Читать книгу Goschamarie Der letzte Abend - Stefan Mitrenga - Страница 7
Оглавление2
„Und wie ging’s dann weiter?“, erkundigte sich Max wenig später am Stammtisch bei der Goschamarie.
„Ich hab meinen alten Spaten geholt“, antwortete Walter. „Der andere war ja weg. Die haben die Reste vom Pavillon weggeräumt und den Landrat seinen ersten Spatenstich machen lassen. Musste ja sein … wegen der Presse.“
„Jetzt dräht r dänn total am Rädle“, schnauzte Marie als sie die zwei Bier für Walter brachte. Beide Flaschen waren schon geöffnet. „Het nie dänkt, dass dr Kuse so durchknallt isch.“
Walter zuckte mit den Schultern. „Ich verstehe es auch nicht. Man sieht ihn zwar kaum im Dorf, aber ich dachte, er ist ganz zufrieden da oben auf seinem Hof.“
Kuse lebte auf einem Bauernhof am oberen Rand von Taldorf. Wie eine Burg thronte das freistehende Gebäude über dem Tal. Bis heute fragte sich jeder, wer diesen Bau genehmigt hatte.
„Der war früher ganz normal“, warf Max ein und schnitt das hintere Ende seiner Zigarre ab. „Er war sogar im Musikverein. Flügelhorn, wenn ich mich recht erinnere.“
Marie stellte Max den großen Aschenbecher mit der besonders tiefen Ablage für Zigarren auf den Tisch.
„Isch halt au oiner, där lang aloi war. Do kriagetse dänn gärn amol d’Bohlekrankett.“
Max und Walter nickten. Sie kannten das Phänomen: wenn Männer in die Jahre kamen ohne zu heiraten, entwickelten sie oft seltsame Angewohnheiten.
Die Tür zur Gaststube öffnete sich und der Vorstand des Musikvereins kam herein.
„Ist noch was frei?“, fragte der Alte und zeigte auf den Stammtisch.
„Hock di nah“, befahl Marie. „Wa magsch trinka?“
Der Alte sah neidisch auf die Biere vor Walter und Max, schüttelte aber den Kopf. Er hatte sich an Silvester vorgenommen im neuen Jahr gesünder zu leben. Er hatte die guten Vorsätze bereits mehr als einmal bereut.
„Nur ein Wasser bitte. Aus der Leitung, wenn’s geht.“
Marie stemmte die Arme in die Hüften. „Woisch, Kerle. Wänn jeder blos a Wasser trinka dät, dänn kennt i bald zua macha. Und immer dra denka: im Wasser veegelet d‘Fisch!“
Der Alte machte sich nichts aus Maries Neckerei und hängte seinen Mantel über die Stuhllehne.
„So ein Theater beim Spatenstich. Weiß von euch einer, was den Kuse geritten hat?“
„Er war von Anfang an dagegen“, sagte Walter, „aber jetzt hat er es wohl etwas übertrieben.“
„Das hat er ganz bestimmt“, knurrte der Alte. „Der Landrat wollte sofort die Polizei holen, aber ich habe ihm erklärt, dass wir das in Taldorf anders regeln. Zum Glück wurde niemand verletzt. Aber den Pavillon wird er bezahlen müssen. Der war neu. Zweihundertfünfzig Euro.“
Marie brachte dem Alten angewidert das Glas Wasser.
„Magsch dänn no was Ässa?“
Der Alte überlegte. „Vielleicht was glutenfreies … ohne Zucker und Milchprodukte … wenig Fett … was kannst du mir da empfehlen?“
„A andre Wirtschaft“, fauchte Marie und verschwand hinter dem Tresen.
„Musste das sein?“, fragte Walter, der Mitleid mit der Wirtin hatte.
„Ach was“, winkte der Alte ab, „ich ärgere sie doch nur ein bisschen.“
Walter grinste. „Pass auf, dass du dich am Ende nicht ärgerst.“
Vom Gang her waren Stimmen zu hören und kurz darauf betraten zahlreiche Musikanten die Gaststube. Auch Elmar war dabei und steuerte zielsicher seinen Platz am Stammtisch an.
„Grüß Gott, ihr Herren. Da hattet ihr es natürlich wieder einfacher. Wir Musikanten mussten erst mal unsere Instrumente verräumen und uns umziehen. In der Zeit hattet ihr schon die ersten zwei Bier.“
Er ließ sich lachend auf den Stuhl zwischen Max und Walter fallen und winkte Marie zu.
