Читать книгу Goschamarie Der letzte Abend - Stefan Mitrenga - Страница 15
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„Ist doch beruhigend, dass wir nicht schon wieder einen Mörder unter uns haben“, sagte Liesl zufrieden und schöpfte Spätzle auf Walters Teller. Dazu gab es den Rest vom Sonntagsbraten.
„Trotzdem ist es ein komisches Gefühl. Ich habe all die Jahre neben einem Toten gewohnt und wusste es gar nicht. Wahrscheinlich bin ich schon ein paarmal drüber gelaufen.“
Walter schüttelte sich bei dem Gedanken.
„Haben dir die Knochen den Appetit verdorben?“, fragte er und zeigte auf Liesls Teller.
Sie hatte sich nur ein paar Spätzle und etwas Soße genommen.
„Die Knochen nicht, aber mir ist heute einfach nicht gut. Vielleicht habe ich mir einen Magen-Darm-Virus eingefangen.“
Walter beugte sich unbewusst von Liesl weg.
„Wenn ich ansteckend bin, dann hast du es schon“, knurrte Liesl. „Da brauchst du jetzt gar nicht wegrutschten ...“
Sie wollte noch etwas hinzufügen, verstummte aber plötzlich, sprang auf und hastete zur Spüle. Ihr Körper verkrampfte und sie übergab sich heftig.
„Entschuldige“, röchelte Liesl, und spuckte einen Rest Erbrochenes ins Waschbecken. „Das ist jetzt nicht sehr appetitlich.“
Walter war aufgesprungen und hatte seinen Arm um sie gelegt.
„Da kannst du doch nichts dafür“, sagte er sanft. „Leg dich ein wenig hin und ruh dich aus.“
Er führte Liesl zu ihrem Sofa und half ihr sich hinzulegen. Dann legte er die Decke über sie, die immer am Fußende lag und holte einen Eimer.
„Ist es nur der Magen oder fühlst du dich auch sonst schlecht?“
Liesl wischte sich kalten Schweiß von der Stirn.
„Ich fühl mich auch recht klapprig. Vielleicht habe ich Fieber.“
Walter legte ihr die Hand auf die Stirn, doch die Temperatur kam ihm normal vor.
„Ruh dich einfach ein bisschen aus. Wenn du etwas brauchst … ich bin in der Nähe.“
Er hatte leise die Teller abgeräumt und Deckel auf die noch warmen Töpfe gelegt. Als er noch einmal nach Liesl sah, waren ihre Augen geschlossen. Leise verließ er ihr Haus und ging auf seine Terrasse. Er machte es sich bequem und genoss die Frühlingssonne. Doch trotz des schönen Wetters wurde Walter von düsteren Gedanken heimgesucht. Er hatte Liesl noch nie krank erlebt. Wie schwach sie plötzlich gewirkt hatte. Es erinnerte ihn schmerzhaft an seine verstorbene Frau, die er bis zuletzt gepflegt hatte. Auch sie hatte häufig mit Übelkeit gekämpft, vor allem während der Chemo. Walter war sich noch nie so hilflos vorgekommen.
Entfernte Stimmen rissen ihn aus seinen Gedanken. Er blickte über die Wiese und sah mehrere Personen um die Fundstelle stehen. Sein Freund Manni und der Vorstand waren auch dabei. Die anderen kannte er nicht.
Neugierig ging er über die Wiese direkt auf sie zu.
„Das Landesdenkmalamt?“, fragte er Manni, der ihm entgegengekommen war.
„Und wie“, grinste der Polizist. „Das da ist die Chefin. Eine Archäologin. Hat Haare auf den Zähnen wie ein Otter. Sie lässt euren Vorstand ganz schön auflaufen.“
Walter betrachtete die junge Frau, die in ihrem Designerkleid mit den Gummistiefeln ziemlich fehl am Platz wirkte. Ihre Haare hatte sie zu einem Dutt gebunden, die dickrandige Brille ließ sie noch strenger wirken.
„Minimum zwei Wochen“, sagte sie gerade und der Vorstand quiekte panisch auf.
„Zwei Wochen wegen ein paar Knochen?“, fragte er und schlug die Hand an die Stirn.
„Und das auch nur wenn wir sonst nichts mehr finden. Hier geht es um wertvolle Kulturgüter. Artefakte, die wichtig für unsere Forschung sind. Das hat absoluten Vorrang.“
Der Alte biss die Zähne zusammen und wandte sich ab.
„Läuft nicht so gut?“, fragte Walter und erntete dafür einen bösen Blick.
