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I. Soziale Strukturen und Aufbau des römischen Staates

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Wenn wir heute von Rom sprechen, stellen wir uns meist die antike Großmacht oder (wenigstens) die Hauptstadt Italiens vor. Aber auch Rom war am Anfang ein Dorf und über diese Zeit weiß man nicht viel. Unsere wichtigsten Quellen sind die erst sehr viel später entstandenen Schriften des Griechen Polybios (der ca. 200 bis 120 v. Chr. lebte und 167 als Geisel nach Rom kam) und die des bekannten römischen Historikers Livius (ca. 59 v. Chr. bis 17 n. Chr.). Immerhin stützten beide sich auf die Werke älterer Annalisten (von libri annales = Jahrbücher). Allerdings sollte man (bei jeder historischen Überlieferung) nicht zu leichtgläubig sein. Es gibt manchmal handfeste Interessen an (berichtigter) Geschichtsschreibung.

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Zunächst einige Daten für den Überblick:

Zeit allgemeines historisches Geschehen rechtshistorisch bedeutsam
1000-800 v. Chr. Wanderungen u. a. der Etrusker, Latiner; Agrarsiedlungen pontifices
753 legendäre Gründung Roms
7./6. Jh. Zeit der etruskischen Könige
nach 510 Vertreibung der Könige, Republik
um 450 XII-Tafel-Gesetz

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Nach der Legende wurde Rom im Jahre 753 v. Chr. von den Zwillingsbrüdern Romulus und Remus gegründet. Die Sage (Vergil, Äneis) sieht die Vorfahren der Gründer Roms in den von den Griechen besiegten und nach Italien ausgewanderten Trojanern.[1] Die Archäologen haben aber herausgefunden, dass schon vorher indogermanische Sabiner und Latiner (daher die Sprache Latein) in der Gegend des späteren Rom gesiedelt hatten. Um 600 v. Chr. wurden diese Siedlungen in einer festeren Organisation (Stadtstaaten) unter etruskischer Vorherrschaft vereinigt. Seit der Antike gibt es verschiedene Theorien über die Etrusker: entweder waren sie ureingesessen (autochthon) oder aus Kleinasien nach Mittelitalien eingewandert. Das römische Gemeinwesen kann jedenfalls einen starken etruskischen Einfluss nicht verleugnen.

Die (etruskische) Königszeit Roms war eine Periode verhältnismäßig hoher wirtschaftlicher und kultureller Entwicklung, deren Niveau nach der Vertreibung der Könige aus der Stadt zunächst nicht aufrechterhalten werden konnte. Nach der Legende wurde der letzte König Tarquinius Superbus um 510 v. Chr. vertrieben, wahrscheinlicher aber endete die etruskische Herrschaft erst einige Jahrzehnte später durch eine Adelsrevolte. Überliefert ist die Legende von Lucretia, an der sich ein Sohn des Tarquinius Superbus vergangen und die sich deswegen das Leben genommen haben soll. Dies soll die Revolte gegen den König ausgelöst haben.

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Das römische Volk gliederte sich in zwei soziale Hauptgruppen: adlige Patrizier (von patres = Väter = alteingesessene Oberschicht) und gemeinfreie Plebejer (die plebs = Menge, Volk). Die Patrizier waren in Sippen (gentes) organisiert (Rn. 63). Die „Gründung“ Roms wird vor allem darin bestanden haben, dass die Oberhäupter der (sabinisch-latinischen) Patrizier-Sippen die Herrschaft eines (etruskischen) Königs wenigstens auf Teilgebieten des sozialen Lebens anerkannten.[2] Nach der Überlieferung soll es ursprünglich drei Stämme (tribus) gegeben haben: Ramnes, Tities, Luceres, gegliedert in je 10 Kurien (curiae) zu je 10 Sippen, insgesamt also 300 adlige Geschlechter. Die moderne Geschichtswissenschaft hält diese Zahl für übertrieben, weil das älteste Rom aufgrund des Siedlungsgebietes nicht mehr als 10 000-15 000 Einwohner gehabt haben kann.

Schon früh muss die Mehrzahl der Bevölkerung aus Plebejern bestanden haben. Diese hatten jedoch angeblich zunächst keine gentes.[3] Ein Teil der plebs mag aus Nichtehelichen sowie „Vogelfreien“ bestanden haben, die aus ihrer gens verstoßen worden waren oder sie freiwillig verlassen hatten. Daneben existierte aber sicherlich auch eine nicht unbeträchtliche Gruppe von „gensfreien“ Kleinbauern, Handwerkern, Zugezogenen. Ein Teil davon stand als Klienten (clientes) in einem Schutz- und Abhängigkeitsverhältnis, das von gegenseitiger Treue (fides) beherrscht wurde, zu den Patriziern (Patrone). Ihren Ursprung hatte die Klientel vermutlich in der Landvergabe an landlose Bauern.[4] Als Rechtsinstitut wurde sie in späterer Zeit zwar nicht fortentwickelt, aber das Klientenwesen spielte im sozialen Leben Roms immer eine wichtige Rolle. Klienten waren unbeschadet ihrer sozialen Abhängigkeit rechtlich gesehen römische Bürger.

