Читать книгу Mantel der Gerechtigkeit - Susanne Zwing - Страница 14

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Träume der Nacht

Bojan und Draga lagen wach in ihrem Bett.

„Wirst du etwas tun?“, fragte Draga ihren Mann.

„Es geht jede Nacht so mit ihm.“

„Hmm. Bojan überlegte. Es machte auch ihn unruhig. Nacht für Nacht hörten sie sein Aufschreien. Sahen, wie seine Laterne entzündet und wieder gelöscht wurde.

„Du weißt, was mit ihm geschieht?“ Er nahm sie in seinen Arm.

„Wirst du mit ihm reden?“, fragte ihn Draga drängend.

Cédric war bereits mehrere Wochen bei ihnen. Er lernte schnell ihre Sprache. Und er selbst beherrschte ein wenig Französisch, das er auf seinen Reisen aufgeschnappt hatte. So waren sie schnell über die anfänglichen Sprachbarrieren hinweggekommen und sie konnten sich bereits mit einfachen Sätzen problemlos verständigen.

„Liebste, lass uns noch etwas warten, bis er die Sprache besser spricht. Du siehst, etwas hält ihn hier und er drängt nicht fortzugehen. Bist du einverstanden?“

„Hast du gesehen, wie ihn Mila anhimmelt? Ich habe gesehen, wie sie ihn beobachtet, wenn er sich wäscht.“

Bojan schaute sie verdutzt an.

„Naja, er ist ein stattlicher junger Mann und sein muskelbepackter Oberkörper ist ja auch schön anzusehen.“ Draga fuhr ihrem Mann zärtlich über seine Brust und kniff ihn liebevoll in seine starken Oberarme. „So wie du, mein Schatz.“

Bojan knurrte wohlig und zog seine Frau noch enger an sich heran.

Wann immer er ihre Haut so nahe spürte, begann es in ihm zu prickeln. Liebevoll umfasste er sie. Und als er spürte, dass auch sie seine Nähe genoss, liebten sie sich.

Als Cédric im Morgengrauen erwachte, fühlte er sich grauenvoll. Wie jede Nacht. Hörte es denn nie auf, nicht einmal hier? Weit abgeschieden vom Rest der Welt.

Die Fremden, die Bojan und Draga fast täglich aufsuchten, interessierten sich nicht für ihn. Er war noch nicht dahinter gekommen, was für Handelsgeschäfte Bojan führte. Oft saß er mit den Fremden zusammen, um zu reden oder vor sich hin zu murmeln. Hin und wieder lag ein kleines Lederbüchlein auf dem Tisch, in dem sich Bojan Notizen machte. Für ihn ergab das keinen Sinn.

Diese Nacht war er wieder von seinem eigenen Aufschreien wach geworden. Langsam schämte er sich vor den anderen. Er wusste nicht, ob sie ihn hörten. Schweiß klebte an seinem Körper. Genauso wie die Erinnerung. Sie ließ sich nicht abwaschen. Cédric hielt sich die Hände vor die Augen, doch selbst als er sie fortreiben wollte, waren die Bilder noch da. Die Bilder der Nacht und die Bilder seines Lebens. Er wusste, woher sie kamen, die Bilder. Er hatte sie schließlich geschaffen durch seine Taten. Nur war er heute Nacht das Opfer gewesen.

Sie waren in das Haus eingedrungen und stachen auf den Vater ein. Seinen Vater. Er starb.

Sie verletzten seine Mutter. Doch sie konnte zum Arzt gebracht werden und überlebte. Seine Schwestern, sie schrien, so laut, so voller Angst. Sie konnten entkommen. Er überlebte, weil er nicht zu Hause war. Seine Mutter schickte ihn fort. „Du bist mein einziger Sohn. Sie werden zurückkommen und dich töten.“ So ging der Sohn fort. Und er vermisste seine Mutter.

Cédric stand auf und wusch sich am Brunnen. Er fürchtete sich vor sich selbst.

Mila hatte beinahe alle Arbeiten, die ihr für den Tag aufgetragen worden waren, erledigt. Nur das Federvieh fehlte noch. Sie wusste, sie war etwas zu früh, aber sie wollte fort. Die Hühner ließen sich aber nicht so einfach einfangen und in den Stall drängen. Immer wieder wichen sie aus. Nur mit ein paar Körnern ließen sie sich ins Innere des Stalles locken, damit sie die Falltür für die Nacht schließen konnte.

