Читать книгу Goschamarie Der letzte Abend - Stefan Mitrenga - Страница 14
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Am Abend besuchte Walter Streifenkollege Hans, der an der Fundstelle grimmig Wache schob. Ein kleiner Pavillon, diesmal die schmucklose Polizeivariante, schützte die Knochen vor dem Wetter und bot auch dem Polizisten Unterschlupf. Walter hatte ihm einen seiner Gartenstühle vorbeigebracht. So konnte er wenigstens sitzen.
„Mit besten Grüßen von Liesl“, sagte Walter und drückte Streifenkollege Hans eine Thermoskanne Kaffee in die Hand. „Zum Aufwärmen. Es soll heute Nacht wieder kalt werden.“
Streifenkollege Hans nickte dankbar und goss dampfenden Kaffee in den abgeschraubten Deckel.
„Ich muss zum Glück nur noch bis um acht hier rumsitzen, dann werde ich abgelöst.“
„Kommt Manni?“
„Nee, er hat Kevin eingeteilt.“
Walter erinnerte sich an den jungen Polizisten, der während der Ermittlungen zu den Bauernmorden als Personenschützer zum Einsatz gekommen war. Mit mäßigem Erfolg. Walter hoffte, dass er wenigstens auf ein paar Knochen aufpassen konnte.
„Ich muss los“, verabschiedete er sich. „Der Stammtisch ruft.“
Streifenkollege Hans erwiderte nichts, doch der Neid stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er tätschelte Balu liebevoll die Flanke und ließ sich seufzend auf seinem Gartenstuhl nieder.
Walter hatte den Kragen seiner Jacke aufgestellt und zog den Hals ein. Der Wind hatte aufgefrischt und strich unangenehm um seine freiliegenden Waden. Vor der Wirtschaft stand immer noch die Tafel, die den vegetarischen Vesperteller anpries. Er war zur Zeit der Renner bei der Goschamarie und lockte unzählige Gäste an. Wer genau hinsah, konnte erkennen, dass am Preis eine Zahl geändert worden war. Aus zehn Euro waren zwölf geworden. Walter, der Maries Vorstellungen von „vegetarisch“ kannte, schüttelte den Kopf und fragte sich, wie lange das noch gut gehen würde.
Kitty kam aus der Scheune geschlendert und begrüßte Balu mit einem Nasenstupser. Als Walter die Gaststube betrat, verschwanden die beiden Tiere unauffällig unter der Eckbank.
„Do bisch ja endlich. Hon di scho vermisst“, rief Marie freudig und brachte Walter zwei geöffnete Flaschen Bier. Walter ahnte, dass Maries Sehnsucht nach ihm ihrer Neugier geschuldet war. Er war sich sicher, dass bereits jeder im Dorf vom Fund in der Baugrube wusste und gierig auf mehr Informationen wartete.
Die Gaststube war zur Hälfte belegt. Auf den freien Tischen standen Schilder mit der Aufschrift „Reserviert“. Marie hielt sich so die Möglichkeit offen, Gäste, die ihr nicht passten, nach Hause zu schicken.
Walter freute sich, dass seine Freunde schon da waren, vermutete aber auch hier die Neugier als Antrieb.
„Hab gehört, du hast einen Friedhof in der Nachbarschaft?“, fragte Theo, noch bevor Walter den ersten Schluck getrunken hatte. „Hast du den Täter schon?“
Jeder im Dorf wusste von Walter und seinen Freunden bei der Polizei.
„Jo, dees war an Schreck!“, platzte Marie dazwischen. „I hon scho dänkt, sie hättet dr Opa gfunda“.
Alle starrten sie an.
„Jetzt luagat doch it so … des war doch blos an Scherz. Aber wie isches Walter? Wär flacket do und wär hotn umbrocht?“
„Ich habe keine Ahnung“, begann Walter zögerlich. „Die Pathologin hat die Überreste nur kurz angeschaut und ist dann wieder abgereist. Meinte, da sei sie nicht zuständig.“
Elmar, der mit Anne, der Assistentin von Dr. Kurz liiert war, runzelte die Stirn.
