Читать книгу Warum zum Teufel Ritalin? - Stephan Rey - Страница 26
Schwarzkatholisch
ОглавлениеIm Freiamt der 1970er-Jahre wurde Religion mit Drohungen gleichgesetzt, die wie die Jahrhunderte zuvor von einem strafenden Gott kamen. Das kümmerte mich aber kaum. Ich erinnere mich noch gut, dass ich an Ostern immer die gleichen Filme über Jesus und sein Leben vorgesetzt bekam, die mich ängstigten, aber auch seltsam faszinierten. Das Resultat war, dass mich nach dem Ansehen der Filme immer große Ängste plagten. Darum musste ich im Zimmer meiner Schwester schlafen und wurde zusätzlich mit einem Filmverbot für die Zeit während der Ostertage belegt. Klar: Das Spiel sollte sich zu jedem Osterfest genau gleich wiederholen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
Was ich mit dieser Geschichte andeuten möchte: In meinem Elternhaus gab es Regeln und moralische Werte, die uns vermittelt wurden, und unser Verhalten hatte dem Konsens der Gemeinde zu entsprechen. Doch es gab praktisch immer einen Spielraum, der kleine Abweichungen erlaubte. So ließ ich liebend gerne die Schülermesse am Dienstagmorgen sausen, auch wenn es danach alle im Dorf erfuhren. Ausschlafen war eindeutig besser angesagt als morgens um sieben aufzustehen und in die Kirche zu trotten.
Ich erinnere mich nicht an große Standpauken oder an körperliche Züchtigungen im Elternhaus. Die Erwartungshaltung meiner Eltern war auch nicht übertrieben. Dafür bin ich meiner Mutter und meinem Vater noch heute dankbar. Im Großen und Ganzen waren beide tolerant und großzügig. Der Kampf ums tägliche Brot ließ es ihnen oft an Zeit und Energie mangeln, um all unsere Schritte ständig zu überwachen. Die Rollenverteilung war klassisch und jener Zeit geschuldet. Meine Mutter wirkte als Hausfrau, mein Vater brachte das Geld nach Hause. Wir waren stets ordentlich gekleidet und gut genährt. Da sich die Eltern nicht jede Minute um uns kümmern konnten, kamen wir schon früh in den Genuss einiger Freiheiten. Auch solche, von denen manche Kinder im Jahr 2020 nur träumen können. So fiel es auch nicht immer auf, dass ich ein besonders lebhaftes und quirliges Kind war.