Читать книгу Mantel der Gerechtigkeit - Susanne Zwing - Страница 15

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Peitschenhiebe

Der Mond schien hell. Cédric stürzte ins Freie. Sein ganzer Körper war nass und wieder einmal fühlte er das Blut an sich kleben. Überall. Stöhnend warf er sich an den Wassertrog und mit den Händen wusch er verzweifelt sein Gesicht. Seine Tränen vermischten sich mit dem kalten Wasser. Hier und jetzt konnte er ihnen freien Lauf lassen. Leise schrie er auf. Er war ein Gefangener. Und sein Gefängnis hatte er sich selbst gebaut. Wütend riss er sich sein Hemd über den Kopf, das an ihm klebte. Wäre nicht das Haus so nahe, er würde seine Verzweiflung laut brüllend hinausschreien. Stattdessen griff er den nächstbesten Eimer, tauchte ihn in den Trog, zog ihn hindurch und mit voller Kraft riss er den schweren Eimer heraus, um ihn im nächsten Moment über seinen nackten Körper auszuschütten. Er spürte den Kälteschmerz. Aber dieser war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der sein Herz zu zerreißen drohte. Wieder und wieder pflügte er den Eimer durch das Wasser, schleuderte das Nass gegen sich, bis er schlotterte.

„Junge, es ist genug!“ Leise, aber eindringlich nahm die Stimme ihm den Eimer aus der Hand.

„Was weißt du schon, alter Mann?“ Cédric bäumte sich auf. Wut kochte in ihm auf und es war ihm egal, wie völlig entblößt er vor Bojan stand.{4}

„Ich sehe dich, Cédric. Und ich höre, wie Nacht für Nacht ein Heer über dich einfällt, dich verfolgt und du überwältigt wirst.“

Wie ein verletztes Tier jaulte Cédric auf.

„Wie lange soll das noch so weitergehen?“ Bojans Stimme ließ ihn nicht los. Genauso wenig, wie seine Augen, die ihn nicht gehen ließen.

Cédric wich einen Schritt zurück. Bojan fasste nach ihm. Er wollte nicht, dass Cédric gerade jetzt davonlief.

Doch Cédric schüttelte Bojans Hand wütend ab.

„Ich komme nicht davon los. Es ist an mir. In mir. So wie ich die Farbe meiner Haut nicht ändern könnte, auch wenn ich es wollte. Dieses Böse hat von mir Besitz ergriffen. Es ist mein Schicksal. Ich bin verloren und es wird mich zerstören!“ Cédric spie seine Worte in Bojans Gesicht.

„Komm mit mir ins Haus.“ Bojan hatte sich bislang nicht bewegt. Doch nun zog er sein Obergewand aus und gab es Cédric.

„Zieh das hier an.“

Cédric gehorchte dieser Stimme. Er wusste nicht weshalb. Was sollte er Besseres tun.

Bojan legte Cédric die Hand auf die Schulter.

Cédric zuckte zusammen. Es war das erste Mal, dass Bojan ihn so berührte. Fast sanft. Seine Muskeln spannten sich unwillkürlich zum Schlag an. Bojan spürte es. Doch unbeirrt lag seine Hand auf Cédric.

Etwas Eigenartiges ging von dieser Hand aus. Es drang in ihn ein. Als träfe ihn ein Pfeil, der sich seinen Weg durch das Fleisch nahm. Aber statt Schmerz, strahlte es Heilung aus. Oder war es Ruhe, Friede? Er spürte, wie es sich ausbreitete. Kurz ließ er es zu. Schnell verhärtete er sich. Er schirmte sich ab, bevor dieses Etwas sein Herz erreichen konnte.

„Gehen wir. Lass uns etwas essen und uns ankleiden. Dann fahren wir hinaus aufs Meer und holen die Netze ein.“

Cédric ging mit Bojan. Doch schon nach wenigen Metern blieb Cédric erneut stehen. Bojan hielt ebenso inne.

„Erzähl mir von deinem Traum. Was verfolgt dich?“

Cédric rührte sich nicht vom Fleck. Bojan blieb bei ihm stehen.

Sein Blick ging zurück, zu dem, was er gesehen hatte. Die Worte sprudelten aus ihm heraus, die Bilder, sie waren so real.

