Читать книгу Familienglück im Klimawandel - Stella Borny - Страница 21
Lokohade und Ribabellen
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Du bist entzückt von kleinen Dingen,
die große Welt ist noch weit weg.
Statt dich zu ärgern übst du singen,
die Freude ist des Lebens Zweck.
Drei Jahre bin ich nun schon alt, nenne meine Mutter „Ina“ und meinen Vater „Jojo“. „Ina“ ist kein typisches Muttertier, obwohl sie wirklich ihr Bestes gibt. Sie hat auch einen richtigen Beruf. Bis zu ihrer Hochzeit war sie Arzthelferin und hat in einer Praxis gearbeitet. Papa studierte damals noch Jura, Mama hat ihn und sich ernährt. Heute arbeitet sie nebenbei mit in seiner kleinen Kanzlei, möchte aber im Grunde lieber etwas anderes tun. Da sie sich für alternative Heilverfahren interessiert, meldet sie sich für einen sechswöchigen Lehrgang in der Schweiz an. Dort will sie sich zur „Shiatsu-Therapeutin“ ausbilden lassen. Oma Christa soll sich derweil um meine Versorgung kümmern und Papa ist damit einverstanden. Er kann dann eben in dieser Zeit nicht seinem Hobby nachgehen und zur Jagd gehen wie sonst. Den Telefondienst muss er mit Hilfe von Frau Jakobi organisieren.
Indessen lerne ich immer weiter, Worte zustande zu bringen, mal singend, mal murmelnd, mal kreischend. Wenn das Telefon herumliegt und läutet, telefoniere ich auch gern mal, mit mehr oder weniger großem Erfolg. Damit ich seine Mandanten nicht verschrecke, hat Papa mir sein altes Handy geschenkt. Es hat seinen Geist aufgegeben, doch zum Spielen für mich ist es bestens geeignet.
Bald ist schon wieder Weihnachten. Bei den vielen Verwandten und Mandanten beschert uns das bevorstehende Fest einen ganzen Korb voller Weihnachtsmänner aus Schokolade. Mama bringt es nicht fertig, sie alle wegzuwerfen und lädt uns zu einer „Schoko-Orgie“ in die Küche ein. Ich darf gemeinsam mit Papa alle Weihnachtsmänner auspacken und sie in einen Topf hineinbröseln. Dieser wird dann in ein heißes Wasserbad gestellt, das Mama auf dem Herd vorbereitet hat. Staunend schauen wir zu, wie die Schokolade langsam schmilzt. Mit einem großen Rührlöffel vermischen wir die ganze Pracht. Mmmh, wie das duftet! Mama hat derweil eine viereckige Backform mit Pergamentpapier und einer Schicht Butterkeksen ausgelegt. Da schütten wir die flüssige Schokolade hinein, aber nicht alles auf einmal. Immer wenn die Kekse bedeckt sind, kommt die nächste Lage davon drauf und so weiter, bis die Form voll ist. Gemeinsam mit Papa darf ich den Rührlöffel ablecken. Dabei verteilen wir uns gegenseitig reichlich Schokolade im Gesicht, die uns Mama genüsslich wegküsst. Das kitzelt ein bisschen, aber so ist das nun mal bei einem richtigen Schokoladenfest. „Die Lokohade schmeckt so gut“, schwärme ich und Mama lacht. Anschließend stellen wir die Backform in den Kühlschrank und warten, bis der Inhalt fest geworden ist, so dass man ihn in Scheiben schneiden kann.
Im nächsten Jahr arbeitet Mama stundenweise als Shiatsu-Therapeutin und kann es deshalb besser ertragen, dass Papa so oft unterwegs ist und immer weniger Zeit für uns hat. Er ist ein viel beschäftigter Mann geworden, der dazu beitragen möchte, seinen Kindern eine intakte Welt zu hinterlassen. Dazu engagiert er sich in mehreren Verbänden für Umwelt- und Naturschutz, was ich echt lobenswert finde. Er hat sich kürzlich ein silbernes Motorrad gekauft und ist bei gutem Wetter damit unterwegs. Wenn ich groß bin, werde ich auch einmal ein Motorrad fahren.
Den Sommer verbringen wir diesmal zu Hause, machen kleinere Ausflüge in die nähere Umgebung oder gehen ins Schwimmbad. An einem Sonntag im August gehen wir alle drei zusammen ins Puppentheater. Dort sagt eine Prinzessin am Ende:
Jedes Wesen ist begleitet
von einem Stern am Himmelszelt,
der es schützt.
Es gibt eine Verbindung
jeder individuellen Seele
zur Gesamtheit des Universums.
In unserem Garten gibt es einen Apfelbaum, der genauso heißt wie ich. Meine Eltern haben ihn gepflanzt, als ich noch sehr klein war. Dabei soll es ein feierliches Ritual gegeben haben. Mama erzählt mir, dass der Mutterkuchen dort vergraben worden ist. Das ist mein gemütliches Bett in ihrem Bauch aus der Zeit ihrer Schwangerschaft, das die Erwachsenen „Plazenta“ nennen. Sie hat es sich von den Schwestern der Geburtsklinik einfrieren lassen, um es später für den Baum zu verwenden. Ob er wohl deshalb so schnell gewachsen ist? Schließlich ist er genauso alt wie ich und trägt schon Früchte. Angeblich hat ja der längst verstorbene Reformator Martin Luther gesagt:
Auch wenn ich wüsste,
dass morgen die Welt zugrunde geht,
würde ich heute noch
ein Apfelbäumchen pflanzen.
Das haben sie dann in die Tat umgesetzt, meine Mama und mein Papa, und nun wurzelt das Bäumchen in einem Stück von mir und Mama. Ich werde jeden Tag zu ihm gehen und ihm klarmachen, dass es sich nicht zu sorgen braucht. Die Welt geht noch lange nicht unter. Unsere Engel geben nämlich gut Acht auf uns. Ob Bäume auch himmlische Begleiter haben? Ich muss den Max mal fragen. Hat der nicht kürzlich etwas von Feen und Elfen erzählt, die in den Bäumen wohnen?
Mama pflückt die reifen „Simonsäpfel“ und legt sie vorsichtig in den Korb. Einen besonders süß duftenden essen wir gleich im Garten und zum Schluss umarmen wir beide den „Simonbaum“ und danken ihm. Auch die anderen Obstbäume im Garten tragen dieses Jahr reichlich Früchte, was Mama zu Topform auflaufen lässt im Hinblick auf deren Verarbeitung. Ihre Fantasie kennt keine Grenzen und ich staune, was sie so alles daraus zaubert. Mein Spitzenreiter ist ihr „Ribabellenkuchen“, selbst wenn sie dabei Vollkornmehl verwendet, das ich sonst nicht besonders mag.
Draußen im Wald wird es bunt, denn die Blätter färben sich allmählich. Im Winter werden wir eine größere Reise machen, aber vorher habe ich noch Geburtstag und werde schon vier Jahre alt. Von Mamas Eltern bekomme ich einen königsblauen Traktor mit Tretpedalen geschenkt. Das ist echt mal was Nützliches und ich freue mich riesig darüber. Meine Cousine Lea darf auch mal drauf sitzen und sich von mir durchs Wohnzimmer schieben lassen, denn schließlich lässt sie mich auch mit ihren Puppen spielen. Ist doch Ehrensache!
S*