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2. Was wir von Diplomaten lernen können

Diplomatie ist fast so alt wie die Menschheit.

Über die Diplomatie wird gerne gesagt, sie sei das zweitälteste Gewerbe der Welt. Sie ist sicherlich fast so alt wie die Menschheit – und dafür gibt es einen guten Grund: Wo auch immer sich Menschen zu Gruppen zusammengeschlossen haben, hat es sich als vorteilhaft erwiesen, Beziehungen zu anderen Gemeinschaften aufzunehmen und zu pflegen. Das war die Geburtsstunde der Diplomatie. Wo keine Möglichkeit besteht, Probleme auf diplomatischem Wege zu lösen, bleibt (bis heute) nur der Griff zu den Waffen. Fehlende oder schlechte diplomatische Beziehungen konnten also lebensgefährlich sein. Zwar hieß das Ganze in der Frühzeit noch nicht Diplomatie, doch das Prinzip hat sich seitdem kaum geändert. Allerdings ist die moderne Diplomatie – also das Führen von Verhandlungen zwischen bevollmächtigten Repräsentanten verschiedener Gruppen oder Nationen – mittlerweile wesentlich professioneller als in den Anfängen und folgt auch klareren Regeln.

Erstaunlich ist, dass es Diplomatie zwar schon immer gab, es jedoch recht lange dauerte, bis sie zur festen Institution von Staaten wurde. Bis die europäischen Monarchen verstanden hatten, dass es klüger ist, mehr in die Vermeidung von Auseinandersetzungen mithilfe diplomatischer Mittel zu investieren, verging viel Zeit. Die moderne Diplomatie geht auf die norditalienischen Stadtstaaten der frühen Renaissance zurück. Die ersten Botschaften wurden im 13. Jahrhundert gegründet. Bis ein erstes Übereinkommen mit klaren Regeln für die gegenseitige Anerkennung von Diplomaten getroffen wurde, sollte es sogar noch bis zum Jahr 1815 dauern. Und die zwischenstaatliche Diplomatie, wie wir sie heute kennen, existiert tatsächlich erst seit dem Wiener Abkommen von 1961.

Der lange Weg in den diplomatischen Dienst

Die Diplomatie wurde also seit Menschengedenken fast immer genutzt, um sich durch gute Beziehungen zu schützen und Vorteile zu sichern. Heute gilt der Diplomat vielen als Traumberuf, auch weil sein »Arbeitsplatz die Welt ist«, wie es gerne heißt. Tatsächlich gelingt es nur wenigen, sich für den Beruf des Diplomaten zu qualifizieren, denn die Anforderungen sind enorm hoch, und das aus gutem Grund. Deutsche Diplomatinnen und Diplomaten sind an 230 Auslandsvertretungen weltweit eingesetzt, alle drei Jahre wechseln sie den Einsatzort und das Sachgebiet. Bis dahin ist es jedoch ein weiter Weg. Bewerber werden bei einem Aufnahmetest des Auswärtigen Amts auf Herz und Nieren geprüft.

Besonders der Wissenstest in den Kategorien Völker-, Europa- und Staatsrecht, Wirtschaftswissenschaften, Geschichte und Politik sowie Allgemeinwissen ist eine harte Nuss. Doch auch damit haben es die angehenden Diplomaten noch lange nicht geschafft. Wenn sie die Wissensfragen erfolgreich hinter sich gebracht haben, prüft die Behörde die Fremdsprachenkenntnisse. Schulenglisch und -französisch reichen bei Weitem nicht aus, um auch diese Runde zu überstehen. Beim anschließenden Aufsatz zu einem vorgegebenen Thema müssen die Bewerber wieder viel eigenes Wissen einfließen lassen. Danach durchleuchtet ein psychologischer Eignungstest die geistige Verfassung der potenziellen Diplomaten. Allein der schriftliche Teil dauert drei Stunden, der Haupttest einen ganzen Tag.