„Warum das denn? Nach allem, was mir Anne erzählt hat, sind menschliche Überreste doch genau ihr Ding.“
Walter nahm einen großen Schluck Bier und wedelte den Zigarettenrauch weg, den Elmar ihm entgegen gepustet hatte.
„Zu alt“, sagte er einsilbig und unterdrückte einen Hustenanfall.
„Die Kurz ist zu alt, um die Überreste zu untersuchen?“, fragte Elmar ungläubig.
„Nein, nicht die Kurz … die Knochen sind zu alt.“
„Vo wieviel Johr schwätz mr dänn do?“, mischte sich Marie ein. „Vierzge? Fuffzge?“
Walter schüttelte den Kopf. „Frau Dr. Kurz sprach von mindestens tausend Jahren. Wahrscheinlich sogar älter. Genauer konnte sie es auf den ersten Blick nicht sagen.“
„Dann ist es ein Fall für das Landesdenkmalamt. Die werden einen Archäologen schicken“, wusste Max und zog genüsslich an seiner Zigarre. „Das wird den Vorstand nicht freuen!“
„Warum das denn?“, fragte Theo, der ungewöhnlich friedlich neben Peter saß.
„Weil dann solange nicht weitergebaut werden darf, bis der Archäologe seinen Segen dazu gibt. Wenn der meint, man müsste eine Ausgrabung machen, kann das Monate - vielleicht sogar Jahre dauern.“
Ein elegant gekleidetes Ehepaar betrat die Gaststube und schaute sich suchend um. Angesichts der vielen reservierten Tische waren sie unschlüssig, was sie tun sollten. Marie musterte die beiden genau, bevor sie sie begrüßte.
„Wir haben leider nicht reserviert“, sagte der Mann kleinlaut. Er war groß und schlank und hatte eine Brille mit kleinen runden Gläsern auf der Nase.
Lehrer oder Finanzbeamter, vermutete Marie.
„Aber des macht doch nix! S’hott grad oiner abgsagt. Ihr kennet oifach do na hocka.“
Sie zeigte auf einen Tisch am Fenster.
„Wisseter scho waner trinka wännt?“
Das Paar bestellte Wein und dazu eine Flasche Wasser. Auch beim Essen waren sie sich schon sicher: die Vesperplatte für ihn, die vegetarische Variante für sie.
„Ich müsste vor dem Essen nur noch kurz auf die Toilette“, sagte die Frau gestelzt und blickte sich suchend im Raum um.
„Do mundse d’Treppa nauf. Dänn gradaus des kloine Tierle. Oifach neigange.“
„Das wird der feinen Tussi nicht gefallen“, flüsterte Theo. „Maries Klo ist ja nicht gerade ein Spa-Bereich.“
Elmar lachte. „Drum gehen wir ja immer raus an den Bach!“
Der Vorstand kam herein und quetschte sich auf den letzten freien Platz am Stammtisch zwischen Max und Theo. Er sah abgekämpft aus und man sah ihm die schlechte Laune an.
„Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“, fragte Walter vorsichtig. „Das hat nicht zufällig etwas mit dem Fund auf der Baustelle zu tun?“
Der Alte schaute grimmig und bestellte bei Marie ein Leitungswasser.
„So eine Scheiße. Was macht denn eine tausend Jahre alte Leiche auf der Wiese? Wisst ihr, was das für einen Ärger bringt?“
Walter nickte verständnisvoll. „Hast du schon was vom Landesdenkmalamt gehört?“
„Ja. Haben vorher angerufen und klargemacht, dass rund um den Fundort nichts angerührt werden darf, bevor ihr Archäologe nicht da war.“
„Und das dauert wahrscheinlich“, mutmaßte Peter. „Der Amtsschimmel war noch nie dafür bekannt, übermäßig schnell zu galoppieren.“
„Das ist die einzig gute Nachricht“, widersprach der Vorstand, „der kommt schon morgen Mittag. Jetzt können wir nur hoffen, dass der das Ganze für nicht so wichtig hält und die Baustelle wieder freigibt.“
Der Alte trank einen Schluck Leitungswasser und verzog das Gesicht.
