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Wie du mir, so ich dir …

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Einem Menschen unvoreingenommen und vorurteilsfrei gegenüberzutreten ist keine ganz leichte Aufgabe und wird in einer angespannten Situation noch schwieriger sein. Es ist ohnehin kaum möglich, einen völlig objektiven, neutralen Standpunkt einzunehmen: Gewohnheiten, Verhaltensmuster, mangelnde Toleranz, Vorurteile und vorgefasste Meinungen, von denen sich niemand völlig freisprechen kann, hindern uns daran. Hinzu kommt ein fest in uns verankerter Verhaltenskodex, der sich indirekt aus der verbreiteten Redensart Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem andern zu ableitet. Weltweit ist dieser Grundsatz als Golden Rule verbreitet. Diese auf Toleranz und Nächstenliebe abzielende goldene Regel findet sich in ähnlichen Formulierungen sowohl bei Kant als auch in der Bibel und etlichen anderen Quellen. Sie ist zu einer Grundlage des menschlichen Miteinanders geworden, hat allerdings auch eine Schattenseite: Einen Schritt weiter gedacht ergibt sich daraus: Wie du mir, so ich dir. Und tatsächlich handeln wir im Rahmen unserer beruflichen und privaten Beziehungen durchaus häufig auf dieser Grundlage.

Das heißt natürlich nicht, dass Meinungsverschiedenheiten schnell in rohe Gewalt umschlagen müssen. Vielmehr hat sich der Gedanke der Gegenseitigkeit in uns verankert. »Wenn ich dir einen Gefallen erweise, erwarte ich, dass du mir auch einen Gefallen erweist.« Oder eben: »Wenn du mir in den Rücken fällst, werde ich dir auch in den Rücken fallen.« Die ursprüngliche goldene Regel wird also (leider) weniger direkt angewendet, die negativere Variante nach dem alttestamentarischen Prinzip »Auge um Auge« umso mehr. Und die Sache hat auch noch einen entscheidenden Haken: Ob sich ein anderer Mensch uns gegenüber gut oder schlecht verhält, ist zu großen Teilen Interpretationssache. Legen wir das Handeln eines Menschen negativ aus, folgt daraus ein feindseliges Verhalten unsererseits. Unser Verhalten wird von unserem Gegenüber wiederum interpretiert und entsprechend beantwortet – auf diese Weise entsteht leicht eine Negativspirale, die sich immer schneller weiterdreht. Das ist dann besonders bedauerlich, wenn es sich bei den Interpretationen um Fehlschlüsse handelt.

Beziehungen brauchen gegenseitige Toleranz.

Neben mangelnder Empathie ist vor allem fehlende Toleranz eine wesentliche Ursache für Fehlurteile. Das aus dem Lateinischen stammende Wort tolerare heißt in der genauen Übersetzung erdulden. Toleranz ist demnach das Dulden, Hinnehmen und Respektieren anderer Meinungen und der unterschiedlichsten Formen der Andersartigkeit. Wird von Toleranz gesprochen, geht es meist um ethische Fragen von einiger Tragweite. Oft vergessen wir, dass Toleranz bereits im Kleinen beginnt und das Zusammenleben von Menschen überhaupt erst möglich macht: Wer eine eigene Meinung hat, muss auch eine abweichende Meinung erdulden, sie also tolerieren können. Oft ist es ja ein Mensch aus unserem näheren Umfeld, der diese andere Meinung vertritt. Ohne das Tolerieren der Meinungen anderer wären die meisten Beziehungen überaus kurzlebig. Toleranz ist also zwingend erforderlich, weil die Menschen, mit denen wir in Beziehung treten, (glücklicherweise) nicht all unsere Überzeugungen mit uns teilen, sondern die Dinge mitunter ganz anders sehen.

Die Toleranzfähigkeit eines Menschen sagt viel über sein Selbstbewusstsein aus. Ist sie gut ausgeprägt, spricht das für ein gesundes Selbstwertgefühl und ganz generell für eine souveräne Persönlichkeit. Intolerante Menschen haben dagegen genau an diesen Punkten Defizite. Allerdings ist es auch nicht einfach, die Interessen und Positionen anderer in allen Fällen zu akzeptieren, sie zu erdulden. Doch darum geht es letztlich auch nicht. Das Ziel besteht lediglich darin, sich nicht schon prinzipiell zu verschließen. Toleranz bedeutet deshalb auch ausdrücklich nicht, jede beliebige Position zu übernehmen. Wenn wir eine Handlung oder Meinung akzeptieren, heißt das noch lange nicht, dass wir sie auch billigen (wir selbst können weiterhin eine abweichende Meinung haben und dafür eintreten) – das jedoch nicht aus Prinzip, sondern aufgrund einer tatsächlichen inneren Überzeugung.

Mit Diplomatie zum Ziel

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