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2. Was ist eine Exegese?
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Das Wort „Exegese“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet Auslegung. Die Exegese hat eine lange Tradition, vor allem in der Theologie, wo man noch heute allsonntäglich Bibelstellen auszulegen pflegt. Oft wird auch das Wort „Interpretation“ benutzt. Es geht jedenfalls um das Verstehen von Texten, wofür die Auslegung Voraussetzung ist. Die Lehre vom Verstehen wird Hermeneutik genannt (Rn. 2).
Schon die Glossatoren des römischen Rechts – die am Beginn der europäischen Rechtswissenschaft stehen (Rn. 376, 379 ff) – fertigten in ihren Glossen meist nichts anderes als Exegesen. Doch sind diese keine Angelegenheit von gestern. Bevor ein Jurist einen Text (etwa den eines Gesetzes) anwenden kann, muss er ihn verstehen. Bevor die Wichtigkeit einer Gerichtsentscheidung, eines Aufsatzes oder einer Lehrbuchpassage beurteilt werden kann, ist der Sinn zu ermitteln.
Die Exegese historischer Texte ist eine Kunst (mithin erlernbar). Ihre Beherrschung hat schulenden Charakter für die Anwendung des geltenden Rechts, denn das Verstehen des Sinnes von Texten ist stets die Voraussetzung von Entscheidungen. Nur wer Recht richtig verstehen kann, kann es auch richtig anwenden. Ein Tipp für das geltende Recht: Man versuche einmal, allein oder in Gruppen Leitsätze heutiger Gerichtsentscheidungen exegetisch zu bearbeiten.
Die Lösung der durch einen Text aufgegebenen Probleme ist oft schon vorgegeben. Es kann aber auch verschiedene Auslegungsergebnisse geben. Die Auslegung ist daher keine schlichte Anwendung einer einheitlichen Technik, die zu einem objektiven, zwingend „richtigen“ Ergebnis führen würde. Sie ist vielmehr abhängig vom Ziel desjenigen, der etwas verstehen will und auch von seinem Vorverständnis, seinen persönlichen Kenntnissen und Positionen. Die Ergebnisse der Auslegung enthalten oft schon (verdeckte) Wertungen, sind also normativ. Josef Esser hat dies grundlegend für die juristische Arbeit herausgearbeitet.[11]
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Die folgenden Hinweise zur Exegese wollen nur Anhaltspunkte geben. Sie sind nicht zwingend und vor allem davon abhängig, welcher Art die auszulegende Quelle angehört und welchen Inhalt sie hat. Grundsätzlich gelten für die Anfertigung einer Klausur und einer Hausarbeit dieselben Prinzipien. Der Unterschied liegt natürlich in der bei Hausarbeiten möglichen Benutzung von Literatur (Lexika, Handbücher, Aufsatzliteratur usw.), während die Klausurarbeit entweder ganz ohne Hilfsmittel oder mit einer sehr beschränkten Anzahl derselben auskommen muss. Es werden deshalb im Folgenden zunächst Hinweise zur Anfertigung einer Aufsichtsarbeit gegeben, um danach auf die Besonderheiten der Literaturverwendung einzugehen.