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2.1.1 Theorien auf der Makroebene

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So wichtig der Fokus auf die individuelle Ebene ist, so lässt sich auch argumentieren, dass diese Entscheidungen letztlich durch die Makroebene beeinflusst sind, etwa durch das kapitalistische Weltsystem, das den Druck zur Migration erst hervorruft. Strukturelle Ansätze haben in der Migrationsforschung daher ebenfalls eine große Tradition und großes Gewicht. Sie gehen zumeist auf (neo-)marxistische oder historisch-soziologische Theorien zurück. Dieses Bündel von Ansätzen lässt sich nicht eindeutig (nur) den Migrationstheorien zuordnen, so gibt es starke inhaltliche Überschneidungen mit den Bereichen Kapitalismus, Kolonialismus, Imperialismus und Neoliberalismus. Die Entstehung der strukturellen Theorien ist eng mit der in den 1970er und 1980er Jahren stattfindenden Arbeitsmigration aus ehemaligen Kolonien nach Nordamerika, Europa und Südafrika verbunden.

Politisch-ökonomische Ungleichheiten zwischen diesen Ländern bilden daher einen Analyseschwerpunkt in Bezug auf Migration. Im Gegensatz zu den Ansätzen der Mikroebene fokussieren strukturelle Ansätze, wie die Weltsystemtheorie oder Dependenztheorie, auf die Makroebene und beschäftigen sich mit den Rahmenbedingungen und Kontextfaktoren von Migration, wobei das Wirtschaftssystem eine zentrale Rolle einnimmt (Samers 2010, S.67; Smoliner et al. 2013, S.14). Im Folgenden werden einige strukturelle Ansätze vorgestellt, um ihre Unterschiede und Vielfalt herauszustellen.

Die Theorie der ‚Articulation of modes of production‘ geht auf das Konzept der Produktionsweise nach Marx zurück und beschreibt die unterschiedlich starke Einbindung in das kapitalistische System zwischen einzelnen Regionen bzw. Ländern. Die Entwicklung des Kapitalismus in Regionen mit vorkapitalistischen Strukturen hat einen zerstörerischen Effekt auf landwirtschaftliche und soziale Netzwerke gehabt (Portes und Walton 1981), sodass die Menschen in kapitalistische (Arbeits-)Strukturen gezwungen werden und schließlich in reichere Länder (zumeist in den Globalen Norden) emigrieren (Samers 2010, S.68f.).

Auf dieser Grundprämisse bauen auch neomarxistische Ansätze wie die sog. Weltsystemtheorie auf, zu deren Begründern Immanuel Wallerstein gehört. Diese Theorie geht von einem komplexen weltweiten System internationaler Arbeitsteilung und Machtstrukturen innerhalb des kapitalistischen Weltsystems aus (Wallerstein 2004). In diesem Weltsystem (das nicht zwangsläufig die gesamte Welt umfassen muss, aber in sich geschlossen ist) findet eine Umverteilung von Ressourcen von der Peripherie ins Zentrum statt. Während die früheren „Weltreiche“ nur ein Zentrum hatten, finden sich in der heutigen „Weltökonomie“ mehrere Machtzentren, die miteinander konkurrieren. Diese Machtzentren werden durch das zwischenstaatliche System in Balance gehalten, wobei Staaten zeitweise durchaus hegemoniale Führungsrollen einnehmen können. Zwischen Zentrum und Peripherie finden sich zudem oft autoritär regierte Staaten der „Semi-Peripherie“, die das System weiter stabilisieren.

Diesen Gedanken hatten bereits die sog. Dependenztheorien in den 1960er Jahren entwickelt und in vielen Studien aufgezeigt, wie sich die Abhängigkeiten (Dependenzen) der Länder in der sogenannten „Dritten Welt“ – heute spricht man eher vom „Globalen Süden“ – von den Industriestaaten des Nordens negativ auf ihre Entwicklung auswirken (für die deutsche Debatte siehe: Senghaas 1974). Wichtig im Kontext der Migrationsforschung ist, dass das Zentrum neben Rohstoffen und Profit aus Investitionen auch von billigen Arbeitskräften aus der Peripherie profitiert. Migrationsbewegungen ergeben sich demnach aus der Funktion der jeweiligen Länder im modernen kapitalistischen Weltsystem. Der „Brain Drain“ (→ 10 Migration und Entwicklung) aus Ländern der Peripherie und Semi-Peripherie ließe sich ebenso mit der Weltsystemtheorie erklären wie etwa die Nachfrage nach philippinischen Hausangestellten in Dubai oder Hongkong (→ 6 Migration und Gender). Kritisiert wird an diesen Theorieansätzen aber vor allem, dass sie dem Individuum kaum Entscheidungsfreiheit zugestehen.

Auf der anderen Seite des Spektrums spielen neo-liberalistische Ansätze im Kontext der Globalisierung eine wichtige Rolle, um die Zusammenhänge zwischen Migration und der Wirtschaftspolitik von Industrieländern, Unternehmen oder internationalen Organisationen (z.B. WTO, IMF) zu erklären. Der Neoliberalismus umspannt dabei verschiedene Politiken, Programme und Diskurse, die sich tendenziell deregulierend auf Arbeitsmärkte auswirken und staatliche Wohlfahrtsprogramme zugunsten einer wettbewerbsorientierten Logik beschränken. In reicheren Ländern werden häufig gezielt hochqualifizierte Immigrant*innen angeworben, um sich auf dem globalen Markt zu behaupten, wobei sich insbesondere die internationale Studierendenmobilität hervorheben lässt. Ärmere Länder erfahren ebenso eine (zum Teil unfreiwillige) strukturelle Anpassung, die durch voranschreitende Liberalisierungen, ausländische Direktinvestitionen und Handel noch verstärkt wird. Durch Rücküberweisungen der Migrant*innen partizipieren auch die Herkunftsorte der Migrant*innen am wirtschaftlichen Fortschritt in den Einwanderungsländern. Auch durch Rückwanderung oder zirkuläre Migration können positive Entwicklungsprozess in den Ausgangsräumen angestoßen werden (sog. Migration-Development-Nexus, Van Hear und Sorensen 2003).

In der Migrationsforschung ist dabei strittig, ob die dargestellte Zunahme der Migration allein durch die Globalisierung hervorgerufen wurde. Während einige Forscher*innen auf die Möglichkeit von Langstreckenreisen und die einfachere Kommunikation mit Personen im Herkunftsland verweisen und uns im Zeitalter der Migration („Age of migration“, Castles et al. 2014) sehen, dessen gewaltiges Ausmaß an internationalen Wanderungsbewegungen ohne die Globalisierung so nicht möglich gewesen wäre (Brettel und Hollifield 2008), bestreiten andere die Neuartigkeit des Phänomens. So verweisen Hirst und Thompson (1996) zum Beispiel auf Parallelen zu Migrationsbewegungen im späten 19.Jahrhundert.

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