Mehrmals zählte sie durch, musste wieder hinaus, bis sie auch die letzten zwei gefunden und für die Nacht hineingetrieben hatte. Dann erst war sie fertig. Ein letzter Rundblick nach den noch kleinen Gemüsepflänzchen, die sie herangezogen hatte.

In den leichten Schuhen begann ihr bereits kalt zu werden und sie blieb nicht länger als unbedingt nötig draußen. Die Erwartung trieb sie rascher voran, um den Küchenraum noch in Ordnung zu bringen. Letzte Krüge und Schüsseln mussten noch gespült werden. Das Brot vor den Mäusen sicher verpackt werden. Die Milch verschlossen und alle Fenster für die Nacht verriegelt werden. All das dauerte ihr heute viel zu lange und es wurde bereits merklich dunkler. Sie würde die warmen Schuhe wählen müssen, um nicht zu schlottern, falls sie dort auf ihn warten musste.

Bei jedem Gang an ein Fenster schaute sie hinaus, ob sie ihn womöglich irgendwo sehen konnte. Doch der Hof blieb leer. Alle waren sie froh, bei der kühlen, feuchten Luft nach dem Regen sich in der warmen Stube wärmen zu können. Noch einmal legte sie Holz und Torfwasen in den Kamin, damit die Glut noch nicht ausging. Sie hörte ihre Mutter im Nebenzimmer mit den Kleinen scherzen. Sie ging zu ihrem Vater und gab ihm eine kurze Umarmung zur Nacht und ging in ihre kleine Kammer, die sie für sich allein hatte. Wieder horchte sie. Im Hof regte sich weiterhin nichts.

Gespannte Aufregung ergriff Mila immer mehr. Ihr Herz hämmerte. Sie wollte nicht länger warten.

In ihrer Kammer zog sie warme wollene Unterkleider an und nahm sich gleich zwei Umhänge mit, die sie wärmen würden. Kurz hielt sie den Griff ihrer Laterne in der Hand. Sollte sie sie mitnehmen?

„Hmmm.“ Würde Cédric da sein, so hoffte sie, von ihm heimbegleitet zu werden. Sollte er nicht da sein, würde sie sich auf den Heimweg machen, noch bevor es komplett dunkel war. So ließ sie die Laterne an ihrem Platz.

Ein letztes Horchen und sie schlüpfte über die hintere Tür hinaus.

Worte, Gesten bildeten sich in ihrem Kopf. Sie gestand sich ein, dass sie hoffte, er würde zärtliche Worte sprechen. Durfte sie hoffen, von ihm umarmt gehalten zu werden?

Würde er auch Sehnsucht nach ihr ausdrücken, wie sie es für ihn empfand? Oder was erwartete sie? Den Gedanken, sie habe es falsch verstanden und er warte nirgends auf sie, wollte sie nicht gewähren lassen.

Auf ihrem ganzen Weg zur Höhle sah sie niemanden. Nur kalte Tropfen von den nassen Bäumen trafen sie. Die Holzclogs hielten ihre Füße trocken. Doch der Saum ihres Rockes wurde schwerer und sie spürte, wie er sich vom nassen Gras vollsaugte und ihr kalt gegen die Beine schlug.

Vor dem dunklen Höhleneingang hielt sie inne. Dunkel und schwarz verhüllte er alles. Das letzte Abendlicht reichte nicht einmal mehr aus, den Eingang zu erhellen.

Sie trat nicht ein, sondern blieb davor stehen.

„Cédric, bist du da?“ Leise kamen ihr die Worte schwer über die Lippen.

Nichts regte sich. Sie schaute sich in alle Richtungen um.

Noch einmal versuchte sie es etwas lauter. Sie wagte sich dabei einen Schritt weiter hinein.

„Cédric?“ Unschlüssig blieb sie regungslos stehen. Sie würde warten, solange es das letzte Tageslicht ihr zuließ.

