Читать книгу Mantel der Gerechtigkeit - Susanne Zwing - Страница 17
ОглавлениеWer bin ich?
Sie hatten alle ein paar Tage gebraucht, um sich von diesem Angriff auf Bojan zu erholen. Alle außer Bojan, der kein Wort darüber verlor. Bereits am nächsten Tag war er wieder aufgestanden. Auch wenn er sich schonte, so war er doch unablässig tätig. Er verbrachte die meiste Zeit am großen Tisch mit seinen Büchern und schien selbst diese Zeit zu genießen. Cédric war eifrig bemüht, ihm sämtliche schweren Arbeiten abzunehmen. Noch immer arbeitete er den Holzstoß ab, und bei jedem Axtschlag, der heruntersauste, hörte er das Toben des Mannes und das seines eigenen Herzens. Bojans Verhalten wühlte ihn auf. Noch nie hatte er einen Mann erlebt, der angegriffen wurde, sich aber nicht angegriffen fühlte und sich nicht dementsprechend verhielt. Kein Wort des Ärgers oder Klagens kam über Bojans Lippen.
Es beunruhigte ihn, weil es ihn insgeheim beeindruckte.
Cédric arbeitete an den letzten Scheiten, sie zu spalten, als er ihn kommen sah. Ihm stockte für einen kurzen Moment der Atem und er musste sich vergewissern, dass es derselbe Mann war, der Bojan vor wenigen Tagen angegriffen hatte.
Wut stieg in ihm hoch. Fest umfasste er die Axt mit beiden Händen. Sein freier Oberkörper war schweißüberströmt vom Spalten des Holzes, aber er war voller Kraft. Seine Muskeln spannten sich an und mit der Axt in der Hand stellte er sich dem Mann in den Weg, sodass dieser ihn bereits von Weitem sehen konnte. Cédric rief ihm zu: „Bist du hier, deinen Tod zu besiegeln?“ Seine Stimme war gewaltig und signalisierte dem Fremden, dass er zu Gewalt bereit war.
Ungeduldig warf er die Axt von einer Hand in die andere, bereit, wie eine Katze zum Sprung auf die Maus, die er nicht einen Augenblick aus den Augen ließ. Mit langsamen Schritten kam der Mann näher und wies mit dem Kopf auf das Haus.
„Du kommst keinen Schritt an mir vorbei“, fauchte Cédric gefährlich und versperrte ihm den Weg zum Haus.
Der Mann machte einen weiteren Schritt. Cédric baute sich zu voller Größe vor ihm auf. Auch wenn er kleiner als sein Gegenüber war, er war gewillt, sofort zuzuschlagen.
„Du kommst nicht lebend an mir vorbei.“ Er knurrte wie eine wild gewordene Raubkatze und begann zu tänzeln.
Cédric sah das Zucken in dessen Körper und wie er seinen Blick auf etwas hinter Cédric richtete.
Aber er ließ seinen Blick nicht von ihm los.
„Cédric!“ Bojans Stimme hinter ihm verlangte nach seiner Aufmerksamkeit.
„Er kommt keinen Schritt näher oder ich bringe ihn um.“
„Leg die Axt weg, Cédric!“ Bojans Stimme wurde bestimmter und er trat neben ihn. Bojan stand fest. Und ging auf den Mann zu.
Cédric japste auf.
„Bojan! Der Kerl hat Euch beinahe umgebracht!“
Noch immer starrte Cédric auf den Mann, der unruhig wurde.
„Du bist mir noch immer etwas schuldig“, warf dieser Bojan wie einen Köder vor die Beine. „Ich will es haben!“
„Von was spricht der Kerl?“, zischte Cédric zu Bojan hinüber.
Stattdessen ging Bojan nicht darauf ein.
„Lass uns reden …“ Bojans Stimme brach ab, als sich der andere ruckartig auf Bojan zubewegte.
Es war eine Regung zu viel, denn Cédric warf die Axt weit von sich und stürzte sich auf ihn.
