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Heimkehr in die Ferne

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„Achte auf den Geruch, wenn wir aussteigen“, sagt Theo zu Tina kurz vor der Landung in Mumbai. „Indien riecht ganz anders als Deutschland, irgendwie ein bisschen betörend.“ Mumbai wurde von den Engländern während der Kolonialzeit „Bombay“ genannt, was die Inder als Verballhornung empfanden. Heute steht „Mumbai“ auf allen Schildern von Indiens größter Stadt.

Tina fliegt zum ersten Mal in ein so weit entferntes Land. Mit seinen über dreihundert Tonnen Gewicht gleitet der Jumbo-Jet nun schon fast acht Stunden lang scheinbar mühelos in zehn Kilometer Höhe dahin. Über dem Iran ist das alte Jahr zu Ende gegangen – ganz unspektakulär, ohne Feuerwerk und knallende Sektkorken. An Bord hat sie erste sinnliche Eindrücke von ihrem Reiseziel bekommen: die freundlichen Stewardessen der „Air India“ mit ihren königsblauen Saris, das nach Koriander duftende Essen und der heiße Gewürztee sowie die Mehrzahl der Passagiere, die sich lauthals in Englisch, Hindi oder anderen indischen Sprachen unterhalten. Um ihnen die Flugzeit zu verkürzen, hat Theo das kleine Reiseschachspiel mit den magnetischen Figuren ins Handgepäck getan und erklärt Tina die Spielregeln. Vor vielen Jahren hat er damit gegen seinen Vater gespielt.

„Flughäfen sehen überall gleich aus“, hat Theo eben noch gesagt, „nur die Leute sind unterschiedlich.“ Dann ist es soweit: Nach einer weichen Landung im Morgengrauen des Neujahrstages öffnen sich die Türen an der Gangway. Tina betritt an Theos Seite eine neue Welt, in der sie nun zwei Monate lang bleiben werden. Schon zu dieser frühen Tageszeit herrscht ein dichtes Gedränge am Flughafenausgang. Rund zwanzig Taxifahrer reden auf sie ein, um die beiden mit ihrem Taxi in die Stadt befördern zu dürfen. Doch Theo winkt lächelnd ab und zieht Tina hinaus ins Freie.

„Da drüben gibt es einen ganz normalen Bus für die Einheimischen, der ins Stadtzentrum fährt“, sagt er. „Der kostet nur ein Zehntel vom Taxi und außerdem lernst du Indien so gleich etwas besser kennen als durch die getönte Autoscheibe.“ Theo hat fast zwei Jahre lang in Indien gelebt und kennt sich aus. Dieses Land sei für ihn während seiner Studienaufenthalte zu einer Art von zweitem Zuhause geworden, meint er.

In Colaba finden sie eine kleine Pension, nicht weit entfernt vom luxuriösen Fünf-Sterne-Hotel „Taj Mahal“, das direkt am Meer liegt. Sie versuchen sich an Temperaturen bis zu dreißig Grad im Januar und die Zeitverschiebung um viereinhalb Stunden zu gewöhnen. Doch das braucht erfahrungsgemäß ein paar Tage. Zu Tinas Gepäck gehört ein kleines, handliches Tagebuch. Irgendwann holt sie es hervor und macht ihre ersten Notizen.

T*

Theo hat uns in einem Hotel untergebracht, das diese Bezeichnung bei uns in Deutschland wohl nicht hätte. An diese „einfachen Quartiere“, wie er sie nennt, werde ich mich erst gewöhnen müssen. Heiß ist es in dieser Stadt und an vielen Ecken liegt Müll. Ich beobachte eine dicke, fette Ratte, die nach Essensresten sucht. Sie lässt sich von uns gar nicht stören, sondern schaut uns ganz frech an. Ein Transvestit flaniert an der Kaimauer entlang. Dass es sich um einen Mann handelt, erkenne ich erst, als ich mich nicht mehr von seinem wunderschönen, türkis schimmernden Sari ablenken lasse. Auch das gibt es in einem Land wie Indien, wo die männlichen Nachkommen gegenüber den weiblichen bevorzugt werden. Getarnte Abtreibungskliniken sorgen dafür, dass schon vor der Geburt eine geschlechtsspezifische Auslese getroffen wird. Mädchen zu verheiraten ist teuer in Indien, was viele Familiendramen verursacht. Schon an den ersten beiden Tagen verändert dieses Land mein Weltbild.

