Читать книгу Goschamarie Der letzte Abend - Stefan Mitrenga - Страница 17
Оглавление106 nach Christus
„Und die Krieger haben ihren Feinden wirklich die Köpfe abgeschlagen?“, fragte Kenna aufgeregt.
Kian nickte. „Sie wollten sichergehen, dass ihre Widersacher endgültig besiegt waren und nicht in der Anderswelt erneut gegen sie kämpfen konnten.“
Kenna wusste, dass nur ein unversehrter Krieger um Einlass in die Anderswelt bitten konnte und so die Chance zur Wiedergeburt hatte. Trennte man den Kopf vom Leib, war die Seele endgültig verloren. Die Römer glaubten zwar nicht an dieselben Götter, wollten aber nichts riskieren und hatten ihrerseits den getöteten Feinden die Köpfe abgeschlagen. Die schlimmste Strafe für einen Krieger.
Kenna hatte in diesem Sommer ihren vierzehnten Geburtstag gefeiert, doch ihr Interesse für die Krieger ihres Volkes war ungebrochen. Das Hüten der Ziegen bereitete ihr keine Probleme mehr und es blieb viel Zeit, um von Kian und ihrer Mutter die Grundzüge des Heilens zu erlernen.
„Aber dann war doch jedem Kämpfer klar, dass seine Seele verloren war, sobald er fiel.“
Wieder nickte Kian. „Ihre Seelen waren verloren, aber ihre Namen wurden in Liedern festgehalten, um ihr Andenken zu bewahren. Manche schafften es aber auch, sich noch rechtzeitig dem grausamen Tun der Römer zu entziehen.“
„Wie haben sie das angestellt?“, fragte Kenna neugierig. „Sie konnten ja nicht auf Gnade hoffen.“
Kian trank einen Schluck Wasser aus einer hölzernen Schale, bevor er weitersprach.
„Geriet ein Krieger in eine ausweglose Lage, also war verwundet ohne Aussicht auf Rettung, so konnte er selbst den Weg in die Anderswelt einschlagen. Man nannte das Wahandra. Dafür musste der Krieger sein eigenes Grab schaufeln und mit Weidenruten bedecken. Darauf schüttete er so viel trockene Erde, wie die Ruten aushalten konnten. Jeder, der in eine Schlacht zog, hatte für diesen Fall von seinem Druiden den Wahandra-mat bekommen. Ein giftiger Trank, der ohne Schmerzen den Tod herbeiführt. Der Krieger legte sich dann in sein Grab und beendete sein Leben mit dem Wahandra-mat.“
Kenna war irritiert. „Aber die Römer hätten sein Grab doch immer noch finden und ihm den Kopf abschlagen können …“
Kian lächelte. „Dafür waren die Weidenruten und die trockene Erde zuständig. Beim nächsten Regen sog sich die Erde mit Wasser voll und wurde immer schwerer. Schließlich gaben die Weidenruten nach und der tote Krieger wurde von der Erde begraben. Und weißt du, was das schönste war?“
Kenna schüttelte den Kopf. „Was soll daran schön sein?“
„Weiden sind so lebensstark, dass viele der Ruten in der Erde Wurzeln schlugen und neue Pflanzen hervorbrachten. Wenn du also irgendwo eine kleine Senke siehst, die von Weiden umrahmt ist, könnte das das Grab eines Kriegers sein.“
Kian wollte weitererzählen, doch er wurde von einem schwarzhaarigen Jungen unterbrochen, der aufgeregt in ihre Hütte stolperte.
„Kian, eure Hilfe wird benötigt. Bitte kommt mit zum Haus meines Vaters.“
Es war Ebo, Ravennas kleiner Bruder. Er trat ungeduldig von einem Bein aufs andere, während Kian seine Jacke überzog und einige Kräuter in einem Lederbeutel verstaute.
„Wie geht es Ravenna?“, fragte Kenna, um den Bub ein wenig abzulenken.
„Es geht ihr gut. Wir haben sie vor drei Wochen besucht. Sie konnte ein eingestürztes Haus erwerben und hat auf dem Fundament eine kleine Holzhütte errichtet, in der sie nun ihren Handel treibt.“
Kenna freute sich über die guten Nachrichten, doch gleichzeitig verkrampfte sich ihr Herz, da sie ihre Freundin so sehr vermisste. Fast sechs Monate war sie schon fort und sie hatte sie seitdem nicht mehr gesehen.
