen, die untrennbar verbunden sind, die Aufgabe des Menschen und alle Wahrheit beschlossen liegt“ (Manetti 1990, 92). Die große Bedeutung des Glaubens für Manettis Position ist bereits im Abschnitt zur Erkenntnistheorie deutlich geworden. Der Weisheit hingegen kommt auch bei Cicero eine zentrale Bedeutung zu, jedoch ist der Begriff bei Manetti inhaltlich anders ausgerichtet: „Alle Weisheit des Menschen nämlich hat wohl ihre Grundlage und ihr Fundament darin, dass man Gott vor allem anderen anerkennt und verehrt“ (1990, 79). Es scheint so zu sein, dass der, der glaubt, auch weise ist und weise alle die sind, die wahrlich glauben. Weisheit sei außerdem eine Eigenschaft, die, wie das Denken und Handeln, auch nur den Menschen zukommen könne.32 Die Entstehung der Sprache sieht Manetti als eine unabdingbare Voraussetzung zur Vermittlung des Denkens und damit auch der Weisheit an (1990, 77f).

Aus Manettis Überlegungen zur Weisheit und zum Denken und Handeln ergeben sich folgende Schwierigkeiten: Er geht davon aus, dass das Denken und Handeln die signifikanten menschlichen Fähigkeiten sind. Also muss erörtert werden, was unter angemessenem Denken und Handeln zu verstehen ist. Dabei stellt sich heraus, dass der Glaube und die Weisheit notwendige Voraussetzungen für die Erkenntnis Gottes sind. Trotzdem sagt er auch, dass aus dem angemessenen Denken und Handeln erst folgt, dass man Gott „an den sichtbaren Dingen, die er geschaffen hat“, erkennt und ihn, wenn man ihn erkannt hat, zu lieben beginnen und ihn verehren und achten würde (Manetti 1990, 91).33 Angemessenes Denken und Handeln setze jedoch bereits den Glauben voraus.

Der Glaube ermöglicht einem das angemessene Handeln und Denken und dieses führt wiederum zur Erkenntnis Gottes. Man mag einwenden, dass die Argumentation zirkulär sei und der Glaube dazu führe, dass man glaube. Jedoch ist es angemessener zu sagen, dass der Glaube dazu führt, dass man Gott erkennt. Zunächst solle man Gott aus dem Glauben heraus lieben und verehren. Dies führe letztendlich dazu, dass man Gott liebt und verehrt, weil man ihn tatsächlich erkennt. Gott zu lieben und zu verehren bedeute nicht, wie die Naturphilosophen, z.B. Anaxagoras, den „Himmel und die Sonne“ zu betrachten, sondern diese Haltung impliziere, „den Erschaffer der Sonne und des Himmels, Gott, mit reinem und unbeflecktem Sinn“ zu verehren. Die angemessene Verehrung geschehe jedoch durch das Himmelerblicken, wobei es gelte, „Gott, dessen Sitz dort ist, mit unserm Geist zu schauen, da wir es mit den Augen nicht tun können“ (Manetti 1990, 92). Diese Fähigkeit unterscheide Menschen von Tieren, was die herausgehobene Stellung des Menschen in der Natur und damit seine Würde verdeutliche. Die Tiere erblicken nach Manetti den Himmel alleine mit den Augen, wir jedoch nutzen dafür den Geist und betrachten den Himmel in der aufrechten Haltung.34

Aus dem Glauben, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes ergebe sich die Erkenntnis der menschlichen Würde und der daraus resultierenden Aufgaben:

„Daher gab der allmächtige Gott ihm, den er in eine so große und erhabene Würde eingesetzt hatte, die natürliche Anlage, dass er sich selbst liebt, um sich am Leben zu halten, im übrigen aber erlegte er ihm durch die ganz festen und ausdrücklichen Gebote des geschriebenen Gesetzes die Verpflichtung auf, dass er all seine Nächsten, das heißt alle Menschen, lieb, ehre und achte; und damit er diese Pflicht zu lieben mit mehr Einsatz und Beständigkeit verfolge, erfülle und vollende, versprach er jedem, der das göttliche Werk ehrt und bewahrt, mit aller Klarheit, dass er ihm als einen wahrhaft würdigen Lohn für die wechselseitige Liebe das ewige Himmelreich geben werde; den übrigen aber, den Feinden seines Werks, und denen, die ein so großes Gebäude wie auch immer zu zerstören und zu verunstalten suchen, verkündete er in einer offenen und unzweideutigen Rede mit sehr vielen schrecklichen und grässlichen Drohungen und auch mit manchen entsetzlichen Flüchen, dass er selbst ihnen die ewigen Höllenstrafen als angemessenen Lohn für ihre jeweils schlimmste Untat auferlegen werde.“ (Manetti 1990, 92)

Gott habe uns somit eine unserer Pflichten in unsere Wesensart integriert, nämlich die Pflicht zur Selbstliebe. Durch Gebote wiederum, die in der Heiligen Schrift verzeichnet sind, vermittle Gott uns die Verpflichtung, alle unsere Nächsten, d.h. alle Menschen, alle Träger der Würde, wie auch wir sie tragen, zu lieben. Dafür stelle er all denen, die seine Pflichten erfüllen, als Belohnung das ewige Himmelreich in Aussicht. Denen, die seine Gebote nicht erfüllen, drohe er mit ewigen Höllenstrafen. In einem weiteren Abschnitt betont Manetti den hohen Wert der Gerechtigkeit und dass es gerecht sei, sowohl Gott als auch alle anderen Verehrer Gottes zu lieben.35 Genauer gesagt, bedeute Gerechtigkeit, „Gott wie einen Vater“ zu ehren und den „Mitmenschen wie einen Bruder“ zu lieben (Manetti 1990, 94). Erneut wird die Würde des Menschen im Rahmen der Tugend der Gerechtigkeit berücksichtigt. Da alle Menschen eine Würde besitzen, sei man verpflichtet, alle Menschen wie einen Bruder zu lieben, schließlich vereint uns diese Eigenschaft miteinander und mit Gott. Wer gerecht und fromm ist, der erhalte zur Belohnung ein erfülltes jenseitiges Leben.36