Unruhig lehnte sie gegen die kalte Höhlenwand. Ohne Laterne wollte sie nicht alleine ins Dunkle der Höhle gehen. Konnte es sein, dass er im hinteren Teil der Höhle war und sie nicht gehört hatte?

Noch immer verharrte sie. Nichts regte sich. Wieder suchte sie den Waldrand ab. Nichts.

Minuten verstrichen und die Düsternis nahm schnell zu.

Da, war da ein kleiner Lichtschein, der sich bewegte? Dort zwischen den dunklen Schatten der Bäume.

Mila trat einen Schritt von der Felswand weg, um besser sehen zu können. Unverwandt hielt sie ihren Blick auf das kleine Signal gerichtet. Ja, es war noch da und kam näher.

Doch dann verschwand es, wurde weniger. Leise Enttäuschung machte sich in ihr breit. Sie konnte nicht ewig hier warten. Vielleicht hatte er es anders gemeint?

Sie zog sich den Überhang über die Haare, um sich vor der Kühle zu schützen. Oder vor der Kühle, die ihr Herz bedrohte. Würde ihr Herz und Kopf denn nie Ruhe geben? Würde sie ihn je wieder loswerden, so fest, wie er sich bereits jetzt in sie hineingegraben hatte?

Unruhig schritt sie nach rechts und links. Vor dem Eingang blieb sie wieder stehen und ging vorbei. Dann wieder zurück. Sie würde etwas hineingehen, sprach sie sich selbst Mut zu. Ihr Herz klopfte, als sie in das Dunkle trat: „Cédric?“ Sie wartete und horchte.

„Bist du hier irgendwo?“ Sie hatte es laut genug gesagt und ging wieder hinaus. Lange würde sie nicht mehr warten können.

Bleiern legte sich die Müdigkeit auf sie, während sie Minute um Minute wartete. Eine letzte Minute noch. Dann würde sie sich auf den Rückweg machen. Sie schloss die Augen, um ruhig zu werden. Etwas traurig, aber auch befreit löste sie sich von der Felswand und ging zurück.

Sie legte ihre feucht gewordenen Kleider ab und zog ihr Nachtgewand über. Sie löste ihre Haare, fuhr sich mit den Fingern hinein und massierte ihren Kopf. Dann nahm sie den Stein aus dem Kamin, den sie sich für kühle Nächte stets wärmte. Rasch legte sie ihn ans Fußende, schlüpfte unter ihre Bettdecken und schmiegte ihre kalt gewordenen Füße an den aufgeheizten Stein. Müde schloss sie sich in ihre Höhle aus Decken ein, bis sie sich warm und sicher fühlte.

Hoffnung machte sich in ihr breit: Ja, sie würde es auch ohne ihn schaffen. Sie würde nicht klagend untergehen. Ihr Atem wurde ruhig und sie schlief ein.

In der Morgendämmerung wachte sie erfrischt auf. Sie dachte an den zurückliegenden Abend. Erleichtert stellte sie fest, dass sie noch immer ohne Herzschmerz war.

Rasch stand sie auf und ging hinaus in den Stall.

Er stand im Innern. Mila schreckte überrascht auf. Unverwandt und stark schaute er sie an. Er ließ sie für keinen Wimpernschlag aus den Augen. Noch immer hatte sie sich nicht vom Eingang bewegt. Doch Cédric kam auf sie zu, ohne den Blick von ihr abzuwenden.

Ohne ein Wort umfasste er ihre Schultern und küsste sie zuerst auf die Stirn, dann ihren Hals. Natürlich und sanft, dann wild. Liebevoll raunte er ihr ins Ohr, immer und immer wieder: „Ich liebe dich sooo, Mila.“

Ihr Herz schlug schneller. Sie hatte Cédric überhaupt nicht erwartet. Schon gar nicht das, was gerade geschehen war.

Ihre Knie wurden weich und ihr Herz flammte erneut auf. Schlagartig, schnell und stark.

Sie erwiderte seine Umarmung und umschlang mit ihren beiden Armen seinen muskulösen Oberkörper. Schmiegte sich an seine Brust, während er sie fest umschlungen hielt. Eine Hand auf ihrem Kopf. Sie spürte seine Küsse auf ihrem Haar.

Oh, sie war verliebt.