„Es läuft gar nicht. Die lässt sich auf nichts ein. Rein gar nichts. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll.“
Walter zog die Stirn kraus. „Ich hab was von zwei Wochen gehört … brauchen die so lange um die Knochen auszubuddeln?“
„Natürlich nicht. Die nimmt sie noch heute mit, aber dann will sie das ganze Gelände auf weitere Spuren untersuchen.“
Walter verstand, dass die Archäologin ihren Job gründlich machen wollte, aber zwei Wochen kamen ihm doch etwas übertrieben vor.
„Wie heißt sie denn?“, fragte er.
„Mann. Dr. Mann“, zischte der Vorstand und blickte verächtlich in Richtung der Archäologin, die sich mit einem ihrer beiden Assistenten unterhielt.
„Entschuldigen Sie bitte, Dr. Mann?“, sagte Walter höflich und versuchte ein Lächeln. „Darf ich Sie etwas fragen?“
Die Archäologin fuhr herum und musterte Walter von oben bis unten.
„Und wer sind Sie?“, blaffte sie. „Kommt hier jetzt jeder aus dem Dorf vorbei und hält uns von der Arbeit ab?“
„Ich bin der Nachbar“, antwortete Walter und zeigte auf sein Haus. „Mich würde interessieren, wie Ihre weiteren Untersuchungen aussehen und wie lange das geht. Immerhin wohne ich hier.“
Dr. Mann atmete hörbar aus und schob eine Strähne zurück, die aus ihrem Dutt entkommen war.
„Hören Sie, wir machen hier was notwendig ist. Und es dauert so lange wie es dauert. Wir haben ein Bodenradar dabei, mit dem wir die ganze Wiese untersuchen werden. Wie ich dem Musikvorstand schon gesagt habe, wird es um die zwei Wochen dauern. Und jetzt entschuldigen Sie mich.“
Dr. Mann drehte sich weg und erteilte ihren Assistenten Befehle.
Walter ging zurück zu Manni und dem Alten, die seine Unterhaltung beobachtet hatten.
„Da beißt du dir auch die Zähne aus“, grinste Manni, doch Walter winkte ab.
„Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich gerne noch etwas ausprobieren.“
„Waffengewalt?“, grinste der Vorstand böse.
„Fast. Ich glaube, ich habe tatsächlich eine Geheimwaffe für diesen Fall.“
Zehn Minuten später parkte Faxe seine Harley an der Baustelle. Nach Walters Anruf hatte er alles stehen und liegen gelassen. Der Automechaniker, der in Alberskirch eine kleine Werkstatt betrieb, war bekannt für seine fast magische Wirkung auf das weibliche Geschlecht. Und sogar Männer waren durch seine Anwesenheit häufig verwirrt.
„Hallo Jungs“, sagte er lässig und warf seine langen Haare über die Schulter, die durch den Fahrtwind wild abstanden. Faxe trug selten einen Helm.
Manni zeigte auf sein verwaschenes T-Shirt, das auf unverschämte Art Faxes Figur betonte. „Schickes Shirt!“
Faxe nickte. „Danke. Geht es um sie?“, fragte er und zeigte in die Richtung der Archäologin.
Walter nickte, doch der Alte atmete verächtlich aus.
„Das schaffst auch du nicht!“
„Abwarten, mein Freund. Abwarten!“
Faxe näherte sich der Archäologin von hinten und legte ihr sanft die Hand auf die Schulter. Sie fuhr herum und wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Sekundenlang starrte sie nur in seine dunklen Augen. Als Faxe seinen Kopf zu ihr hinabsenkte, schloss sie die Augen.
Walter, Manni und der Vorstand sahen, wie er ihr etwas ins Ohr flüsterte, konnten aber nichts verstehen. Ein paar Minuten verstrichen, während Dr. Mann immer wieder nickte. Dann lächelte sie sogar. Am Ende verabschiedete sich Faxe per Handschlag und kam zu seinen Freunden zurück.
„Zwei Tage. Dann ist sie weg“, sagte er gelassen.
Der Vorstand konnte es gar nicht fassen. „Was? Wie hast du das denn geschafft?“
Faxe zuckte mit den Schultern.
„Hab ihr nur gesagt, dass ich gerne mit ihr essen gehen würde … sobald sie hier fertig ist.“
„Wahnsinn“, lachte der Vorstand. „Also die Rechnung von dem Essen geht natürlich auf den Musikverein. Das hast du großartig gemacht!“
„Nicht doch“, lächelte Faxe, „ist nicht nötig. Sie will mich unbedingt einladen. Da konnte ich nicht nein sagen.“
Der Alte, Walter und Manni sahen sich ungläubig an. Faxe schlenderte lässig zu seiner Harley zurück und startete sie mit einem einzigen Kick.
„Was für ein toller Kerl“, flüsterte Manni.
„Und er riecht so gut“, ergänzte der Alte.
Beide hatten keine Ahnung, warum sie das gesagt hatten.