Wer den Aufnahmetest besteht, den erwartet ein Jahr Vollzeitunterricht in der Diplomatenschule. Hier stehen Geschichte, Politik, Völkerkunde und Volkswirtschaft auf dem Stundenplan. Doch auch wer dieses Jahr erfolgreich überstanden hat, ist noch längst kein Diplomat. Denn jetzt absolvieren die Teilnehmer ein Jahr lang ein Praktikum im Auswärtigen Amt, um sich auf ihre Arbeit im Amt vorzubereiten. Dann folgt eine Laufbahnprüfung, die es in sich hat – und erst mit bestandener Prüfung ist die Übernahme in den diplomatischen Dienst besiegelt.

Der Beruf des Diplomaten ist sowohl in fachlicher als auch in persönlicher Hinsicht eine große Herausforderung.

Doch noch sind die Absolventen keine Botschafter. Sie erhalten nun einen ersten Posten, zum Beispiel als Pressereferent in Nairobi, als Referentin für Rechts- und Konsularwesen in Wilna oder vielleicht auch als Vertreter des Botschafters in einem sehr kleinen Land. Bis der Neuling im diplomatischen Dienst selbst Chef einer Botschaft wird – und das zunächst in einer kleinen Auslandsvertretung –, vergehen meist rund 15 Jahre. Vom ersten Tag an ist der diplomatische Dienst geprägt vom Wechsel zwischen In- und Ausland, wobei auch das jeweilige Arbeitsgebiet sich ändern kann. Alle Bediensteten des Auswärtigen Amtes können an jedem Platz der Welt eingesetzt und mit jeder Aufgabe ihrer Laufbahn betraut werden. Eine Beschränkung auf einen bestimmten Arbeitsbereich oder eine bestimmte Region ist nicht möglich.

Interessenten für die Diplomatenlaufbahn müssen daher mehr mitbringen als ein überdurchschnittliches Allgemeinwissen und eine ausgezeichnete Auffassungsgabe. Ein Hochschulstudium (mindestens mit einem Master oder einem vergleichbaren Abschluss) ist ein Muss. Gefragt sind stabile Persönlichkeiten mit strategischem Weitblick, einem ausgeprägten Sinn für Zusammenhänge und großer intellektueller Flexibilität, die sich schnell in neue Sachverhalte einarbeiten und diese nicht nur verstehen, sondern auch Gestaltungsspielräume erkennen und konkrete Handlungsvorschläge machen können. Nicht minder wichtig sind eine hohe soziale und interkulturelle Kompetenz, ein ausgeprägtes Kommunikationsverhalten, ein insgesamt souveränes Auftreten sowie eine sowohl körperlich als auch psychisch überaus robuste Konstitution. Von Diplomaten wird erwartet, dass sie fremde Kulturen, Systeme und Menschen verstehen, die eigenen Interessen freundlich, jedoch nachdrücklich vertreten und Gemeinsamkeiten als Grundlage für konstruktive Problemlösungen finden.

Die Anforderungen an Diplomaten sind also außergewöhnlich hoch. Und längst nicht jeder hat das Zeug zum Botschafter. Von den 1200 bis 1600 Bewerbern, die sich jedes Jahr dem Auswahlverfahren beim Auswärtigen Amt stellen, bleiben am Ende nur 35 bis 45 übrig, die tatsächlich die Ausbildung beginnen. Aber das sollte uns als »Normalbürger« nicht allzu sehr beeindrucken oder gar abschrecken. Auch wenn wir selbst den Test vielleicht nicht bestehen würden, können wir das Wissen der Diplomaten wunderbar für uns selbst nutzen. Dabei stehen vor allem die Grundsätze der diplomatischen Kommunikation und das persönliche Verhalten in Gesprächen im Vordergrund. Diplomatisches Geschick ist heute aus gutem Grund so gefragt wie nie.

Was auf Staaten zutrifft, gilt auch für private und berufliche Beziehungen

Diplomatisches Geschick ist auch außerhalb der staatstragenden Beziehungspflege gefragt.