Gegen Abend wird es kühler in der Stadt und wir machen uns auf den Weg zur „Victoria Station“, dem wichtigsten Bahnhof von Mumbai, ein grandioses Monument aus der englischen Kolonialzeit. Dann geht es an der Hauptpost mit ihrer domhaften Kuppel vorbei zu einem großen Gemüsemarkt, weiter durch wuselige Straßen mit roten Doppeldecker-Bussen, hupenden „Ambassador“-Taxis und unzähligen Autorikschas mit ihrem typischen Dieselgestank. Die dicht gedrängten Menschenmengen und der Kloakengeruch machen mir an einigen Stellen ganz schön zu schaffen. Ich habe das Gefühl, als drehe sich mir der Magen um. Zum Glück finden wir etwas Ruhe in einer abgelegenen Seitenstraße und trinken dort in einer Imbissbude stark gesüßten Tee, der mir gut tut. Theo gibt sich viel Mühe, mir den Einstieg in diese fremde Kultur angenehm zu gestalten. Morgen werden wir ins Landesinnere weiterreisen …

Neun Tage später:

Seit einigen Tagen sind wir im Norden von Karnataka, in einer tibetischen Exilsiedlung mit rund zehntausend Bewohnern, die auf zahlreiche kleine Dörfer verteilt sind. Theo erzählt mir etwas über die Hintergründe: Nach dem großen Volksaufstand von 1959, der von der chinesischen Armee blutig niedergeschlagen wurde, flohen mehr als achtzigtausend Tibeter über die Himalaya-Grenze nach Indien und Nepal. Hier im Süden des Landes, fern von ihrer Heimat, überließ ihnen die indische Regierung mehrere unkultivierte Gebiete für die Landwirtschaft. Nicht wenige Tibeter haben heute indische Landarbeiter und Hausangestellte aus den niederen Kasten und behandeln sie besser als deren eigene Landsleute aus den höheren Kasten. Die unterschiedlichen Religionen – Buddhismus und Hinduismus – wirken sich im Alltag aus.

Theo hat hier vor Jahren im Rahmen eines Studienaufenthalts recherchiert und findet bald ein Quartier im Haus einer tibetischen Familie. Dort dürfen wir im Wohnraum neben dem Hausaltar schlafen, auf dem die ganze Nacht über Butterlämpchen brennen. Gestern ist der Dalai Lama eingetroffen und leitet eine mehrtägige Zeremonie, an der nicht nur die Mönche aus dem in Sichtweite liegenden großen Kloster und andere Tibeter teilnehmen, sondern auch indische Bauernfamilien aus der Umgebung und zahlreiche Rucksackreisende aus westlichen Ländern. Abends gehen wir im nahe gelegenen Wald spazieren, um uns von der staubigen Luft zu erholen, die über dem ganzen Veranstaltungsort liegt. Wir hören das vielstimmige Lied der Zikaden und sehen Affen in den Bäumen herumturnen. Abseits der Menschenmengen kann Indien ganz friedlich und erholsam sein.

Auf den abgeernteten Feldern sitzen Geier, die sich an einem Tierkadaver zu schaffen machen. Theo erzählt mir, dass in vielen Teilen Tibets die so genannte „Luftbestattung“ üblich ist. Die verstorbenen Menschen werden nach einer längeren religiösen Zeremonie an abseits gelegene Plätze gebracht, wo Geier die von der Seele befreiten Körper restlos entsorgen. Mangel an Brennholz und die meist tief gefrorene Erde in Tibet machen die bei uns bekannten Bestattungsformen dort unmöglich. Etwas Ähnliches gibt es auch bei den wohlhabenden Parsis in Indien, die ihre Toten in die „Türme des Schweigens“ bringen, von denen einige mitten in Mumbai stehen …

Fünf Tage später:

Nach einer längeren Busfahrt über die Berge, vorbei an Resten von immergrünem Regenwald, kommen wir zurück ans Meer. Unterwegs haben wir an einem Busbahnhof landesübliche Kost in einer kleinen Garküche zu uns genommen, was sich für mich noch als fatal erweisen sollte. In einer Ortschaft im Süden von Goa beziehen wir eine primitive Lehmhütte unter Palmen, die von einer christlichen Familie vermietet wird. Noch bis Anfang der sechziger Jahre war Goa portugiesisches Kolonialgebiet, erzählt mir Theo, und hebt sich mit seinen Kirchen und Schnapsbrennereien kulturell vom Rest Indiens ab.

