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II. Rechtsbildung und Juristen

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Die Anfänge des römischen Rechts verlieren sich im Dunkel der Vorgeschichte. Berühmt wurde dieses Recht später vor allem wegen der Leistungen seiner klassischen Juristen (Rn. 160 ff) und es hatte enormen Einfluss bis heute (Rn. 379 ff, 480 ff, 656 ff, 734). Es ist aber auch interessant, die Vorfahren dieser Juristen etwas näher zu betrachten.

Wesentliche Voraussetzung für den römischen Stadtstaat war die Trockenlegung des späteren Stadtgebietes und bereits hier begegnet man den pontifices. Priester[10] waren die „Intellektuellen“ der damaligen Zeit, also weitgehend freigestellt von Ackerbau und Viehzucht und stattdessen für andere Dinge zuständig.

Der Name (pontifex) kommt von pons facere (Weg bereiten, anlegen). Pons bedeutete ursprünglich nicht (große) Brücke, sondern Knüppelpfad oder Dammweg. Vermutlich stammen die pontifices schon aus der Zeit der Wanderschaft der Latiner und waren also zunächst Ingenieure und Fachleute für den Verkehr, auch mit den höheren Mächten und Göttern. Sie führten den Kalender, was insbesondere für die religiöse Unbedenklichkeit von Staatsakten, aber auch von anderen Rechtshandlungen wichtig war. Ihr Kollegium übernahm auch die Auslegung der XII Tafeln (Rn. 51).

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Es war eine für rechtlich frühe Gesellschaften typische Nähe von Recht und Religion,[11] die sich bei diesem Amt zeigt. Aber sicherlich ist es auch eine Frage politischer Macht gewesen. Noch Julius Caesar (Rn. 101) war 73-63 v. Chr. oberster Priester des Kollegiums, also pontifex maximus – diese Bezeichnung trägt der Papst bis heute –, ebenso wie alle Kaiser bis Gratian (382 n. Chr., d.h. noch ca. 50 Jahre, nachdem das Christentum bereits Staatsreligion war). Lange konnten nur Patrizier in das Amt kommen. Tiberius Coruncanus wurde 254 v. Chr. der erste plebejische pontifex maximus.

In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist auch die älteste Bedeutung von lex (Regel, Gesetz), nämlich als religiöser Ritus. Der älteste Rechtsgang löste die Selbsthilfe des Einzelnen bzw. seiner Familie gegen erlittenes Unrecht ab. Eingesetzt wurde das älteste Gerichtsverfahren durch eine legis actio (Rn. 56), also ein dem Ritus oder Gesetz (lex) entsprechendes Vorgehen (actio = Handlung, Klage).

Die pontifices bewahrten die im alten ius civile vor Gericht notwendigen Spruchformeln der Legisaktionen als Geheimwissen, mindestens bis zum Ende des 4. Jh. v. Chr. (Rn. 45, 111). Sie stellten ihr Wissen auf Anfrage zur Verfügung. Daraus entwickelte sich die sog. Kautelarjurisprudenz (von cavere = sich vorsehen, cautio = hieb- und stichfestes Rechtsgeschäft), dass also Private für Verträge und Testamente von Juristen beraten werden. Der Gegensatz dazu ist die judizielle Jurisprudenz, deren Gegenstand ein abgeschlossener Fall ist, über den entschieden wird. Die pontifices leisteten auch den Rechtsprechungsmagistraten Unterstützung. Dass eine solche Hilfe notwendig war, erschließt sich, wenn man weiß, dass die für die Zivilrechtspflege verantwortlichen Prätoren (ebenso wie andere Magistrate) in erster Linie Politiker waren, die nur für ein Jahr gewählt wurden (Rn. 78 ff).

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Das älteste Gesetz und zugleich der erste sichere Punkt in der römischen Rechtsgeschichte sind die XII Tafeln, die um das Jahr 450 v. Chr. entstanden.[12] Sie sind vermutlich ein erstes Ergebnis des Ständekampfes zwischen Patriziern und Plebejern (Rn. 46) und dienten der Rechtssicherheit durch Offen- und Festlegung von Rechtssätzen. Man setzte eine (patrizische) 10-Männer-Kommission (decemviri legibus scribundis = Dezemvirn) ein, die nach der Legende als Delegation nach Athen reisten, um sich am dortigen Recht (Gesetze des Solon) zu orientieren. Zu dieser Zeit war die Kultur Athens allgemein wesentlich weiter entwickelt, als die Roms. Dennoch ist der genaue griechische Einfluss auf das römische Recht bis heute unklar und wird es wohl bleiben. Möglicherweise diente die Legende vorrangig dazu, dem Gesetz zu mehr Ansehen zu verhelfen. Vermutlich gab es diesen Einfluss schon vorher (etwa über die Etrusker) und auch später noch (vgl. Rn. 74, 110 ff).

Es waren zunächst zehn hölzerne Gesetzestafeln und später kamen noch zwei hinzu, was man auch am Inhalt der Gesetze erkennen kann:

I-III Prozess und Vollstreckung
IV-V Personen (Familien- und Erbrecht)
VI-VII Vertrag, Ersitzung, Nachbarrecht
VIII-IX Delikts- und Strafrecht sowie Strafverfahren
X Begräbnisvorschriften u. a. Ordnungsvorschriften
XI-XII Nachträge

Diese Tafeln sind jedoch schon im 4. Jh. verloren gegangen, vermutlich bei dem Gallierbrand (387 v. Chr.). Deshalb sind nur Bruchstücke überliefert, als Zitate oder Inhaltsangaben, aus denen man das Original zu rekonstruieren versucht hat. Verständnisschwierigkeiten bereiten die altertümliche Sprache und die sehr knappen Formulierungen.

Am umfangreichsten geregelt war das Verfahrens- und Vollstreckungsrecht (Rn. 53). Zivil- und Strafrecht waren noch eng miteinander vermischt (Rn. 69). Kaum geregelt war hingegen das, was wir heute als öffentliches Recht ansehen. Die Tafeln enthielten das für den einzelnen Bürger maßgebliche Recht (ius civile) und wurden offiziell niemals aufgehoben. Noch viele Jahrhunderte später lernten Schulkinder das Gesetz auswendig und nahmen römische Juristen darauf Bezug (Rn. 112).

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Grundsätzlich funktionierte die Gesetzgebung in Rom anders als heute in modernen kontinentaleuropäischen Staaten. Unsere heutigen, systematischen Gesetzbücher sind das Resultat der Kodifikationsbewegung (Rn. 726 ff).

Nach den XII Tafeln gab es in Rom auch keine großen Kodifikationen mehr, sondern nur noch Gesetze zu Einzelfragen. Leges wurden zunächst in den Volksversammlungen erlassen (Rn. 91, 108, 150 f). Daneben hatten aber auch zunehmend die Beschlüsse des Senates (senatus consulta) Gesetzeskraft (Rn. 87, 152).

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