Читать книгу Mantel der Gerechtigkeit - Susanne Zwing - Страница 13
ОглавлениеGeschenkt
„Dobro jutro!“
„Dobro jutroooo!“
Cédric hörte Worte im Schlaf. Überrascht schlug er die Augen auf. Wieder hörte er die fremden Laute von draußen. Er schnellte in die Höhe.
Was in der Nacht noch nach sonnig duftendem Heu gerochen hatte, war nun wirklich warm und duftend um ihn, denn die Morgensonne hatte längst ihre warmen Strahlen durch den luftig zusammengezimmerten Heustall gefunden.
„Mist.“ Cédric sprang mit einem Satz hoch, öffnete die kleine Luke und spähte nach draußen.
Unter ihm strahlte ihn Mila an. Er wunderte sich, wie sie immerzu ein solch glückliches Leuchten im Gesicht haben konnte.
„Dobro jutro!“, rief er ihr zurück, in der Annahme, dass es ein Morgengruß bedeuten sollte.
Mila lachte laut auf und nickte ihm zu.
Rasch wischte er sich das Heu von den Kleidern und sprang die Leiter hinunter. Mila wartete auf ihn und er folgte ihr zurück zum Haus.
Er sah und hörte aufgeregtes Stimmengewirr vor dem Haus, wo sie alle um ihren Vater herumsprangen. Bojan schien gerade erst zurückgekehrt zu sein, denn er herzte noch immer die Kleinsten seiner Kinderschar. Als er sie kommen sah, blickte er auf. Bojan hatte dasselbe zufriedene Strahlen im Gesicht wie seine Tochter. Oder war es anders herum? Mila hatte es von ihrem Vater geerbt. Es rief in ihm eine Erinnerung wach, an seine Mutter, seine kleine Schwester. Einst hatte auch er dieses Glück gehabt. Aber es war verloren gegangen, begraben und verschüttet in unendlichen Tiefen. Gestorben war sein Gefühl, Teil einer Familie zu sein. Bojan und Cédric traten aufeinander zu und er klopfte auch ihm freundschaftlich auf die Schulter.
„Geht dir Junge gutt?“ Überrascht lachte Cédric auf. Bojan hatte in seiner Sprache gesprochen. Wenn auch nicht korrekt.
„Oui, Monsieur! Ça va bien“, antwortete er in seiner Muttersprache.
Noch immer um die Schultern gefasst, führte Bojan ihn in den Kreis seiner Familie.
Geöffnete, hölzerne Truhen standen über den Boden verteilt. Draga und die Mädchen umfassten Stoffe und Garne in den unterschiedlichsten Farben. Die Jungs wetteiferten um die Gunst ihres Vaters, die neuen Messer in die Hand nehmen zu dürfen. Joško beaufsichtigte die Kleinen, als die Messer verteilt wurden. So zogen sie einer nach dem anderen funkelnde Klingen aus kleinen Köchern.
Cédric staunte über die Fülle von Geschenken, die Bojan von seiner Reise zurückgebracht hatte. Nur die größte der Truhen war leer. Bojan wies stolz darauf und Draga strahlte. Während sich die Kleinen mit den neuen Schätzen verzogen, setzte sich Bojan mit Draga an den Tisch. Cédric blieb unschlüssig stehen und beobachtete Mila. Sie hatte ihre Webarbeit wieder aufgenommen. Täglich standen Mila und ihre Mutter für mehrere Stunden an ihren großen Webrahmen, die geschützt unter der lang gezogenen überdachten Veranda aufgereiht waren. Eine kleine Truhe mit verschiedenen Garnen stand vor ihr auf dem Tisch. Draga wies sie auf die neu mitgebrachte Wolle hin und ermutigte Mila, davon zu nehmen. Zumindest reimte er es sich so zusammen und eilte schnell, die Truhe für Mila zu holen und zu der anderen dazuzustellen. Er hatte wohl alles richtig gedeutet, denn sie strahlte noch mehr. Anerkennend nickte Bojan ihm zu.
Zum ersten Mal stand Cédric so dicht vor den gewebten Wandarbeiten. Er hatte noch nie jemanden im Stehen weben gesehen. In Milas Webrahmen waren ganz neu die Kettfäden in den Webrahmen eingespannt. Als er näher herantrat, sah er durch die von oben nach unten verlaufenden Kettfäden ein buntes Muster schimmern, das dahinter auf einer Papierhaut aufgezeichnet war. Überrascht schaute er zu Mila hinüber, die ihn beobachtet hatte.
„Hast du dies gezeichnet?“
Sie trat neben ihn, fasste mit ihren Fingern hinter die Kettfäden und fuhr sachte das Muster nach. Mila nickte. Cédric sog anerkennend die Luft ein und machte seine Augen groß, sodass Mila loskicherte.
Cédric wandte seinen Blick Dragas Kunstwerk zu. Anders als bei Mila hatte sie bereits einen guten Teil eingewebt. Helles Blau vermischte sich mit dunklen Wogen, Schaumkronen und aufgepeitschten Wellen. Unweigerlich erinnerte es ihn an die Tage, die er auf dem Meer um sein Überleben gekämpft hatte. Er schluckte hart und vermied es, Mila anzuschauen.
Erleichtert wandte er sich um, als er die Stimme Joškos nach ihm rufen hörte, der ihn zu sich winkte. Cédric sprang rasch und folgte ihm die schmale Außentreppe hinab zum Wasser.