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2.1.1 Theorien auf der Mikroebene

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Nach der Geografie haben sich vor allem Ökonom*innen der Erforschung von Migrationsprozessen angenommen. Dies geschah sowohl auf Makro- als auch auf der Mikro-Ebene. Auf der Mikro-Ebene wurde das Individuum vor allem als ökonomisch nutzenmaximierend betrachtet, das sich für die Migration entscheidet, wenn es im Aufnahmeland bessere Beschäftigungschancen und höhere Löhne (Lohndifferentialhypothese) erwarten kann (Todaro 1976). Entscheidend sind hierbei sog. ökonomische Push- und Pull-Faktoren: Die schlechte Wirtschaftslage im Heimatland gibt den Anstoß zur Migration (push), während die Auswahl des Ziellandes aufgrund der als am günstigsten wahrgenommenen Bedingungen (pull) erfolgt.

Everest Lee unterscheidet vier Kategorien von Wirkungsfaktoren, die eine individuelle Migrationsentscheidung hervorrufen bzw. die Ursache von Migration erklären sollen: Faktoren in Verbindung mit dem Herkunftsgebiet, Faktoren in Verbindung mit dem Zielgebiet, sogenannte intervenierende Hindernisse („intervening obstacles“) sowie persönliche Faktoren (Lee 1966). Die maßgebliche Hypothese des neoklassischen Push/Pull-Modells lässt sich darin nach Haug (2000) zusammenfassen, als „[…] dass je mehr offene Stellen an einem Zielort im Vergleich zum Herkunftsort sind, je größer die Einkommensdifferenz ist und je mehr Migranten bereits an diesen Zielort gewandert sind, desto stärker wird die Tendenz zur Migration sein“ (Haug 2000, S.3). Unter den Push-Faktoren werden alle Faktoren des Herkunftsortes verstanden, die Migrant*innen ‚wegdrücken‘. Beispiele hierfür liegen in der Arbeitsmarktlage des Herkunftslandes, aber auch in der Diskriminierung oder Verfolgung ethnischer Minderheiten, in Naturkatastrophen oder kriegerischen Konflikten. Die (Migrant*innen ‚anziehenden‘) Pull-Faktoren werden nach Lee in den Merkmalen des Zielortes gesehen, die zur Immigration in ein Land bzw. eine Region motivieren. Klassische Beispiele hierfür liegen in besseren Arbeitsbedingungen, der Achtung von Menschen- und Bürgerrechten (u.a. Glaubensfreiheit) und politischer Stabilität (Lee 1966).

In der soziologisch gewendeten Theorie der rationalen Entscheidung (rational choice) werden die ökonomischen Anreize um soziale und psychologische Aspekte erweitert. Der Behaviorismus legte dabei ein spezielles Augenmerk auf Kognitionsprozesse in der Entscheidungsfindung. Forschende wie Mueller (1981) und Clark (1986) haben die psychologischen Hintergründe von Migrationsentscheidungen untersucht, um herauszufinden, warum Migrant*innen an bestimmte Orte auswandern bzw. warum sie überhaupt emigrieren. Im Gegensatz zu neo-klassischen Vertreter*innen sind Behaviorist*innen, wie Wolpert (1965), auch an ‚irrationalen‘ Aspekten im Entscheidungsprozess interessiert, die Migrant*innen beeinflussen. Soziale und emotionale Faktoren, etwa im Zielland lebende Verwandte, können sich ebenso auf die Auswahl des Migrationsziels auswirken wie ökonomische Faktoren (Samers 2010, S.62f.). Entscheidend für die Migration ist demnach die Produktsumme aus ökonomischem, sozialem und psychischem Nutzen für den homo oeconomicus (Massey et al. 1993; Faist 1995).

Wie schon bei Ravenstein liegt der Fokus dieser Ansätze auf dem Individuum. Die Neue Ökonomie der Arbeitsmigration weist diesen engen Begründungszusammenhänge als zu einseitig und lückenhaft zurück und betont vielmehr, dass die Agierenden in der Migration nicht allein entscheidend seien, sondern auch Beziehungsnetzwerke eine Rolle spielen. Dabei werden Familien als wesentliche, kollektive Akteure der Migration betrachtet, weshalb der maßgebliche Bestimmungsgrund der Arbeitsmigration sich vor allem in der Diversifizierung des Familieneinkommens finden lässt (Stark 1984). Während klassische Theoreme wie das Push/Pull und andere neoklassische Theorien (u.a. Stadt-Land-Migration nach: Todaro 1969; Borjas 1989) stets die Lohndisparitäten und die individuelle Nutzenmaximierung als zentrale Motivatoren einer Migrationsentscheidung herausstellten, findet hier eine Einbindung der gesamten Familiensituation Eingang in die Gesamtbetrachtung (Stark 1984; 1991).

Gemäß dieser Überlegung wird z.B. in dem sog. „Household“-Ansatz die Entscheidung zur Migration nicht isoliert, sondern innerhalb eines Haushalts oder einer Familie betrachtet. Migration ist demnach eine kollektiv beschlossene, rationale Strategie, welche die innerhalb einer Familie vorhandenen Ressourcen zum Zwecke der Einkommenssteigerung einsetzt (Massey 1990). Auch kann die Migration zur Risikodiversifizierung eingesetzt werden, um das Risiko eines Einkommensausfalls in einem Haushalt zu senken. Migration ist demnach kein individueller Prozess, sondern das Resultat komplexer Gruppen- und Netzwerksstrukturen. Die Strategien können sich dabei im Laufe der Jahre durchaus wandeln: Wurden beispielsweise auf den Philippinen zunächst vorwiegend männliche Arbeiter ins Ausland gesandt, setzen zahlreiche Haushalte mittlerweile bevorzugt auf die Migration von weiblichen Angehörigen. Diese gelten als zuverlässiger und senden regelmäßigere und höhere Anteile ihres Einkommens an die Familien im Heimatland (Semyonov und Gorodzeisky 2004). Auch ist es möglich, dass durch die Migration anderer der eigene Wunsch ebenfalls zu migrieren, erst geweckt bzw. vergrößert wird. Da Migration oftmals mit einem Einkommenszuwachs verbunden ist, wächst auch bei anderen Familien der Wunsch, in den Genuss höherer Einkommen zu kommen, insbesondere dann, wenn sich die Menschen „im Verhältnis zur sozialen Referenzgruppe in ihrer Herkunftsregion“ (Pries 2010, S.15) benachteiligt sehen (relative Deprivation).

Internationale Migrationspolitik

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