An diesem Abend fühle ich mich ausgelaugt von den Strapazen der Reise und lege mich früh schlafen. Theo geht derweil mit einigen neuen Bekannten, die auch als Rucksacktouristen hierher gekommen sind, in ein Lokal, um seinen Hunger und Durst zu stillen. Während seiner Abwesenheit bekomme ich plötzlich heftiges Bauchweh und irre im Dunkeln herum, um Theo zu finden, leider erfolglos. Mir ist, als hätte mein letztes Stündlein geschlagen. Zurück im Bett denke ich, jetzt könnte ich sterben. Als Theo nach zwei endlosen Stunden zurückkommt, findet er mich in einem erbärmlichen Zustand vor, mit hohem Fieber und Schüttelfrost. Glücklicherweise wohnt gleich nebenan eine indische Ärztin, die von Rosi, unserer rührend besorgten Vermieterin, aus dem Schlaf geholt wird. Die gibt mir eine Injektion und schnell wirkende Medikamente und beauftragt Theo, mir stündlich kalte Körperabreibungen zu geben, bis das Fieber von über vierzig Grad abgeklungen ist. Dank seiner hingebungsvollen Hilfe und Rosis Schonkost geht es mir heute, anderthalb Tage später, schon deutlich besser. Es rumpelt zwar noch im Bauch, doch Durchfall und Fieber sind beinahe so schnell verschwunden, wie sie gekommen sind …

Über zwei Wochen später:

Wir sind auf dem Land, irgendwo in Gujarat. Mit dem großen Reiserucksack auf dem Rücken, dem kleinen Tagesrucksack vor der Brust und meinen Schuhen in der Hand habe ich einen seichten Fluss durchquert. Indische Bauern auf Ochsenkarren und halb nackte Kinder schauten mir vom Ufer aus zu, wie ich über die glatten Flusssteine balancierte. Nach einem längeren Fußmarsch kommen wir in der Siedlung an, wo Theo vor einigen Jahren Material für sein Studium gesammelt hat. Eine Gruppe junger Akademiker aus der Stadt hat sich hier niedergelassen, um der ärmeren Bevölkerung mit juristischem Beistand zu helfen und eine medizinische Grundversorgung zu sichern. Sie bilden Hebammen und so genannte „Health Workers“ aus, die aus den umliegenden Dörfern stammen und nun in ihrer neuen Funktion dort arbeiten.

Morgen wollen Theos Freunde mit zwei Jeeps für einige Tage in abgelegene Dörfer in den Bergen fahren und bieten uns an mitzukommen. Sie setzen sich für die Rechte der Kleinbauern und ihrer Familien ein, die von der Regierung wegen eines großen Staudamms aus ihrer Heimat vertrieben und in ein weit entferntes Gebiet umgesiedelt werden sollen. Die meisten von ihnen gehören zu den „Adivasis“, den indischen Stammesgruppen, die die Urbevölkerung Indiens bilden. Ich bin gespannt, was mich in der Wildnis erwartet.

Nach dem Frühstück packen wir unsere Tagesrucksäcke und steigen ins staubige Fahrzeug. Als wir im ersten Dorf ankommen, laufen einige Frauen und Kinder ängstlich schreiend davon, als sie meinen großen, blonden Mann sehen. Es dauert eine Weile, bis sie Zutrauen gefunden haben, dann strahlen sie uns mit leuchtenden Augen an und fangen an zu lachen. Wir machen die Erfahrung, dass nicht immer eine verbale Kommunikation erforderlich ist, um Kontakt aufzunehmen.

Ohne Theos Freunde, die die regionale Stammessprache beherrschen, könnten wir uns überhaupt nicht verständigen. Bei den Dorfversammlungen sollen Unterschriften gesammelt werden, um bei den Behörden eine angemessene finanzielle Entschädigung für die Betroffenen zu erreichen, die ihre alte Heimat bald verlieren werden. Da die meisten Anwesenden niemals eine Schule besucht haben, drücken sie einfach ihren Fingerabdruck aufs Papier. Hier ist alles total anders und doch irgendwie vertraut. Wir essen scharf gewürztes Gemüse mit Fladenbrot und Reis und benutzen dafür unsere Finger. Wir sitzen und schlafen auf einfachen Matten am Boden. Nachts ist es relativ kühl, so werden wir nicht von Insekten belästigt …

Drei Tage später:

