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Es kommt auf den Blickwinkel an

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Was das soziale Miteinander so schwierig macht: Jeder Mensch nimmt die Welt auf seine ganz eigene Weise wahr.

Ob es uns gefällt oder nicht: Jeder Mensch sieht die Welt mit anderen Augen und das macht ein sozial kompetentes Handeln für manchen so schwierig. Da sich die Perspektiven unterscheiden, kommt es zu völlig verschiedenen Wahrnehmungen ein und derselben Sache oder Situation. Dass sich Standpunkte und Betrachtungsweisen zum Teil erheblich unterscheiden, erschwert den Aufbau und Erhalt von Beziehungen ungemein. Wenn sich der eine über einen heißen Sommertag freut, während dem anderen eine Abkühlung lieber wäre, dürften zwar kaum Konflikte entstehen. Doch schon bei der Urlaubsplanung wird es schwieriger, wenn einer die Berge liebt, der andere jedoch das Meer. Spätestens bei politischen oder religiösen Themen und wenn es um Fragen der Weltanschauung und um Wertvorstellungen geht, wird es endgültig heikel. Wenn hier völlig abweichende Meinungen aufeinanderprallen, kann es schnell krachen – vor allem dann, wenn Vorurteile im Spiel sind und ein völliges Unverständnis für die Ansichten des anderen herrscht.

Verschärft wird das Ganze noch durch eine spezielle Eigenart aller Menschen: Wir neigen dazu, die eigenen Interessen als dringlicher und wichtiger zu betrachten als die Interessen von anderen. Unsere Wahrnehmung ist auf Dinge fixiert, die uns selbst betreffen, wodurch uns die Belange anderer Personen als weniger bedeutsam erscheinen. Passend dazu werden im Allgemeinen die eigenen Fehler als weniger schwerwiegend eingestuft als die der anderen. Wer viel im Berufsverkehr Auto fährt, weiß, was gemeint ist: Die anderen können allesamt nicht Auto fahren und machen ständig etwas falsch – dass wir selbst gerade mehrfach den Blinker nicht gesetzt und dem anderen die Vorfahrt genommen haben, merken wir gar nicht oder denken uns: »Warum fährt der auch so langsam!«

Wenn es jedoch darum geht, die Vorzüge und Talente anderer Menschen – ihre Vorgehensweisen, Methoden und Kenntnisse – zu würdigen, ist es oft genug genau andersherum; sie werden gerne übersehen. Ein wichtiger Faktor der sozialen Kompetenz ist jedoch unsere Fähigkeit, den eigenen Blickwinkel bewusst zu erleben und sich gleichzeitig in die Perspektive eines anderen hineinzuversetzen. Das ist die Voraussetzung dafür, sich bewusst in sein Gegenüber einfühlen zu können. Und dafür braucht es Empathie, eine Fähigkeit, über die jeder Mensch verfügt, die allerdings viel zu selten bewusst und gezielt zum Einsatz kommt.

Empathie, also der Wille und die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, ist ein entscheidender Faktor für den Aufbau von Beziehungen.

Empathie gilt als ein unverzichtbarer Baustein des menschlichen Zusammenlebens. Erst durch einen Perspektivenwechsel können wir die Tragweite des eigenen Handelns abschätzen, Handlungen und Interessen anderer Menschen verstehen und nachvollziehen und somit Konsequenzen einschätzen. Empathie ist die Grundvoraussetzung dafür, vorausschauend zu agieren. Der Begriff umfasst die Fähigkeit und gleichzeitige Bereitschaft, sich in die Gedankenwelt und das Empfinden anderer Menschen einzufühlen. Obwohl Empathie eine ganz natürliche Gabe ist, setzen viele Menschen sie nicht ein. Dies liegt wohl weniger an den unterschiedlichen Ausprägungen der Empathiefähigkeit. Es liegt vielmehr daran, dass sich manche Menschen einfach nicht in andere hineinversetzen wollen. Und das kann zur Gewohnheit werden. Zu oft ist der Mensch auf seine subjektive Betrachtungsweise der Dinge fixiert und bleibt so in seiner eigenen Gedankenwelt verhaftet. Nahezu jedes Handeln und auch jedes Gespräch verliert jedoch an Wert, wenn wir immer nur von unserer eigenen Perspektive ausgehen. Sobald wir mit anderen Menschen Kontakt aufnehmen, brauchen wir ein gewisses Einfühlungsvermögen, wenn wir mit- statt gegeneinander agieren und stabile Beziehungen aufbauen wollen.