Außer den Patriziern und Plebejern gab es nicht zum Volk gehörende Peregrinen (peregrini = Fremde), die zwar frei aber ursprünglich (später s. Rn. 76, 80, 119) in Rom rechtlos und nur durch die traditionelle Gastfreundschaft geschützt waren, sowie Sklaven (Rn. 61).

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Römischer Bürger (civis romanus, ius civile = Recht der Bürger) konnte nur ein freier Mensch sein. Bürger wurde man grundsätzlich als Kind einer römischen Mutter (genauer Rn. 61). Das Bürgerrecht umfasste folgende Rechte und Pflichten:

- das Recht, eine rechtmäßige Ehe zu schließen (connubium),
- rechtswirksam handeln zu können, insbesondere rechtlich geschützten Handel zu treiben (commercium),
- das aktive (suffragium) und passive Wahlrecht (ius honorum),
- die Fronpflicht (munus, von moenia = die Mauern) sowie
- die Pflicht zu Abgaben bzw. Beiträgen (tributum), jedoch noch keine regelmäßige Steuerpflicht.

Man konnte das Bürgerrecht auch verlieren. Dies geschah automatisch, wenn man seine Freiheit verlor, insbesondere durch Kriegsgefangenschaft, Überlaufen zum Feind, Personalexekution (Rn. 60) oder wenn man in einen anderen Gemeindeverband eintrat oder sonst auswanderte. Für besonders schwere Straftaten verlor man das Bürgerrecht mit dem Urteil; es wurde untersagt, dem Bestraften Wasser und Feuer zu gewähren (interdictio aquae et ignis), man stieß ihn also aus der (über)lebensnotwendigen Gemeinschaft aus.

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Die ursprünglich militärisch-kultische Gliederung in tribus und curiae (Rn. 41) wurde zur Vorstufe demokratischer Volksversammlungen. Ihnen gehörten deshalb auch später nur die wehrfähigen Männer an. Im 5. Jahrhundert kam es zu einer Neueinteilung der tribus, und für das Jahr 427 v. Chr. werden als neue Heeres- und Versammlungseinheiten die Zenturien (Hundertschaften von centum = hundert) erwähnt. Neben den weiter bestehenden Kuriat- und Tribuskomitien entwickelten sich die Zenturiatkomitien zu den wichtigsten Volksversammlungen in der Republik (Rn. 89). In diese Organisation wurden auch die Plebejer eingegliedert. Wie ihre (späteren) Gentilnamen (Rn. 63) bezeugen, bildeten sie eigene gentes.

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Die Funktion des Königs (rex) sollte nicht als allumfassende Herrschaftsgewalt missverstanden werden. Es ging darum, im Interesse des inneren Friedens die vormals selbstherrlichen patrizischen Adelsherren soweit wie möglich von Fehden abzuhalten und die Schlagkraft des Gemeinwesens nach außen zu gewährleisten. Der König war daher vor allem Richter (iudex) und Heerführer. Die legendären Königsgesetze (leges regiae) wurden angeblich später von einem Priester (pontifex, Rn. 49 f) namens Papirius gesammelt und veröffentlicht, daher die Bezeichnung als ius Papirianum.[5] Das dürfte jedoch auf pontifikaler Erfindung beruhen.

Als Gehilfen standen den Königen Beamte zur Seite: zwei Männer für die Verfolgung von Hochverrat (duumviri perduellionis) und Verwandtenmord-Aufspürer (quaestores parricidii). Dies zeigt die damals hohe Bedeutung dieser Delikte; die Beamten hatten aber auch religiös-sakrale Aufgaben.

Das Verhältnis der Römer zu ihren Göttern war eher kühl-pragmatisch. Die Götter erhielten nach römischer Vorstellung die ihnen zukommenden Opfer und schützten dafür das Gemeinwesen. Man durfte sie sogar täuschen: Beispielsweise verwendete man einen „Strohmann“ anstelle des früheren Menschenopfers.[6]

Nach dem Sturz der Könige wurde als Ersatz auf sakralem Gebiet jeweils ein (patrizischer) rex sacrorum berufen, der von politischen Ämtern ferngehalten wurde.

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Die Gestaltung der Herrschaftsverhältnisse nach der Vertreibung der Könige ist umstritten. Sicherlich lag der Schwerpunkt der Macht bei der Gesamtheit der adligen Sippenoberhäupter, der Keimzelle des späteren Senats (Rn. 47). Für die einzelnen Amtsgeschäfte waren jedoch ein oder mehrere Oberbeamte (späterere Magistrate, Rn. 78 ff) erforderlich. Nach römischer Überlieferung traten an die Stelle der Könige sofort zwei Konsuln.[7] Die Quellen erwähnen jedoch auch andere Amtsträger für die Frühzeit der Republik, nämlich einen praetor maximus und 3-6 Konsulartribune, sodass heute eine allmähliche Herausbildung der 2-Konsul-Verfassung wahrscheinlicher erscheint.[8]

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Schon die frühe Republik wurde erschüttert vom sog. Ständekampf, der zwischen Patriziern und Plebejern (Rn. 41) lange anhielt. Hintergrund war die Weiterentwicklung der römischen Kriegstechnik. Während ursprünglich vor allem adlige Reiter aktiv waren, ging man zu der aus Griechenland übernommenen Hoplitentaktik (hoplites = schwer bewaffneter Fußsoldat) über, die seit dem Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. für Rom archäologisch nachweisbar ist. Das Fußvolk, zu dem auch Plebejer gehörten, wurde also der Kern der Streitmacht. Dies führte zu veränderten politischen Zuständen aufgrund des beginnenden Kampfes um mehr Gleichberechtigung.