„Magsch du au blos a Leitungswasser?“, fragte sie grimmig, als sie an den Stammtisch kam.
Elmar wich bestürzt zurück. „Mach dich nicht lächerlich, Marie! Wasser ist zum Waschen da und damit basta. Bier bitte … und ein Vesper!“
„Ohne des Gluten? Unds Fätt au no wäglassa?“, fragte sie langsam und sah den Alten dabei böse an.
„Was ist denn mit dir heute Los?“, fragte Elmar besorgt. „Bitte ganz normales Vesper. Wie immer.“
„Kommt glei“, sagte Marie und an den Alten gewandt: „S’gibt oifache Gescht und it so oifache. Und dänn au no gaaaanz schwierige!“
Als Elmars Bier kam, hob er die Flasche zur Tischmitte. „Auf geht’s: anstoßen! Auf den ersten Spatenstich unseres neuen Musikheims!“
Alle erhoben ihre Flaschen. Auch die Musikanten an den anderen Tischen stimmten mit ein.
„War denn schon jemand beim Kuse?“, fragte Elmar den Alten. „Das war ja ein echt peinlicher Auftritt. Ich habe ein bisschen Angst, was morgen in der Zeitung steht.“
Der Alte winkte ab. „Hör auf. Das wird wahrscheinlich nicht lustig. Aber du hast Recht: irgendwer muss mit Kuse reden.“
Er sah sich in der Runde um.
„Walter - du kennst ihn von uns allen doch am besten!“
Walter verschluckte sich an seinem Bier.
„Ich? Warum denn ich?“
„Ich kann mich gut dran erinnern, dass ihr früher zusammen unterwegs wart.“
„Ja genau“, stimmte Max zu. „Ihr wart damals mit euren Frauen hin und wieder zusammen in der Landvogtei zum Essen. Du hast erzählt, dass Kuse seiner Frau immer die Speisekarte vorlesen musste, weil ihr Deutsch noch so schlecht war.“
Walter stöhnte auf. Als Kuse endlich doch noch geheiratet hatte, hatte er Anschluss gesucht und sie waren mit ihren Ehefrauen ein paar Mal unterwegs gewesen. Doch das lag Jahre zurück.
„Da muss es doch jemand geben, der besser geeignet ist“, versuchte er sich herauszureden. „Ich sehe ihn ein oder zwei Mal im Jahr. Seine Frau noch weniger. Also kommt schon: irgendeiner von euch muss doch Kontakt zu ihm haben.“
Alle schwiegen.
„Ich kenne nur seine Anwälte“, sagte der Alte und hob abwehrend die Hände.
Max lehnte sich zurück und zog genüsslich an seiner Zigarre.
„Ich bin raus!“
Walters letzte Hoffnung war Elmar.
„Jetzt schau mich nicht so an. Ich wusste nicht mal, dass er verheiratet ist“, beteuerte der Fliesenleger und zündete sich eine Lord an.
„Also gut“, gab Walter auf. „Ich schaue morgen mal bei Kuse vorbei. Aber ich verspreche euch nichts. Ich sage ihm nur, dass er den Pavillon bezahlen muss.“
„Mehr erwartet doch auch keiner“, lachte der Alte zufrieden. „Obwohl … wenn du ihm mal ins Gewissen reden könntest, damit er zur Vernunft kommt, wäre das auch nicht schlecht. Ich habe ein bisschen Angst, was er sich noch alles einfallen lässt.“
„Sodele … do hemmer jetzt au die Schpezialbschtellung für dr Herr Vorschtand“, trällerte Marie und stellte dem Alten einen winzigen Teller hin. Darauf lagen zwei ordentlich aufgeschnittene Radieschen, garniert mit einem Zweig Petersilie.
„Garandiert glutenfrei, koin Zucker und koi Milch dinna, und a Fätt hots au it!“
Der Alte war sprachlos (was nur selten vorkam) und starrte auf das kleine Tellerchen.
„Ich hab’s dir ja gesagt“, lachte Walter. „Jetzt bist du der Gelackmeierte!“
Der Alte kaute lustlos auf den Radieschen herum, während Elmar neben ihm das saftige Rauchfleisch aufschnitt und die grobe Leberwurst zentimeterdick aufs Brot schmierte. Die Leberwurstschicht war dicker als das Brot, da Marie jede Scheibe mit dreißig Cent extra berechnete.