Die vielen Eindrücke lassen mich meine Alltagsprobleme aus Deutschland zeitweilig vergessen. Und dennoch ist mein Sohn immer bei mir. In der Vorstellung zeige ich ihm alles, was ich hier erlebe, und schreibe einen ausführlichen Brief an ihn, als wir wieder zurück sind in der Siedlung. Mit Theo eine derart intensive Zeit in einer mir völlig fremden Umgebung zu verbringen, ist nicht immer einfach für mich. Während ich dies schreibe, sitze ich in der Abendsonne, schaue auf den breiten Fluss hinter den Häusern und denke an Luna. Die lässt nicht lange auf sich warten und flüstert mir zu:

„Hier bist du nun gemeinsam mit Theo, deinem Seelenpartner und aktuellen Lebensgefährten, auf eurer ersten Reise in ein fernes Land. Es wird nicht die letzte sein, das darfst du mir glauben. Ebenso wie zwischen dir und deinem Kind, so gibt es auch zwischen dir und Theo Altes zu heilen und zu korrigieren. Niemand wird behaupten, dass dies ein Kinderspiel ist. Eure Seelen haben sich nicht zum ersten Mal getroffen, wenn auch die Verknüpfungen nicht so ausgeprägt sind wie mit deinem Sohn.

Dein Partner bietet dir eine große Chance, ganz bei dir anzukommen und dich nicht in neue Abhängigkeiten zu verstricken. Freiheit ist das Ziel deiner Seele, vergiss das nicht. Manchmal sieht es so aus, dass es dir schwer fällt, denn Abhängigkeiten haben auch etwas Bequemes, etwas, das scheinbare Sicherheiten bietet. Aber auf einer tieferen Ebene sind diese Sicherheiten Schall und Rauch. Das weißt du selbst am besten. Deine wirkliche Sicherheit liegt in der Entwicklung deines eigenen Potenzials und deiner inneren Reifung.

Sei dankbar, dass du jetzt die Gelegenheit hast, diesen Prozess langfristig und ausführlich zu durchlaufen. In dieser Hinsicht kannst du einiges von deinem Partner lernen. Er hat dafür andere Dinge von dir zu lernen. Lass ihm den Raum, seine eigenen Prozesse zu durchlaufen, und hab Vertrauen, dass sich alles zum Richtigen hin entwickelt. Sei manchmal einfach etwas gelassener und hab den Mut, noch mehr eigene Schritte zu gehen. Du kannst es und du wirst noch einiges in dir entdecken, was du dir früher niemals zugetraut hättest und wofür du lieber eine Abhängigkeit von einer anderen Person in Kauf genommen hättest. Deine Lernaufgabe besteht darin, dich in erster Linie um dich selbst zu kümmern. Wenn du mit dir selber klar kommst, wird es auch mit anderen Personen einfacher sein, insbesondere mit denen, die dir nahe stehen. Solange du aber bestimmte Erwartungen hegst, provozierst du damit Resultate, die dem zuwiderlaufen, was du dir eigentlich wünscht.“

„Welches Vorbild bin ich denn für mein Kind, wenn ich einfach meinen Rucksack packe und für acht Wochen verreise?“, überlege ich und Luna antwortet mir:

„Das ist das einzig Richtige in deiner jetzigen Situation: Du folgst der Stimme deines Herzens! Damit bist du das allerbeste Vorbild für deinen Sohn. Außerdem lässt du ihn an deinen Abenteuern teilhaben, wenn du ihm regelmäßig schreibst. Die beiden Männer kommen ganz gut ohne dich zurecht. Joachim hat wie immer alles im Griff, mit Ausnahme meiner Auftritte und Ratschläge natürlich. So, nun sorge dich nicht weiter und freue dich darauf, was dieses Land noch alles für dich bereithält.“ …

Acht Tage später:

In meinem dunkelroten Mantel aus Fallschirmseide, der mich gut vor Sonne, Wind und Staub schützt, sitze ich auf der großen Marmorterrasse des „Taj Mahal“ in Agra. Dieses majestätische Bauwerk zählt zu den neuzeitlichen Weltwundern und zieht mich ganz in seinen Bann. Mit meinen Augen folge ich den rankenförmigen Steinmustern auf der Außenseite und lasse mich nicht stören durch den Strom der Besucher. Ich tauche ein in die Geschichte seiner Entstehung. Vor über 350 Jahren ließ der damalige Mogul-Kaiser diesen strahlend weißen Kuppelbau als Grabmal für seine verstorbene Gemahlin errichten, die ihm dreizehn Kinder geschenkt hatte.