Im Jahr 494 v. Chr. soll die erste secessio plebis, also ein Auszug der Plebejer auf den mons sacer bei Rom stattgefunden haben.[9] Der Patrizier Menenius Agrippa bewog angeblich die Plebejer durch den Vergleich des Volksganzen mit einem körperlichen Organismus zur Rückkehr.

Damals sollen die ersten Volkstribune (tribuni plebis) von der plebs eingesetzt worden sein. Ab 471 v. Chr. sind concilia plebis, also Versammlungen der Plebs überliefert. Das Einberufungsrecht lag bei den Volkstribunen. Die Volkstribune konnten gegen Zwangs- und Strafmaßnahmen (coercitio, Rn. 559) der zunächst ausschließlich adligen Oberbeamten interzedieren, also dazwischentreten, mittels Berufung (provocatio) an die Volksversammlung. Diese Befugnis zur Hilfe (ius auxilii) war anfangs nur durch den gemeinsamen Schwur der plebs sanktioniert, jede Verletzung eines Volkstribuns zu rächen. 449 v. Chr. wurde die Unverletzlichkeit (sacrosanctitas) durch Gesetze anerkannt (leges Valeriae Horatiae).

Weitere Ergebnisse des Ständekampfes waren:

- um 450 v. Chr. Erlass der XII Tafeln (Rn. 51),
- wenig später wurden Ehen zwischen patrizischen und plebejischen Partnern gestattet,
- seit den leges Liciniae Sextiae von 367 v. Chr. (Rn. 77) gab es (je einen) parallel amtierenden patrizischen und plebejischen Konsul,
- um 304 v. Chr. wurde das weitgehend von den patrizischen Priestern geheim gehaltene Recht (ius Flavianum) veröffentlicht (Rn. 50, 111),
- Plebejer erhielten Zugang zu den Ämtern der Quästur und des Konsulats und wurden in den Senat aufgenommen.
- Als Abschluss des altrömischen Ständekampfes wird die lex Hortensia (287 v. Chr., Rn. 93) angesehen: Beschlüsse der concilia plebis, sog. Plebiszite, waren seither für das gesamte Volk, also auch die Patrizier, verbindlich.

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Bei allen Erfolgen der plebejischen Mehrheit lag das machtpolitische Zentrum der römischen Republik aber im Senat. Dieser war ursprünglich eine Versammlung der patrizischen Sippenoberhäupter. Später wurden auch verdiente Plebejer in den Senat aufgenommen (Rn. 46). Die Anrede dort lautete „patres conscripti“, zu übersetzen wohl als „Väter und Eingeschriebene“, also Patrizier und durch Zensur (Rn. 81) Zugelassene. Aus den Patriziern und diesen wenigen Familien privilegierter Plebejer bildete sich der neue Adel der Republik, die nobilitas. Die Oberbeamten, die sogenannten Magistrate (Rn. 78 ff) wurden zwar vom Volk in den Komitien gewählt, sie waren aufgrund ihrer gesellschaftlichen Herkunft und ihren politischen Verbindungen aber Vertreter der Senatsaristokratie. Ursache dafür waren Vorabsprachen und eine Wahlordnung, bei der nicht jede Stimme gleich zählte.

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Dieses System der später sog. Republik (von res publica = die öffentliche, gemeinsame Sache) beruhte maßgeblich auf der ursprünglichen Bauerngemeinde der patres und den kriegstechnisch bedingten Weiterentwicklungen. Es ist kein Zufall, dass die militärische Organisation des Volkes und seine Versammlungen mit der Organisation des Staates zusammen fielen. Während der Zeit der Republik führte Rom viele Kriege und entwickelte sich vom kleinen Stadtstaat zur Großmacht am Mittelmeer.

Mit den drei Säulen Senat (Rn. 46, 87), Magistrate (Rn. 78 ff.) und Volksversammlungen (Rn. 41, 43, 45) funktionierte die Republik ohne geschriebene Verfassung und ist als aristokratisch mit gewissen demokratischen Elementen zu charakterisieren. Das Säulensystem gewährleistete mit jeweils nur kleinen Justierungen über lange Zeit die Machtverhältnisse, die auch in der selbstgewählten Bezeichnung des Staates zum Ausdruck kamen: S.P.Q.R. = Senatus Populusque Romanus (Senat und Volk von Rom).

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