Sowohl die zentrale Bedeutung des Glaubens an Gott als auch die Pflicht, sich selbst, seine Mitmenschen und Gott zu lieben und Gott außerdem zu verehren, wurden erörtert. Ebenso wurde der Bezug der Pflichten zum höchsten Gut, das mit dem glückseligen Nachleben verbunden ist, dargestellt. Trotzdem ist das genaue Verhältnis des Denkens und Handelns noch nicht geklärt. Es stellt sich nämlich die Frage, ob bei Manetti eine klare Hierarchie der Pflichten anzutreffen ist. Wenn dies nicht der Fall sei, wäre im Falle eines Konflikts keine eindeutige Präferenz gegeben. Kommt bei Manetti der vita activa oder der vita contemplativa der Vorrang zu? Wie bei Aristoteles und Cicero werden bei Manetti sowohl das kontemplative als auch das praktische Leben als wertvoll erachtet.37 In der Sekundärliteratur plädieren die meisten Interpreten dafür, dass Manetti die vita activa höher schätzt als die vita contemplativa.

Von der Gönna stellt heraus: „Für Manetti liegt somit die Würde des Menschen in seiner Bestimmung für die Vita activa“ (Von der Gönna 1997, 113). Wittschier stellt klar fest:

„An dieser Stelle wird ebenso wie im ersten ‚protesto‘ erkennbar, dass Manetti auch andere, mindere Berufe, wie die des Kaufmanns, des Handwerkers und des Beamten akzeptiert und dass er sie sogar allesamt über den bios theoretikos […] stellt, weil seiner Meinung nach jedwede ‚vita activa‘ für die ‚vita civile‘ förderlicher ist als irgendwelche Art einer ‚vita contemplativa‘.“ (Wittschier 1968, 198)

Auch nach Buck vertrete Manetti diese Position (1990, XXI f). Zorn spricht zwar nicht explizit von der vita activa, doch hält auch er implizit den Vorrang von dieser für geklärt: „Denn der Schöpfer und überhaupt jeder schöpferisch tätige Mensch setzt ja in seinen Werken die Schöpfung Gottes fort und führt dadurch die Welt, die aus den Händen Gottes hervorgegangen ist, zu ihrer Vollkommenheit und zu ihrer Vollendung“ (1939, 25). Ausschließlich Glaap vertritt eine Position, aus der man schließen kann, dass die vita contemplativa entweder gleichberechtigt neben der vita activa stehe oder die vita contemplativa sogar wichtiger sei (1994, 181). Seine ausgewogene Interpretation ist nachzuvollziehen, da Manetti die Fragestellung nicht explizit beantwortet. Jedoch wird der Vorrang der vita activa bei Manetti durchaus deutlich. Zwar kommt die Pflicht, „Gott […] mit unserm Geist zu schauen“ (1990, 92), bei Manetti vor, jedoch den Lohn oder die Strafe im Jenseits sollen wir erhalten, wenn wir die Verpflichtung erfüllen, alle Menschen zu lieben, ehren und achten und das göttliche Werk zu ehren und zu bewahren.38 Im zweiten Teil des letzten Satzes spricht er ausschließlich Aufgaben an, die primär durch aktive Tätigkeiten zu erfüllen sind. Außerdem betont er, dass durch die aktive Tätigkeit das Verständnis Gottes gefördert werde. Der Glaube an Gott ist bei Manetti bereits Voraussetzung für angemessenes Handeln, er müsste nicht erst durch die Tätigkeit der Kontemplation hergestellt werden. Manetti scheint diesbezüglich eine Position einzunehmen, die ähnlich der Ciceros ist. Die Kontemplation stelle die notwendige Grundlage für angemessenes menschliches Handeln dar, jedoch seien im alltäglichen Leben die Verpflichtungen den anderen Menschen gegenüber so groß, dass dem Handeln stets ein Vorrang vor dem Denken eingeräumt werden sollte.

Diese Überlegungen lassen mich zu dem Urteil gelangen, dass den meisten Manetti-Deutungen zuzustimmen ist. Manetti vertritt den Vorrang der vita activa vor der vita contemplativa. Bestätigt wird diese Deutung durch weitere Werte, die von Manetti hochgehalten werden und die für die Renaissance bezeichnend sind.39 Die Würde nimmt jedoch hinsichtlich ihrer praktischen Konsequenz auch bei Manetti keine zentrale Stellung ein, da sie in Bezug auf die anderen Menschen hauptsächlich im Rahmen der Anwendung der Tugend der Gerechtigkeit relevant ist. Andererseits lässt sich argumentieren, dass sie in Bezug auf sich selbst und das höchste Gut durchaus bedeutend sein mag, insofern mit der Würde auch die Aufgabe des Sich-nach-dem-höchsten-Gut-Richtens einhergehen mag. Dies wird von Manetti jedoch nicht explizit so dargestellt.

Menschenwürde nach Nietzsche

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