Читать книгу Mantel der Gerechtigkeit - Susanne Zwing - Страница 12

Оглавление

Bittere Stunden

Cédric erwachte unruhig mitten in der Nacht. Er hörte den Sturm draußen. Das starke Rauschen der Bäume, das an- und abschwoll. Der Regen donnerte auf das Dach und wurde gegen die Seitenwand gepeitscht. Er brauchte einige Zeit, um sich zu orientieren und bis er sich sicher war, wo er war. An Land.

Nicht auf dem Meer. Es war wie an jenem Tag. Die Sonne stand am wolkenlosen Himmel und er hatte nicht erkennen können, dass irgendwoher Gefahr drohte. Sie wollten nur hinausfahren, johlten und tranken den starken Wein aus den Schläuchen, die sie erst kurz zuvor der alten Bäuerin entwendet hatten. Sie hatten nur mitgenommen, was sie hatten tragen können. Den Rest hatten sie über den Boden verteilt, waren so lange darauf he-rumgetrampelt, bis der rote Saft wie Blut herausgespritzt war. Es hatte sie toll gemacht und das Klagen der zahnlosen Alten hatte sie wütend gemacht, sodass sie sie, wie zuvor die Weinschläuche, hinein in die rote Lache geworfen hatten. Achtlos. Dann waren sie in das gestohlene Boot geklettert und hinausgefahren.

Sie wollten nur ein kleines Stück entlang dem Ufer rudern. Doch in ihrem Suff waren sie eingeschlafen. Und als der Erste wach geworden war und die anderen mit seinem Schreien geweckt hatte, war tiefste Dunkelheit um sie her. Nirgends ein Licht. Sie hatten nicht mehr gewusst, wo Festland und wo das offene Meer war. Nur Wasser um sie her. Wie Blinde hilflos umhertappen, fanden auch sie keinen Ausweg. Streit hatte begonnen. Sie ruderten mal dorthin, mal in die andere Richtung. Zwei Tage lang, ohne dass sie irgendetwas entdeckt hätten. Und ohne jede Vorräte an Bord.

In der dritten Nacht war der Sturm losgebrochen und ihr Todeskampf hatte begonnen. Sie kämpften die ganze Nacht hindurch: schöpften Wasser mit den bloßen Händen aus dem Boot, banden sich fest, um von den harten Wellen nicht über Bord gerissen zu werden, als ihre Kräfte nachließen.

Cédric wie auch die anderen spürten es. Dies also war der große Tag, an dem sie alle sterben würden. Hinweggerafft. Diese Stunden, sie schmeckten bitter.{3} Mehr als das Salzwasser, das ihm unaufhörlich ins Gesicht spritzte und auf der wunden Haut brannte wie Höllenfeuer. Der Geschmack des Todes breitete sich auch in seinem Inneren aus. Wo waren sie, die Helden? Dies würde ihre letzte Erfahrung sein. Er schaute sie an, die Männer, die vor keiner noch so großen Schandtat zurückgeschreckt waren. Sie schrien und heulten, die Gesichter zu grimmigen Masken verzerrt. Unter einem wolkendunklen Himmel, der zu ihren düsteren Seelen passte. Dieses letzte Mal richtete sich ihr Kampfgeschrei gegen sie selbst. In Todesangst, wie sie es mit ihren unschuldigen Opfern getan hatten, deren Blut sie in den Staub geschüttet hatten und deren Eingeweide sie wie Kot angewidert weggeworfen hatten. All ihr Silber und Gold, das sie geraubt hatten, rettete sie nicht. Sie würden vernichtet von Wasser und Wind, das ihnen peitschend ins Gesicht schlug und ihnen die Luft zum Atmen nahm. Nun erlebten sie ihre eigene Vernichtung und das Entsetzen griff nach ihnen. Erbarmungslos. Verlassen. Ohne Rettung verloren.

Cédrics Atem ging keuchend. Panisch wischte er sich einen Wassertropfen aus dem Gesicht, der durch das Dach hindurchgedrungen war. Für einen kurzen Moment sah er sich wieder im Dunkel der Meerestiefe untergehen. Er konnte noch immer diesen Sog spüren. Die Hilflosigkeit war das Schlimmste gewesen. Nichts hatte er dagegen ausrichten können, zu sinken. Immer tiefer.

Cédric schauderte. Wieder und wieder durchlebte er diesen Moment, in dem ihm das Leben weggenommen wurde. Aber er schauderte, weil er in eben diesem Moment des Todes erkannt hatte, wer ihm sein Leben nahm. Er war es selbst gewesen. Mit all seinen Vergehungen hatte er sich selbst den Tod gebracht. Was danach geschah, verstand er noch viel weniger. Und würde er es versuchen jemandem zu erzählen, er würde ihn für völlig verrückt erklären. Wie sollte er beschreiben, dass in diesen dunklen Meerestiefen plötzlich ein heller Lichtstrahl von oben zu ihm heruntergedrungen war. Und dass sich darin etwas auf ihn zubewegt hatte. Er hatte sie deutlich gesehen, diese Hand. Sie hatte ihn gepackt und nach oben gezogen aus der Tiefe. Er war mit dem Kopf aus dem Wasser geschnellt, hatte nach Luft gejapst, als etwas Hartes gegen ihn gestoßen war. Wieder und wieder, bis sein Verstand endlich zu ihm hatte durchdringen können und ihm sagte, er solle danach greifen und sich daran festhalten. Ein Brett, das Brett, an dem er sich festgeklammert hatte.

Noch mehr beunruhigte ihn allerdings, wie er das zweite Mal aus dem Wasser gezogen worden war. Er hätte schwören können, dass es dieselbe Hand war. Diese starke Hand, die sich ihm entgegenstreckte. Sie hatte fest zugepackt, ihn umschlossen und nicht mehr losgelassen. Stark und braungebrannt, runzlig und von harter Arbeit gezeichnet. Es war die Hand Bojans gewesen.

Cédric wusste, es war nicht dieselbe Hand. Und dennoch hatte er gespürt, dass dieselbe Kraft ihn gezogen hatte. Er konnte sich dies nicht erklären.

Müde verkroch er sich tiefer in das nach Sonne duftende Heu und schlief schließlich wieder ein.

Mantel der Gerechtigkeit

Подняться наверх