„Ich weiß nicht, wer er ist. Er ist überall. Er hat diese Peitsche, mit der er wahllos um sich schlägt. Er will nur töten, verletzen und Angst einjagen. Wen es trifft, ist ihm egal. Er schlägt sogar seine eigenen Leute, weil er Angst verbreiten will.

Diese mächtige Peitsche, sie hat auch mich getroffen. Hin und her geworfen.

Ich sehe, wie ich schreie, mich aufbäume, mich versuche zu wehren. Aber ich habe keine Chance. Weder kann ich mich schützen, noch andere.“ Cédric stöhnte auf.

Seine Stimme drohte zu brechen, als er fortfuhr: „Ich bin so machtlos und muss mit ansehen, wie er sie schlägt. Seine Peitsche trifft sie, wieder und wieder. Sie ist doch schwanger.“ Cédric schaute zu Bojan auf. Fragend. Als solle er ihm erklären, wie so etwas möglich sei.

„Er hat so lange auf sie eingeschlagen, bis sie tot war. Mitsamt dem Kind. Meinem Kind. Ich höre ihr Schreien, sie leidet so furchtbar. Ich sehe, wie sie kriechend am Boden weiter und weiter getroffen wird. Hin und her geschleudert wird, von dieser riesigen Peitsche.

Die Peitsche trifft auch mich wieder und ich werde weggeschleudert wie eine Puppe über die Landkarte. Irgendwo pralle ich auf. Aber ich kann nicht zurück. Viel zu weit entfernt bin ich.

Ich sehe sie noch. Und sie sieht mich an. Aber es gibt keinen Weg zurück. Und sie erkennt das. Da erlischt ihr Lebenswille vor meinen Augen und ich sehe aus der Ferne, wie sie stirbt.

Ich renne und renne über die Landkarte, aber ich komme ihr nicht näher. Ich breche keuchend zusammen. Es ist ein unmögliches Unterfangen.

Dabei sehe ich mich von oben. Wie aussichtslos mein Versuch ist, ihr nahe zu kommen. Hunderte von Kilometern bin ich entfernt von ihr. Keine Chance. Aber ihren Tod sehe ich.“

Wie aus weiter Ferne nahm er Bojans Stimme neben sich wahr: „Wie war ihr Name?“

Cédric reagierte nicht.

„Du hast sie geliebt. Und dein Kind. Was geschah danach?“

Kurz blickte er auf. Ja, Bojan hatte verstanden.

„Ich bin fortgerannt. Rastlos bin ich von einem Ort zum nächsten gezogen. Ich fing an genauso zu morden, zu quälen und zu rauben. Ich habe alles verloren, was ich je geliebt habe. Ich konnte niemanden ertragen, der das hatte, was ich verloren habe. Ich habe sie so lange gequält, bis ich dieselbe Furcht und Angst in ihren Gesichtern gesehen habe. Ich habe nicht vorher aufgehört.“

Qualvoll kamen die Worte aus Cédrics Kehle.

„Ich habe sie angeschrien. Die Mütter, die Kinder: Schau mich an! Ich wollte die Qual der Mütter sehen, wenn ihr Kind stirbt. Es war meine Art der Rache.

Ich habe mir eine Peitsche besorgt und wie ein Irrer um mich geschlagen. Bojan, ich bin diese Bestie.“ Verzweifelt stöhnte Cédric auf.

„Ich habe zugesehen, wie ihre Haut aufplatzt, Gesichter entstellt werden. Kinder, die wie Puppen durch die Luft geschleudert wurden in meiner Wut. Ich habe für meine Wut keinen anderen Weg gefunden als in diesem Zorn.

Aber es fand kein Ende. Es hat nie aufgehört. Es wurde nie besser. Egal, wie viel ich gequält habe, meine Qual wurde nicht weniger.“

Cédric wischte sich die Augen trocken.

„Ich sehe es immer und immer wieder.“ Tonlos richtete er sich an Bojan.

„Komm nun, mein Junge.“

Bojan trat auf das Haus zu. Die Tür stand offen. Sie traten ein. Es war dunkel im Haus. Zum ersten Mal setzte Cédric seinen Fuß über die Schwelle des Hauses. Er zögerte und blieb am Eingang stehen.

Wieso öffnete Bojan sein Haus gerade in jenem Moment, da er die Schwärze seiner Seele sehen konnte? Oder glaubte ihm Bojan nicht?

