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2.1.2 Theorien auf der Mesoebene

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Neuere Theorieansätze schließen an die Veränderungen infolge der Globalisierung an und konstatieren die Herausbildung einer Meso-Ebene in Form von neuen transnationalen sozialen Feldern oder Räumen, die die Grenzen von Nationalstaaten überschreiten (Faist 1995). Zum Informationsaustausch, zur Verringerung der Kosten und Risiken und zur Erleichterung der Integration bilden sich sog. Migrationsnetzwerke heraus, die für die Wahl des Ziellandes entscheidend sind. Die kontinuierliche Migration zwischen gleichbleibenden Herkunfts- und Zielländern entwickelt eine Art Eigendynamik (kumulative Verursachung); durch Rücktransfers von Einkommen und Informationen aus dem Zielland werden weitere Migrant*innen angezogen (Shah und Menon 1999). Dadurch kann sich eine „Migrationskultur” herausbilden. In vielen Fällen ist diese längst für junge Männer und Frauen zu einem normalen Bestandteil ihres Lebens geworden (Massey et al. 1994).

Das Konzept der Migrationskultur weist über die weiter oben vorgestellte Lohndifferentialhypothese hinaus und erklärt, warum Migration auch dann noch stattfindet, wenn die Margen der durch Mobilität erzielten Einkommensgewinne schrumpfen. Es ließe sich auch mit konstruktivistischen Ansätzen in Einklang bringen (→ Seite 56): Migration als eine kulturell gegebene Option zur Lebensgestaltung inklusive bestimmter Verhaltensregeln, Wahl der Zielländer etc. Aus historisch gewachsenen Strukturen entstehen informelle internationale Migrationssysteme, die weitgehend unabhängig von der Staatenwelt existieren können.1

Die Migrationsforschung hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten durch diese auf abstrakteren Raumbegriffen basierende Ansätze wesentliche Impulse erfahren. Hierzu zählt zum einen das zu Beginn der 1990er Jahre von amerikanischen Forscherinnen entworfene Konzept der transnationalen sozialen Felder, „transnational social fields“ (Glick Schiller et al. 1992; Basch et al. 1994) und zum anderen das von deutschen Wissenschaftlern maßgeblich geprägte Konzept der „transnationalen sozialen Räume“ (Faist 2004; Pries 2008). Hiernach greift die Vorstellung des Staates als eines sozial und geographisch abgeschlossenen Raumes, im Sinne einer Art „Container-Gesellschaft“, zu kurz. Vielmehr zeige die tatsächliche Migrationserfahrung, dass durch die Migration ganz neue Arten von Verbindungen und auch Institutionen entstehen, die die durch die Migration verbundenen Staaten auf neue Art zusammenführen und überspannen. „Wir nennen diese Prozesse Transnationalismus, um zu unterstreichen, dass viele Migranten heutzutage soziale Felder errichten, die geographische, kulturelle und politische Grenzen überschreiten“ (Basch et al. 1994, S.7, eigene Übersetzung).

Während die Begründer des Begriffs der transnationalen Felder eine „Deterritorialisierung des Nationalstaats“, also eine Entkopplung von politischer und räumlicher Einheit sehen (Glick Schiller et al. 1992) halten die Verfechter*innen des Raum-Begriffes den Staat immer noch als wichtigen Referenzrahmen; schließlich stünden Migrant*innen weiterhin unter dem Einfluss von Politiken und Praktiken von Herkunfts- und Zielstaaten und Staatengemeinschaften, die einem spezifischen Territorium zugeordnet sind (Smith und Guarnizo 1998, S.10). Diese Debatte befasst sich auch mit den mit der Staatsbürgerschaft verbundenen Rechten; Soysal spricht hier von einer „postnationalen Mitgliedschaft“, bei der in Europa zunehmend Rechte, die zuvor ausschließlich Staatsbürgern vorenthalten gewesen sein, auch an Immigrant*innen gewährt wurden (Soysal 1994).

Mit dem Begriff der „transnationalen Politikräume“ (Rother 2009) soll die explizit politische Dimension dieses Phänomens erfasst werden: Politik von und für Migrant*innen kann sich demnach nicht mehr an den Grenzen des Nationalstaats orientieren. Auch wenn Herkunfts- und Zielstaaten aufgrund diplomatischer Zwänge oder mangelnden Willens Migrationspolitik weiterhin in diesem Rahmen betreiben, schaffen Migrant*innen durch ihr Engagement neue Räume, in denen sie auch Aufgaben übernehmen, die Staaten nicht wahrnehmen können oder wollen; diese reichen von der Rechtsberatung bis hin zur politischen Partizipation (→ 7 Migration und Demokratie).

Internationale Migrationspolitik

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