Cédric raunte: „Du bist so erstaunlich.“ Er sagte es so liebevoll, lobend und ehrlich in ihr Ohr. „Du bist so übervoll beschäftigt mit Gutem tun, die ganze Woche.“

Kurz hielt er inne. Nur um fortzufahren: „So zuverlässig, fleißig und immer fröhlich, meine Mila. Ich liebe dich, Mila. Ich war da. Nach Einbruch der Dunkelheit.“

Mila flüsterte: „Ich war auch da.“

Cédrics Umarmung wurde noch fester: „Ich umfange dich jetzt umso fester. Ich musste so stark an dich denken. Darum musste ich jetzt zu dir kommen.“

Cédric schob sie vom Eingang tiefer in den Stall.

„Joško läuft draußen umher.“

„Hast du Angst?“

„Nein“, log Cédric.

Sachte lösten sie sich voneinander. Cédric schlüpfte hinaus aus dem Stall und ließ Mila allein zurück.

Mila atmete tief ein und wieder aus. War dies gerade wirklich geschehen?

Den ganzen Tag lächelte sie bei ihrer Arbeit. Wann immer ihr Cédric alleine begegnete, kam er nahe an sie heran. So nahe, dass er sie sachte am Arm streicheln konnte.

In einem Moment, da sie niemand sehen konnte, gab sie ihm einen flüchtigen Kuss, dorthin, wo seine Tunika geöffnet war.

Cedric stöhnte auf und drückte sie innig und endlos lange, wie ihr schien. Sie erwiderte seine Umarmung und gab ihm erneut einen Kuss an seinen Hals. Nicht auf den Mund. Das traute sie sich nicht. Und Cédric hatte es auch nicht getan.

Cédric raufte sich die Haare. Er hatte es schon wieder getan. Wie hatte er sie nur so unverhohlen anlügen können. Er liebte Mila nicht. Er wusste überhaupt nicht, was Liebe war. Ihr Duft, das strahlende Lächeln, das ihm frisch und unbekümmert erschien. Ja, dies mochte er an Mila. Für kurze Momente ließ sie ihn vergessen, wie schmutzig er sich innerlich fühlte.

Er wagte es nicht, mit Bojan zu reden oder ihm gar in die Augen zu sehen. Wann immer er ein Gespräch versuchte, tat er, als verstünde er nichts. Obwohl er inzwischen nahezu alles verstand. Es fiel ihm leicht, sich die fremden Laute einzuprägen und sie akzentfrei nachzusprechen.

Sie hatten den Mittag über gemeinsam das Fundament fertiggestellt und Bojan hatte ihn für seine Arbeit daran gelobt. Wüsste dieser, wie er am Morgen seiner Tochter nahe gekommen war, er würde ihn sofort vom Hof schicken. Zumindest, wenn er klug war. Und das war Bojan mit Sicherheit.

Er selbst wusste nicht, wie er dagegen angehen sollte. Die Mädchen und Frauen waren schon immer gern in seiner Nähe gewesen. Nie hatte er sich darum bemüht. Und er liebte ihre Gerüche, die Weichheit ihrer Haut, lange Haare, in die er sich vergraben konnte. Nur einmal hatte er Schmerz erlebt. Unsäglichen Schmerz, an den er nicht mehr denken wollte. Cédric war verwirrt. Seither hatte er niemals mehr wieder einen Gedanken daran verschwendet, ob sein Tun für irgendjemand schmerzvoll war.

Bojan hielt mit seiner Arbeit inne und forderte Cédric mit eindringlichem Blick auf zu sprechen.

Doch er konnte nicht. Auch wenn dieser Blick ihn drängte zu sprechen und alles preiszugeben. Sah er nicht auch so seine tiefsten verborgenen Abgründe? Dennoch lag kein Vorwurf in seinem Blick. Auch nicht in seinen Worten, als er ihn bat, das übriggebliebene Material aufzuräumen.

Bojan ging zurück zum Haus. Er selbst packte Stein für Stein und warf sie in das nahe Gebüsch.

Sein Körper prickelte, als ihm Mila wieder in den Sinn kam. Das mochte er. Aber Liebe? Nein, davon war er weit entfernt.

Mantel der Gerechtigkeit

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