Bojan war im Dunkeln des Hauses verschwunden. Es dauerte nicht lange, bis er ihm eine Arbeitshose entgegenstreckte.

„Das gebe ich dir.“

Cédric streckte langsam seine Hand danach aus. Und zog sie wieder zurück.

Es war wie eine Kraft, die Cédric nach außen zog. Und er hörte dieselbe Stimme, wie er sie aus seinen Träumen kannte: „Du gehörst mir!“

„Komm herein.“ Bojans Stimme war nah und fest.

„Furcht hat keinen Platz in meinem Haus.“{5}

Langsam trat er ein. Als bliebe ein Teil seiner selbst außerhalb dieser Mauern.

„Hier, zieh das an. Sie gehört dir.“

Bojan hielt ihm erneut eine gut gearbeitete Arbeitshose hin und rührte sich nicht von der Stelle. Sie war neu, das wusste Cédric, denn er hatte Draga daran arbeiten sehen.

Cédric nahm sie ihm ab und schlüpfte hinein. Bojan reichte ihm einen Strick, den er sich um die Hüfte band und so die Pluderhose festhielt.

Mit sicherem Schritt ging Bojan zum Tisch und entzündete eine Kerze.

„Setz dich, Junge“, flüsterte ihm Bojan zu.

Cédric gehorchte. Bojan reichte ihm Brot. „Schneide uns etwas herunter.“

Zwei Becher, ein Krug mit Wasser. Bojan wickelte noch harten Käse aus einem Tuch. Dann fingen sie an zu essen. Sie redeten nicht. Cédric beobachtete Bojan vorsichtig. Eine eigentümliche Ruhe ging von ihm aus, wie auch von diesem Heim. Er konnte sich nicht erklären, wie so etwas möglich war. Nie zuvor hatte er so einen Menschen kennengelernt. Und wie konnte er ihn in sein Haus hineinlassen, wo er ihm doch gerade erst gestanden hatte, dass ihm nicht zu trauen war?

„Hast du keine Angst vor mir?“

Bojan zuckte nicht im Geringsten.

„Es ist meine Hoffnung für dich, dass du aus dieser Schlinge, in der du dich verfangen hast, herauskommst.{6} Bleibe in der Falle deiner Angst, die dich gefangen hält, oder treibe sie hinaus!“ Bojan flüsterte, doch jedes seiner Worte hörte Cédric klar und deutlich.

Cédric höhnte verzweifelt: „Hinaustreiben? Mit welchen Waffen denn?“

„Die Liebe ist deine Waffe.“ Bojan ließ seinen Blick nicht von Cédric.

„Sie ist nicht in mir, diese Liebe, die ihr wohl habt, die ich jedoch nicht besitze.“

Eine Stille folgte.

„So bin ich also verloren.“ Bestürzt hörte Cédric seine verzerrte Stimme.

Bojan lächelte ihn an. Ein Strahlen überzog sein Gesicht.

„Ja! So ist es.“

Cédric starrte ihn an. Entsetzt.

„Wie könnt Ihr dabei auch noch lachen? Freut Ihr Euch, wenn ich verfangen in dieser Falle vollends umkomme? Wozu habt Ihr mich dann aus dem Wasser gezogen?“

„Besinne dich.“

Ruhig fuhr Bojan fort: „Ich freue mich darüber, dass du diese Falle siehst und wie du darin gefangen bist.“

Bojan ging nicht weiter darauf ein und aß sein Brot zu Ende.

Cédric aß so lange wie Bojan. Nicht länger. Er stand mit ihm zusammen auf.

„Pack den Rest ein“, wies in Bojan an.

Währenddessen entzündete Bojan zwei Laternen. Er reichte eine davon Cédric. Ohne weitere Worte gingen sie leise hinaus, schlossen die Tür und gingen die enge Treppe hinunter zum Wasser. Bojan ging voraus.

„Und wie komme ich da heraus?“

Cédrics Stimme war laut geworden, nun, da sie bereits die ersten Stufen hinabgestiegen waren.

„Folge mir einfach.“

Cédric hörte die Freude in Bojans Stimme, der bei seiner Antwort nicht innegehalten hatte.

Cédric stöhnte und folgte dem Mann vor ihm hinaus aufs Wasser.

Mantel der Gerechtigkeit

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