Читать книгу Goschamarie Der letzte Abend - Stefan Mitrenga - Страница 20

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106 nach Christus

Der fremde Händler war nicht mehr von seiner Pritsche aufgestanden. Nach zwei Tagen hatte er das Bewusstsein verloren und war am nächsten Tag gestorben. Kian hatte alles aufgeboten, was seine Kunst vermochte, doch es hatte nicht geholfen. Zuletzt hatte Kennas Mutter sich um den Kranken gekümmert. Sie hatte unermüdlich seine Stirn mit feuchten Tüchern gekühlt, aber das Fieber war weiter gestiegen.Ebo, Ravennas kleiner Bruder, hatte endlich wieder seine Pritsche beziehen können, doch die Freude war nur von kurzer Dauer gewesen: eine Woche später war er ebenfalls an dem heimtückischen Fieber erkrankt. Genauso wie Kennas Mutter. Kian hatte sich aufopferungsvoll um seine Tochter gekümmert, hatte ihren Tod aber nicht verhindern können.Kenna hatte ihm mehrfach angeboten ihn abzulösen, doch Kian hatte sie jedes Mal fortgeschickt. Am Ende war er sogar zornig geworden.„Kümmere dich um die Ziegen und komm nicht ins Haus, beim Teutates“, hatte er gebrüllt und Kenna war verzweifelt hinausgerannt und hatte bitterlich geweint.Auch Ebo war kurz darauf gestorben und das Fieber hatte sich hungrig neue Opfer gesucht. Zunächst Ebos Freunde, mit denen er auf dem Dorfplatz gespielt hatte, dann deren Eltern, die ihre kranken Kinder umsorgt hatten. Einer nach dem anderen wurde dahingerafft und fast täglich hatte ein Leichenfeuer gebrannt. Eine düstere Traurigkeit hatte sich im Dorf ausgebreitet. Nur zwei Häuser waren verschont geblieben: Noran und Bela waren Brüder und arbeiteten als Holzfäller. Sie hatten keine Kinder und hatten die meiste Zeit im Wald verbracht, wo das Fieber sie anscheinend nicht hatte erreichen können. Als sie sahen, wie einer nach dem anderen starb, hatten sie ihre Sachen gepackt und waren über Nacht verschwunden.Kenna hatte in dieser Zeit an alle ihr bekannten Götter appelliert, wenigstens Kian und ihren Vater zu verschonen, doch auch hier war sie enttäuscht worden. Ihr Vater war als einer der letzten im Dorf gestorben. Kian hatte ihn selbst zum Leichenfeuer getragen. Wieder hatte er Kenna verboten zu helfen und nun standen sie schweigend am Feuer und starrten in die Flammen.„Warum darf ich dir bei nichts helfen?“, fragte Kenna leise.„Weil es da nichts zu helfen gibt“, entgegnete Kian resigniert. „Gegen dieses Fieber ist kein Kraut gewachsen. Ich habe alles versucht.“„Aber vielleicht hätte ich einen Weg gefunden!“„Ich denke eher das Fieber hätte dich gefunden.“„Wie meinst du das?“, fragte Kenna verwirrt.„Das Fieber … es scheint zu wandern. Ich habe das schon bei anderen Krankheiten erlebt. Es scheint auf diejenigen überzuspringen, die die Kranken pflegen oder sie auch nur berühren.“„Deshalb hast du mich von ihnen ferngehalten“, erkannte Kenna. „Aber was ist mit dir? Warum hat das Fieber dich verschont?“„Wie kommst du darauf, dass das so ist?“, erwiderte Kian leise. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Plötzlich fiel alle Kraft von ihm ab und er musste sich an einem Baum abstützen, um nicht zu stürzen.„Großvater!“, rief Kenna entsetzt und lief mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu.„Berühre mich nicht“, herrschte Kian sie an. „Ich bin schon verloren, aber du kannst dem Fieber noch entkommen.“Er rappelte sich auf und ging schwankend zurück ins Dorf. Kenna folgte ihm mit ein paar Schritten Abstand. Sobald sie näher kam, wies Kian sie streng zurück.Zu Hause angekommen ließ er sich müde auf seine Pritsche sinken und zog sich die Decke bis an die Ohren. Er zitterte am ganzen Körper.„Du musst fortgehen, Kenna“, sagte er bestimmt. „Nimm alles mit, was du brauchen kannst und suche dir einen sicheren Ort.“„Aber wo soll ich denn hin?“, fragte Kenna weinerlich. „Zu Ravenna in die große Siedlung oberhalb des Flusses?“„Nein“, stieß Kian hervor, „dort bist du auch nicht sicher. Ich vermute, die Krankheit wird auch da schon erste Opfer gefunden haben. Du musst an einen Ort, wo sonst niemand wohnt.“Kenna war entsetzt. Wo sollte sie denn hin? Ganz allein, ohne den Schutz einer Siedlung, war sie allen Gefahren schutzlos ausgeliefert. Sie wäre ein leichtes Opfer für Wegelagerer oder auch für wilde Tiere.„Geh ins verbotene Tal“, flüsterte Kian nach einer Weile.„Aber … es ist verboten dort hinzugehen. Es heißt, die Seelen derer, die die Anderswelt nicht erreicht haben, wachen über das Tal.“Kian lächelte schwach. „Mach dir keine Sorgen. Ich war schon mehrere Male dort, um seltene Kräuter zu schneiden und mir ist nie jemand begegnet. Kein Mensch und keine verlorene Seele. Nimm so viel aus dem Dorf mit, wie du tragen kannst. Und natürlich die Ziegen. Suche dir einen geschützten Platz, vielleicht eine Höhle oder ähnliches und kehre nie mehr hierher zurück. Brich noch heute auf.“„Aber wenn ich die Ziegen mitnehme, hast du keine Milch mehr und wirst verhungern“, widersprach sie panisch. „Ich werde dich hier nicht zum Sterben zurücklassen!“„Meine gute Kenna“, lächelte Kian. „Ich bin doch schon fast tot. Ich werde den nächsten Morgen nicht erleben. Ob du hier bist oder nicht. Bitte gib mir die Gewissheit, dass du es wenigstens geschafft hast. Dann kann ich in Ruhe gehen.“Kenna hatte daraufhin nichts mehr gesagt. Es fehlten ihr die Worte. Wie in Trance hatte sie alles eingesammelt, was sie für ihr neues Leben brauchen konnte. Sie wählte die Dinge nach ihrem Nutzen, nicht nach ihrem Wert. Eine Hacke, zwei Schaufeln, eine Säge, einige kleine Tontöpfe und mehrere Messer. Vor dem Haus des Schmieds fand sie einen Handkarren, der noch ganz gut aussah und belud ihn mit ihren Habseligkeiten. Aus einigen Lederriemen bastelte sie ein einfaches Geschirr in der Hoffnung, dass eine der Ziegen ihr wohlgesonnen war.Zuletzt ging sie noch einmal zu Kian, der ihr seinen Kräutersack und verschiedene heilende Öle anvertraute.„Ich wünsche dir ein langes Leben und Frieden“, sagte er brüchig und lächelte seine Enkelin an.Kenna nickte ihm traurig zu und verließ das Dorf, ohne noch einmal zurückzublicken.

Goschamarie Der letzte Abend

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