Das Haus von Ravennas Vater war das größte im Dorf und hatte sogar einen Stall für Pferde und Ochsen. Es war in ihrer Zunft üblich, den fahrenden Händlern Obdach zu gewähren, wofür diese sich mit kleinen Geschenken bedankten oder mit einem guten Preis, falls ein Geschäft zustande kam.
„Er kommt aus der Nähe von Rom und hat mit seinem Ochsenkarren die großen Berge überquert“, erläuterte Ravennas Vater und deutete auf den Mann, der sich auf einer hölzernen Pritsche zusammengekauert hatte.
„Schon bei seiner Ankunft klagte er über Unwohlsein. Seit heute Morgen plagt ihn heftiges Fieber und er ist fast nicht mehr ansprechbar. Deshalb ließ ich euch kommen, Kian.“
Kian nickte und setzte sich zu dem Kranken auf die Pritsche.
„Ihr habt richtig gehandelt, Gael. Ich werde sehen, was ich für ihn tun kann.“
„Soll ich dir helfen, Großvater?“, bot Kenna an, doch der schob sie vom Bett des Kranken weg.
„Nein. Ich möchte nicht, dass du hier bleibst. Ich werde ihm ein paar Kräuter aufbrühen und mit kalten Wickeln versuchen, sein Fieber zu senken. Geh du nach Hause und erzähl deiner Mutter, dass ich hier bin.“
Kenna war irritiert, da Kian sie häufig zu Behandlungen mitnahm und sich gerne von ihr helfen ließ. Doch sie wagte nicht zu widersprechen und verließ das Haus von Gael.
„Meinst du, der stirbt?“, fragte Ebo, der vor der Tür auf einem Stein saß.
„Mein Großvater wird alles tun, was in seiner Macht steht. Wenn er es nicht überlebt, dann ist es der Wille der Götter und er kann um Einlass in die Anderswelt bitten.“
Ebo zog eine Grimasse. „Und warum muss der gerade bei uns krank werden? Er liegt auf meiner Pritsche und ich musste die Nacht auf dem Boden schlafen.“
„Das wird schon wieder“, lächelte Kenna und verwuschelte Ebo die struppigen Haare. „Die Götter werden sich schon etwas dabei gedacht haben!“
Kenna sah den Wagen des fremden Händlers unter dem Vordach des Stalls stehen, daneben kauten zwei Ochsen gelangweilt Gras. Die Ladefläche war mit unzähligen Amphoren bepackt. Kenna vermutete, dass sie mit Wein gefüllt waren. Oder vielleicht auch mit wertvollen Ölen.
Sie umrundete den Wagen und entdeckte einige Büschel Kräuter, die an einem Querbalken aufgehängt waren. Neugierig hielt sie ihre Nase an die Blätter und war entzückt. Der Duft, der ihr entgegenströmte, war so fremd, aber gleichzeitig köstlich, dass sie versucht war ein paar Blättchen abzureißen. Doch sie wusste um den Wert der Pflanzenstengel und wagte es nicht. Eines der Kräuter erkannte sie wieder: Basilikum. Kian hatte immer einen kleinen Vorrat davon und hatte ihr von der heilenden Wirkung des Krauts bei Gelenkschmerzen vorgeschwärmt. Kenna stutzte. Waren das Blüten am Ende eines der Triebe? Sie sah sich verstohlen um und ging näher heran. Tatsächlich waren an einem Zweig deutlich die Blütenstände zu erkennen. Und nicht nur das: einige waren schon verblüht und trugen Samen. An die Blätter traute sie sich nicht heran, aber wer konnte etwas dagegen haben, wenn sie ein paar Samen nahm?
Vorsichtig trennte sie mit den Fingernägeln zwei Spitzen des Basilikums ab und verstaute sie hastig in der Tasche ihres Umhangs. Sie sah sich um, doch niemand hatte sie beobachtet. Mit vor Aufregung gerötetem Gesicht machte sie sich auf den Heimweg.