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Der zerbrochene Stab

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Heute Morgen ist der Himmel grau in grau, Regen trommelt gegen die Fensterscheiben. Tina hält die Kaffeetasse in der Hand, schließt ihre Augen und nimmt einen Schluck. Sie hofft, dass sie gleich aus diesem Alptraum aufwacht und all ihre Probleme gelöst wären. In ihrem Kopf herrscht ein heilloses Durcheinander.

„Ein vertrautes Leben verabschiedet sich gerade. Wie soll das nur alles weitergehen? Ich habe kaum geschlafen heute Nacht. Gestern Abend hat mir Joachim ein Ultimatum gestellt. Was war ich doch blauäugig in meinem blinden Vertrauen ihm gegenüber! Ich habe keinerlei Wohnrechte, mein Name steht nicht im Kaufvertrag des Hauses. Joachim hat mich vollständig in der Hand! Simon soll bei ihm bleiben, hat er entschieden. Ich konnte nichts erwidern, weil ich mich vor seinen unkontrollierten Wutausbrüchen fürchte. All die Jahre war ich still, wenn er anfing zu schreien, aus Angst, geschlagen zu werden. Ich war dann wieder das kleine Mädchen, das vom Vater verprügelt wird.“

Bilder aus der Jugendzeit tauchen in ihr auf. Tina sieht sich selbst zitternd in der Küche ihrer Eltern. Sie war dreizehn Jahre alt und kam zu spät von der Geburtstagsfeier einer Schulfreundin nach Hause. Der Vater zerschlug den Rührlöffel auf ihrem Rücken. Sie musste warten, bis er einen neuen Holzstab geholt hatte und es weiterging. Ihre Mutter und ihre Oma passten auf, dass sie in der Zwischenzeit nicht weglief. Wie demütigend das war! Ihre Kinder würden niemals Schläge bekommen, das hatte sie sich damals geschworen. Irgendwann taten ihr die Prügel nicht mehr weh, weil sie innerlich abwesend war.

„Es gibt einen Teil in mir, den erreicht niemand, der ist unverletzbar.“ Diese Gewissheit breitete sich allmählich in ihr aus und machte sie immun gegen den Schmerz. Sobald sie alt genug war, wollte sie ausziehen. Ist es jetzt wieder so weit? Tina hat den Eindruck, als wiederhole sich etwas in ihrem Leben, und überlegt:

„Schon mit neunzehn Jahren lebte ich mit Joachim zusammen in unserer ersten gemeinsamen Wohnung. Ich habe mir doch tatsächlich einen ähnlichen Typ von Mann wie meinen Vater als Partner ausgesucht. Wohl oder übel muss ich nun all seine Bedingungen akzeptieren. Vor ein paar Monaten hatten wir noch eine sanfte Trennung vereinbart, die sich über Jahre hinziehen könnte, vor allem wegen Simon. Doch jetzt zeigt Joachim sein wahres Gesicht. Das Ganze hat eine neue Dimension erreicht: Ich bin hier nur noch ein geduldeter Gast. Mir bleibt nichts anderes übrig, als sein Ultimatum zu erfüllen, sonst werde ich keine frohe Stunde mehr in diesem Haus haben. Irgendwie muss ich es schaffen!“ In ihr steigt das Gefühl auf, in eine Sackgasse geraten zu sein. Sie hält die Kaffeetasse umklammert, als könnte diese sie hinausführen.

„Jetzt hast du ihr aber gezeigt, was eine Harke ist, was?“ Luna spaziert neben Joachim her, der gerade einen Gerichtstermin hinter sich hat und nun im Wald Erholung sucht. Er fährt zusammen.

„Schon wieder du, kannst du mich nicht in Ruhe lassen!“, blafft er sie an, doch völlig unbeeindruckt fährt Luna fort:

„Ist Franziska zufrieden mit dir? Sie hat ja nun erreicht, was sie will.“

Keine Antwort, stattdessen: „Hoppla!“ Joachim stolpert über einen quer liegenden Ast und wäre beinahe auf die Nase gefallen.

„Ein bisschen mehr Achtsamkeit täte dir gut“, kommentiert Luna.

Joachim ist wütend. „Das ist meine Sache“, knurrt er. „Verschwinde!“

„Du kannst mich nicht einschüchtern, das weißt du doch“, triumphiert Luna. „Ich weiß, wie unberechenbar du bist in deinem Zorn, unfähig zu einem vernünftigen Dialog. Das hat auch deiner Ehe das Genick gebrochen. Dein dickes, fettes Ego versperrt dir den Weg zu deinen liebevollen Anteilen, die du ja auch hast. Du wirst dich noch nach der Herzenswärme deiner Frau zurücksehnen, möglicherweise früher, als es dir lieb ist.“

Damit fliegt Luna davon und bläst eine kleine Wolke in seine Richtung, die lustig um seinen Hut herumtanzt.

Den Jäger hat, oh weh,

im Wald geküsst die Fee.

Familienglück im Klimawandel

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