Gemeinsam fielen sie zu Boden. Cédric hatte die Oberhand und schlug auf den am Boden Liegenden ein. Sie wälzten sich auf dem Boden und sprangen beide wieder auf die Beine.
Bojan stellte sich zwischen sie. Doch sie umkreisten ihn, wie Löwen ihre Beute. Cédric hörte und sah nichts von dem, was Bojan auf ihn einzureden versuchte. Wild griff er abermals den Mann an. Doch Bojans Griff war schnell und er packte ihn am Arm, um ihn zurückzuhalten.
„Lass ab! Junge, lass sofort ab!“
Cédric wurde von Bojan weggezogen, dennoch wurde er von den Schlägen des Kerls getroffen.
„Seid Ihr von Sinnen?“ Keuchend wand sich Cédric aus Bojans Griff frei und sprang zwei Schritte zurück.
Cedric riss die Augen weit auf, denn in eben diesem Moment fiel der Mann vor Bojan auf die Knie. Ungläubig starrte er auf das Bild, das sich vor seinen Augen abspielte.
„Vergib mir, ich war von Sinnen“, hörte er die Stimme des Übeltäters stottern.
Bojan keuchte vor Schmerz auf. Cédrics Blick fiel auf seinen Rücken. Doch kein frisches Blut war zu sehen. Die Wunde schien nicht wieder aufgeplatzt zu sein. Frisches Blut, es hätte ihn zurückschlagen lassen.
Bojan streckte dem niedergebeugten Mann die Hand hin und richtete ihn auf.
„Was gebt Ihr Euch mit diesem Kerl ab?“ Verständnislos schrie Cédric auf.
„Wer entscheidet das? Ich bin es nicht“, überraschte ihn Bojans Antwort. „Wenn El Redi ihn ruft, wer bin ich, dass ich mich dagegenstellen könnte.“ Eiserne Festigkeit lag in Bojans Stimme. Kein Zweifel. Nur ruhige Gewissheit.
Cédric verstand nichts von dem, was Bojan mit seinen Worten meinte. Aber er verstand, wie ernst es Bojan war.
„Wer ist El Redi, dass er so jemanden rufen sollte?“ Cédric spie die Worte verächtlich aus.
Bojan blieb ihm die Antwort schuldig. Leise und ruhig begann er mit dem Mann zu sprechen mit Worten, die Cédric nicht verstand. Doch er sah eine Veränderung an dem Mann, der völlig ruhig wurde und vor Bojan seinen Kopf neigte. Cédric japste nach Luft, als Bojan ihn auch noch in die Arme nahm. Bojan wies mit dem Kopf zum Meer und nebeneinander gingen sie Richtung Ufer. Cédric folgte ihnen.
Nur kurz hielt Bojan am Haus inne, öffnete die hölzerne Truhe, die seit Tagen unverändert am Haus gestanden hatte, und entnahm daraus ein Stoffbündel.
Cédrics Augen schwankten von einem zum anderen. Noch immer bereit, sofort einzugreifen. Bojan bemerkte seine Blicke. Ohne Worte forderte er ihn auf, ruhig zu bleiben.
Die beiden gingen hinunter zum Wasser. Langsam folgte Cédric und beobachtete das Geschehen von oben. Cédric holte tief Luft. Was er sah, raubte ihm den Atem. Bojan tauchte den Mann unter Wasser. Mit einem kräftigen Ruck zog er ihn wieder heraus. Dieser japste nach Luft und stieß einen gellenden Schrei aus, der dem eines Jubelschreies glich.
Zusammen kletterten sie aus dem Wasser. Bojan legte ihm den Stoff um, der als einfacher Mantel gearbeitet war. Kurz redeten sie noch. Dann huschte der Mann auf einem Trampelpfad Richtung Dorf davon.
Bojan blieb noch einen Moment ruhig stehen und blickte über das Meer. Dann kam er die Treppen herauf.
Cédric erstarrte: Bojans Gesicht strahlte vor Freude.