„Irgendwie hoffe ich ja immer noch, dass das auf Kuses Mist gewachsen ist.“
„Du glaubst, er steckt dahinter?“, fragte Walter ungläubig.
„Wäre doch vorstellbar. Er will nicht, dass wir das neue Musikheim auf seiner Wiese bauen. Also besorgt er sich irgendwo ein paar alte Knochen und vergräbt sie. Eigentlich kein schlechter Plan.“
Theo schüttelte den Kopf. „Kein schlechter Plan, aber auf keinen Fall der Plan von Kuse. Auf sowas käme der nie. Und ganz so einfach ist das ja auch nicht. Wo kriegt man denn ein menschliches Skelett her und dann noch eins, das über tausend Jahre alt ist?“
„Du hast wahrscheinlich Recht, aber so wäre es am Einfachsten. Der Archäologe würde das bestimmt durchschauen und wir könnten weiterbauen.“
Die aufgetakelte Frau kam vom Klo zurück und hielt ihre Hände vor sich, wie ein Arzt vor der Operation.
„Wo kann ich denn hier die Hände waschen? Im Klo ist kein Waschbecken!“
Marie schaute sie mitleidig an.
„Oh je, hosch ieber d’Finger gsoicht … des isch natierlich it scheh. Komm do her … kasch dr Hahna am Träsa nämma.“
Von allen beobachtet wusch sich die Frau sichtlich verärgert die Hände und kehrte zu ihrem Mann zurück. Sie tuschelte kurz mit ihm, doch Marie unterbrach sie mit den Vespertellern.
„Oimol normal … und oimol vegetarisch. Lassets eich schmecka!“
Während der Mann freudig einen dicken Streifen Rauchfleisch abschnitt, stocherte seine Frau misstrauisch in der angeblich vegetarischen Leberwurst.
„Das ist doch eine ganz normale Leberwurst“, passte sie Marie ab. „Das ist Betrug, was sie hier machen!“
Marie stemmte die Arme in die Hüften und hob trotzig den Kopf.
„S hot sich no koiner beschwärt … bis jetzt. Und’s isch jo au immer a Ahsichtssach: isch des vegetarische nimmer vegetarisch, wänns vorher durch a Sau durchganga isch?“
Sie sah der Frau streng in die Augen.
„Bei mir isch des vegetarisch. Und damit baschta!“
Sie drehte sich um und verschwand hinter dem Tresen.
Die Frau tuschelte zornig mit ihrem Mann, der daraufhin eine kleine Plastiktüte aus seiner Jackentasche zog und das Vesper seiner Frau einpackte. Nur die zwei halben Eier und eine Essiggurke blieben zurück.
Kurz darauf bezahlte das Ehepaar und verließ grußlos die Wirtschaft. Ihren Wein hatten sie nicht angerührt.
„Oh oh, die waren stinksauer“, sagte Kitty besorgt. „Wenn das mal keinen Ärger gibt!“„Was soll denn passieren?“, fragte Balu gleichgültig. „Dann kommen sie halt nicht mehr her, aber Marie kann das, glaube ich, verkraften.“Kitty war anderer Meinung. „Die Frau sah nicht so aus, als würde sie sich damit abfinden. Die lässt sich bestimmt etwas einfallen.“„Soll sie doch. Bisher hat sich noch kaum einer erfolgreich mit Marie angelegt.“„Wir werden sehen. Aber ich habe ein schlechtes Gefühl dabei.“„Und was sagt dein Gefühl wegen den Knochen auf der Wiese?“, knurrte Balu. „Nichts Bestimmtes“, gab Kitty zu. „Wir haben zwar schon wieder eine Leiche im Dorf, aber wenn die wirklich tausend Jahre alt ist, braucht niemand nach dem Mörder suchen.“„Und das ist gut so“, knurrte Balu zufrieden. „Diesmal hat Walter nichts damit zu tun.“