Diplomatie meint ursprünglich die Pflege der Beziehungen zwischen Staaten durch Verhandlungen und die dabei angewandten Methoden. Wer diplomatisch vorgeht, möchte auf diese Weise die eigenen Ziele erreichen, ohne dabei die Beziehung zum Gesprächspartner zu belasten. Angespannte Beziehungen stellen immer eine Belastung für künftige Gespräche und Verhandlungen dar und behindern eine effektive Kommunikation. Was für die Diplomatie zwischen Staaten zutrifft, gilt in gleicher Weise für die Kommunikation im Beruf und in ganz alltäglichen privaten Situationen. Die Kunst der Diplomatie beherrschen allerdings nur wenige Menschen richtig, was in der Praxis oft zu Kommunikationsstörungen führt – die wiederum Konflikte, Missverständnisse, Demotivation und Vertrauensverlust nach sich ziehen können.

Die Kunst der Diplomatie hilft im beruflichen wie im privaten Alltag, Gespräche erfolgreich zu führen und Beziehungen zu stärken.

Mit Taktgefühl heikle Gesprächssituationen zu meistern und Gespräche so zu führen, dass sie auf keinen Fall eskalieren – das ist längst nicht jedem Menschen gegeben. Von der Kunst der Diplomatie kann deshalb fast jeder profitieren. Statt mit der Brechstange vorzugehen, ist es weitaus effektiver und auch weitsichtiger, eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden, also ein Ergebnis zu erzielen, das den eigenen Zielsetzungen gerecht wird und gleichzeitig die Interessen der Gesprächspartner berücksichtigt. Das wesentliche Ziel der Diplomatie besteht darin, gute, stabile und belastbare Beziehungen herzustellen, sie zu erhalten und sie möglichst weiter auszubauen. Das ist jedoch einfacher gesagt als getan. Damit es gelingt, ist permanente Aufmerksamkeit gefordert. Und hierbei geht es nicht nur um die Befindlichkeiten des anderen, sondern primär um die eigenen Emotionen. Wer die eigenen Gefühle und ihre Ursachen nicht kennt und entsprechend gut einschätzen kann, fährt leichter aus der Haut und vergreift sich im Ton. Und damit werden unter Umständen langwierige Bemühungen mit einem Schlag wieder zunichtegemacht. Es kann also nicht schaden, sich mit diplomatischer Kommunikation zu beschäftigen und die wesentlichen Prinzipien anzuwenden.

Diese Prinzipien klingen zunächst recht einfach. Unverzichtbar für eine diplomatische Gesprächsführung ist es:

jeden Gesprächspartner grundsätzlich ernst zu nehmen und ihm aufmerksam zuzuhören;

den Gesprächspartner in jeder Situation sein Gesicht wahren zu lassen und ihn nicht unnötig in die Enge zu treiben;

einen Gesprächspartner niemals vor anderen bloßzustellen;

in allen Gesprächen und Verhandlungen nach Vorteilen für beide Seiten zu suchen, um so eine Win-win-Situation zu schaffen;

die Absichten und Wünsche aller Beteiligten möglichst gut zu kennen und zutreffend einschätzen zu können;

einen langfristigen Nutzen im Blick zu behalten, statt durch kurzfristige (Einmal-)Erfolge dauerhafte Nachteile in Kauf zu nehmen;

das gegenseitige Vertrauen auszubauen und sich als glaubwürdiger Gesprächspartner zu erweisen;

wenn es darauf ankommt, schweigen zu können.

Wie sehr dieser letzte Punkt von Diplomaten beachtet wird, zeigt sich übrigens darin, dass viele gelungene Schachzüge der Diplomatie niemals bekannt geworden sind – eben weil sie von den Protagonisten nicht an die große Glocke gehängt wurden. Der Hintergrund all dieser diplomatischen Prinzipien: Man möchte die Beziehungen zum Gesprächspartner möglichst dauerhaft erhalten und sie stärken. Denn wenn eine Beziehung tatsächlich einmal abgebrochen wird, bleiben uns nicht mehr allzu viele Möglichkeiten, sie zu retten.

Mit Diplomatie zum Ziel

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