Selbst bei flüchtigen Kontakten hilft Empathie uns, die Handlungen anderer Menschen, ihre Interessen und Absichten zu verstehen. Ein Beispiel dafür ist ein guter Verkäufer: Für ihn ist die Empathie ein wichtiges Instrument, das er in seinen Verkaufsgesprächen erfolgreich einsetzt. Ohne Einfühlungsvermögen würde er seine Kunden und ihre Bedürfnisse nicht verstehen und folglich an ihnen vorbeireden. Seine Verkaufsargumente wären wertlos, da er nicht in der Lage wäre, sie gezielt auf die Welt und die spezifische Situation der Kunden abzustimmen. Einfühlungsvermögen hat also auch ganz praktische Vorzüge und spielt in alltäglichen und vielen beruflichen Situationen eine große Rolle.

Das gilt zum Beispiel für alle Gespräche: Zweifellos macht es im Gespräch mit einem Freund einen Unterschied, ob der andere gerade eine satte Gehaltserhöhung oder seine Kündigung bekommen hat. Darauf muss man sich einstellen – alles andere wäre auch taktlos, gefühllos und rücksichtslos und könnte die Freundschaft leicht gefährden. Ein angemessenes Verhalten hängt also erheblich von der Gefühlslage des Gegenübers ab. Wenn wir seine Gefühle nicht kennen oder falsch interpretieren, ist eine reibungslose Verständigung kaum möglich: Ein Mensch, der unter Stress steht, reagiert völlig anders als jemand, der ruhig und ausgeglichen ist. Wer gerade absolut nicht zu Späßen aufgelegt ist, reagiert empfindlicher als ein anderer mit guter Laune, und wer niedergeschlagen ist, ist dünnhäutiger als jemand, der rundum zufrieden ist.

Menschen mit ausgeprägtem Einfühlungsvermögen sind die besseren Gesprächspartner.

Wer im Gespräch seine Antennen nicht weit ausfährt, dem fehlt das nötige Fingerspitzengefühl und er kann leicht ins Fettnäpfchen treten, ungewollt einen Konflikt heraufbeschwören und dem anderen unbeabsichtigt auf die Füße treten. Je nach Gesprächsthema kann die Stimmung mehrfach, mitunter innerhalb von Sekunden, umschlagen. Der Einfühlsame, der weiß oder wenigstens ahnt, was gerade im anderen vorgeht und womit er ihm zu nahe treten könnte, wird in wohl allen Fällen der bessere Gesprächspartner sein. Nur mit ihm ist auch in heiklen Situationen eine reibungslose Verständigung möglich. Ein empathischer Mensch ist im Gegensatz zum weniger feinfühligen in der Lage, sich in die Situation und Gefühlswelt seines Gesprächspartners einzufühlen. Er kann daher seine Argumente gezielter auf den anderen abstimmen, wird ihn besser verstehen und, wenn nötig, leichter überzeugen.

Eines der elementaren Ziele aller Gespräche ist das gegenseitige Verstehen. Wo es an Verständnis mangelt, ist ein lösungsorientiertes Vorgehen nicht möglich. Es wird nicht einmal zu einem befriedigenden Gespräch kommen, wenn sich zwei Gesprächspartner buchstäblich nicht verstehen. Mittels praktizierter Empathie lässt sich jede Verständigung effektiver und reibungsloser gestalten, weil wir viel schneller auf das Wesentliche einer Sache kommen können, ohne uns in Missverständnissen, Fehlinterpretationen und Nebensächlichkeiten zu verlieren. Wer sich in sein Gegenüber hineinversetzt, wird seine Gedanken besser nachvollziehen und die Person selbst (und nicht nur seine Worte) verstehen können.

Ein gutes Einfühlungsvermögen hilft zudem dabei, mit einer grundsätzlichen Schwierigkeit in der Kommunikation umzugehen: Emotionen werden ja selten in Worte gefasst und in den meisten Fällen nonverbal zum Ausdruck gebracht. Wer in der Lage ist, diese Signale zu »lesen«, hat einen großen Vorteil. Der empathische Mensch ist viel eher dazu fähig, auch körpersprachliche Signale – die Körperhaltung, die Mimik, die Gestik und die vielen kleinen Nuancen – richtig zu interpretieren. In wichtigen Gesprächen, beispielsweise in Verhandlungen, kann das entscheidend sein. Was es dafür braucht, ist erhöhte Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, sich auf den Gesprächspartner wirklich einzulassen.

Mit Diplomatie zum Ziel

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