„Wo stecken eigentlich Theo und Peter?“, fragte Max und blies eine dichte Wolke Zigarrenrauchwolke Richtung Decke.
„Die sind zusammen auf der Landwirtschaftsmesse in Friedrichshafen“, nuschelte Elmar mit zwei Scheiben Rauchfleisch im Mund. „Wollten sich die neuesten Traktoren anschauen.“
Walter lachte. „Da kommt wohl die nächste Wette auf uns zu. Ich bin schon gespannt.“
Er leerte sein zweites Bier und hob seinen Geldbeutel hoch. Marie verstand und war kurz darauf bei ihm am Stammtisch. Normalerweise brachte sie beim Kassieren ein halb gefülltes Sprudelglas voll Schnaps. Diesmal war es ganz voll.
„Jetzatle. Hosch jo blos dia zwoi Bier kett, Walter. Dänn sinds vier Eiro.“
Walter gab fünf Euro und zeigte auf den Schnaps. „Das ist ja heute ein Doppelter!“
„Isch doch an bsondra Dag heit. Erschter Schpataschtich. Jetzt loss an dir schmecka.“
Walter seufzte und nahm einen kleinen Schluck. Wenn er zu viel auf einmal trank, bekam er Schluckauf.
„Ich zahl dann auch gerade“, sagte der Alte und fingerte seinen Geldbeutel aus der Hosentasche.
„Macht zeah Eiro“, trällerte Marie und hielt die Hand auf.
„Was“, kreischte der Alte und schaute die Wirtin entgeistert an. „Ich hatte ein Glas Leitungswasser und zwei Radieschen!“
„Falsch, Biable! Du hosch a Glas Taldorfer Heilwasser kett und an Veschperteller Schpezial. Mit PETERSILIE! Macht zeah Eiro!“
Knurrend gab er Marie den Schein, die ihm daraufhin ein volles Sprudelglas hinstellte.
„Aber du weißt doch, dass ich zurzeit keinen Schnaps trinke“, schimpfte der Alte.
Marie grinste. „Wer sagt dänn, dass des an Schnaps isch. I hon dir nomal a Taldorfer Heilwasser eigschänkt …. goht aufs Haus!“
Alle ringsherum lachten und waren insgeheim froh, dass es diesmal den Vorstand erwischt hatte und nicht sie selbst.
„Heute ist sie wieder gut drauf“, lachte Balu, der mit Kitty die ganze Zeit unter der Eckbank gelegen hatte. „Der Alte kann es vertragen“, stimmte die Tigerkatze zu. „Außerdem ist er eh so selten hier, dass er ein kleines Andenken braucht.“„Hast du mitbekommen, wie sie Walter schon wieder eingespannt haben? Mir gefällt das nicht“, brummelte Balu.Kitty stupste ihn versöhnlich in die Flanke. „Hey, er soll doch nur mit einem Freund reden. Da ist doch nichts dabei. Mach dir keine Sorgen: weit und breit ist keine Leiche in Sicht. Walter tut nur ein paar Freunden einen Gefallen.“Balu hatte trotzdem ein komisches Gefühl. „Irgendwie läuft das schon wieder in die falsche Richtung und Walter wird mit reingezogen. Ich werde auf jeden Fall wachsam bleiben.“
Als Walter und der Alte zur Tür gingen, kamen Theo und Peter herein. Beide schwankten durch den Türrahmen und stapften unsicher zum Stammtisch.
„Hey, ich dachte ihr wart auf der Landwirtschaftsmesse“, sagte Walter beim Hinausgehen.
„Wa-a-ren wir au-auch“, bestätigte Peter. „Und da ga-abs ...an einem Sta-and … Freibier.“
Walter grinste. „Und da habt ihr euch zugeschüttet?“
„Nee-ee“, lallte Theo. „Das wa-ar Ehrens-sache! Peter hat behau-hauptet, er schafft in ze-ehn Minuten me-ehr Pils als i-ich. Da-as konnte i-ich nicht auf mi-ir sitzen lassen!“
„Do bin i ja richtig begaischtert, dass ihr do jetzt no da Rusch säha lassa mund“, fläzte Marie zynisch und schob die beiden zum Stammtisch.
Der Alte und Walter verabschiedeten sich mit erhobener Hand.
„Machats guat, ziernet nix, kommet wieder!“, rief Marie ihnen hinterher.