„Wie muss er sie doch geliebt haben!“, denke ich still bei mir. „Vermutlich hätte er lieber noch länger eine lebendige Frau an seiner Seite gehabt.“ Später wollte er auf der anderen Seite des Flusses Yamuna ein genauso aufwändiges Grabmal, ganz in schwarz, für sich selbst errichten lassen, erzählt mir Theo. Dazu kam es aber nicht, weil ihn sein eigener Sohn kurzerhand vom Thron stieß, angeblich um seinen teuren architektonischen Extravaganzen Einhalt zu gebieten …

Sechs Tage später:

Auf unserer Reise habe ich zahlreiche Kulturdenkmäler besichtigt und viel Neues gesehen. Ein paar Tage lang waren wir in einem gandhianischen Ashram zu Gast, wo die Kinder aus verarmten Landfamilien Schulbildung erhalten und ihre Mütter eine praktische Berufsausbildung. In Delhi besichtigten wir eine der größten Moscheen der Welt, die am Rande der Altstadt liegt, eine „Gurudwara“, die Gebetsstätte der Sikhs mit goldenen Kuppeln, und den modernen Bahai-Tempel, der sich wie eine große Blüte zum Himmel öffnet.

Jetzt sind wir im vorderen Himalaya, in einem kleinen Ort namens Rewalsar. Auf rund 1500 Metern Höhe befindet sich ein See, um den sich wichtige Pilgerstätten von drei verschiedenen Religionen gruppieren: ein buddhistischer, ein hinduistischer und ein Sikh-Tempel. Manche Pilger besuchen gleich alle drei nacheinander, um sich dort den Segen zu holen. Mich erstaunt, dass es hier so ein tolerantes Nebeneinander der Religionen gibt. Von Theo weiß ich allerdings, dass es anderswo auch Mord- und Totschlag zwischen unterschiedlichen Religionsgruppen gegeben hat, was jedoch oft mehr mit dem sozialen Status zusammenhängt. Wer sich einen gewissen Wohlstand verschafft hat, gegen den lassen sich die ärmeren Schichten leicht zu gewalttätigen Aktionen aufhetzen.

Morgen fahren wir weiter nach Norden zu einer kleineren tibetischen Exilsiedlung, wo Theos Patenkind lebt, deren Ausbildung er seit Jahren sponsert. Es ist kalt hier in den Bergen. Unsere Sommersachen haben wir in Delhi gelassen und uns warme Kleidung gekauft: Pullover, Handschuhe und Wollsocken.

Weitere fünf Tage später:

Gleich ist es soweit: Ich stehe in einer langen Reihe von Menschen an einem windigen und regnerischen Freitagvormittag im Februar, an dem Seine Heiligkeit, der XIV. Dalai Lama, uns segnen wird. Wenn er in seinem Exil-Wohnort weilt und nicht gerade auf Reisen ist, gibt er regelmäßig öffentliche Audienzen hier in Dharamsala, dem Sitz der tibetischen Exilregierung. Ganz aufgeregt stehe ich da mit einem Stift in der Hand und meinem kleinen Büchlein. Darin steht seine Botschaft an die Welt, die von Liebe und Mitgefühl getragen ist.

Und dann kommt er, ganz unspektakulär und freundlich lächelnd, in seiner dunkelroten Mönchsrobe und mit nackten Armen, obwohl es hier auf 1800 Metern Höhe so kalt ist, dass der Regen in Schnee übergegangen ist. Die Leibwächter versuchen die Prozedur zu beschleunigen, indem sie die rund zweihundert Besucher zügig durchwinken. Schließlich stehe ich kurz vor ihm, werde aber von den nachdrängenden Tibetern gleich weitergeschoben, ehe ich ihn richtig wahrnehmen kann.

Doch der Dalai Lama hat bemerkt, dass ich etwas in der Hand halte, und winkt mich zurück. Ich zeige ihm das Büchlein und er fragt mich: „Are you German?“ Ich bejahe voller Aufregung und gebe ihm mit zitternden Fingern meinen Stift. Er signiert auf der ersten Seite und ich fühle mich komplett eingehüllt in einen warmen Mantel der Liebe. Ich glaube, von diesem Zeitpunkt ab bin ich den ganzen Tag lang einen Meter hoch über dem Boden dahingeschwebt. „Der Dalai Lama hat mich kleines, unbedeutendes Menschenkind bemerkt und gesegnet. Jetzt kann mir nichts Schlimmes mehr in diesem Leben passieren!“ So etwa waren meine Gedanken. Alles ist gut!

T*

Familienglück im Klimawandel

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