Читать книгу Mantel der Gerechtigkeit - Susanne Zwing - Страница 9

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Gestrandet

Er wachte auf und wusste, dass sich etwas verändert hatte.

Noch immer hörte er das sanfte Schlagen der Wellen. Doch die wogenden Bewegungen des Wassers, das ihn zwei Tage getragen hatte, waren einem festen Untergrund gewichen.

Die hölzerne Planke, an die er sich geklammert hatte, lag noch neben ihm, als er die Augen aufschlug.

Mühsam richtete er sich langsam auf. Ein Stöhnen der Erleichterung entfuhr unwillkürlich seiner Kehle, als ihm bewusst wurde, dass er überlebt hatte.

Ob noch einer der Männer am Leben war, die mit ihm auf dem Boot unterwegs gewesen waren? Zwei waren vor seinen Augen in den dunklen Tiefen des Meeres untergegangen. Die anderen fünf waren sofort von der Finsternis der stürmischen Nacht verschluckt worden.

Seine Zunge klebte am Gaumen fest und fühlte sich dick geschwollen an. Langsam richtete er sich ganz auf und sah sich um.

Vor ihm lag das Meer, ruhig und unschuldig. Er selbst schien sich auf einer steinigen Insel zu befinden. Nur hier und da ragten dürr vertrocknete Grasbüschel zwischen den Steinen heraus. Rings um ihn war das Meer von kleineren und größeren steinernen Inseln unterbrochen, die nicht anders aussahen als die, auf der er sich befand. Sanft erhoben sie sich aus dem Meer.

In der Ferne verdunkelte sich der Himmel mehr und mehr. Er konnte erkennen, wo der Regen bereits niederging. In dicken, dunklen Strichen verband sich dort der Himmel mit dem Meer. Schnell näherte sich die Regenwand seiner Insel. Schon konnte er sehen, wie das Meer dort aufspritzte.

Er schaute sich um, ob er einen Unterschlupf finden konnte. Doch da war nichts als spitzes Gestein, das ihm in die Füße stach.

Rasch kam die dunkle Front näher und er spürte die ersten dicken Regentropfen auf seinem Gesicht. Schnell kam der Regen, prasselnd und voll. Er riss seinen Mund weit auf, um möglichst viel aufzufangen. Der Regen wusch ihm die Salzkrusten von der Haut und löschte seinen schlimmsten Durst. Der Regen rettete ihm das Leben.

Hätte er gewusst, wem er dafür danken könnte, er hätte es getan. Auch für die Schiffsplanke, die im Sturm gegen ihn gestoßen war. Immer und immer wieder, bis er endlich danach gegriffen hatte. Sie war groß genug gewesen, um sich draufzulegen und sie umklammern zu können, wie die Frau, an die er in diesen Stunden oft gedacht hatte.

Als sich zu seiner rechten Seite die tief hängende Wolkendecke verzogen hatte, gab sie den Blick auf eine nahe liegende Bergkette frei, die hoch emporragte. Aus der Ferne meinte er, dort dunkle Stellen zu erkennen, die sich von dem hellen Gestein, aus dem die ganzen Inseln zu bestehen schienen, deutlich abhoben.

Sein Blick fiel auf die Planke vor ihm, die ihn zwei Tage durchs Wasser getragen hatte. Noch einmal ließ er seinen Blick ringsum schweifen. Nichts als Steine, kein einziger Baum. Auch die Inseln in Sichtweite schienen sich nicht von dem Flecken Land zu unterscheiden, auf dem er sich befand.

Er bückte sich, um das Gewicht des Holzes zu prüfen. Mit einem Ruck hievte er es auf seine breiten Schultern. Ein Stück weit konnte er es tragen, auch wenn es schwer war, noch vom Wasser durchtränkt.

Entlang des Wassers suchte er sich eine Stelle, die ihn möglichst nahe zum gegenüberliegenden Ufer brachte. Es war machbar. Ja!

Bald schon hatte er eine Landzunge erreicht, die direkt zum Festland hinausragte und die flach genug ins Wasser verlief. Mit letzten Kräften und blutigen Füßen stolperte er dorthin. Rote Spuren zeichneten seinen Weg über das spitze Gestein.

Die Sonne stand noch hoch genug. Ein paar Stunden hatte er noch Licht. Das sollte genügen.

Ächzend legte er das Brett ab und schob es ins Wasser. Ein kleines Stück schob er es vor sich her. Dann legte er sich bäuchlings darauf. Mit den Armen schob er das Wasser weg und paddelte zusätzlich mit den Füßen, das andere Ufer fest im Blick.

Was anfangs leicht ging, wurde bald mühsam und für seine Muskeln schmerzhaft. Nur kleine Pausen gönnte er sich. Wie in den Tagen zuvor, brannte ihm das Meerwasser in den Augen.

Mechanisch schob er seine Arme im Wasser nach vorne, drückte das Meer hinter sich und kam so Zug um Zug ans andere Ufer, das ihm mit demselben spitzen Gestein Füße und Arme aufschnitt. Mit letzter Kraft zog er sich beim schwindenden Tageslicht ans höher gelegene Ufer, blieb liegen und schlief sofort völlig ermattet ein.

Erst die wärmende Sonne weckte ihn am späten Morgen. Wieder lag dick und taub seine Zunge im Mund. Der Hunger nagte erbärmlich an ihm. Nur Steine und sein Brett. Stumpf starrte er ins Wasser, das hier in kleinen Buchten flach auf das Land traf. Zuerst nahm er die kleinen Bewegungen nicht bewusst wahr. Dann aber erkannte er darin fingerlange Fische, die sich in kleinen Schwärmen dort aufhielten. Sehr langsam trat er Schritt für Schritt ins Wasser, bis er hüfttief stand. Seine Hand tauchte unter Wasser. Reglos stand er dort, bis die Schwärme zurückkamen und um ihn herum schwammen.

Schnell griff er zu, wieder und wieder, bis er endlich mit der Hand einen der Fische umschlossen hatte. Ohne Zögern schnellte sein Arm zu seinem Mund und entlud dort die zappelnde Beute.

Er kaute nur wenige Male und schluckte.

Zweimal noch gelang ihm sein Unterfangen. Dann beendete er es enttäuscht, denn nur der salzige Geschmack im Mund war ihm übriggeblieben und sein Körper verlangte nach weit mehr als dreier erbärmlich kleiner Fische.

Wieder richtete er seinen Blick auf die nahe Bergkette, und so folgte er diesem über mehrere Hügelkämme. Hitze stieg aus den Steinen in seine Füße und von oben in seinen unbedeckten Kopf.

Abrupt endete sein Weg, als die Felsen vor ihm steil ins Meer abbrachen. Wieder trennte ihn das Meer vom Festland, wie er bitter erkennen musste. Er befand sich erneut auf einer Insel, wenn auch näher zum Festland gelegen. Seine Holzplanke hatte er liegen gelassen, im Glauben sie nicht mehr zu brauchen. Kein einziger Baum war zu sehen.

Schritt für Schritt kämpfte er sich auf dem Grat entlang, um wiederum einen möglichst kurzen Meeresweg zu finden. Eine Stunde, in seinem Zustand vielleicht zwei Stunden, vermochte er zu schwimmen. Das Wasser war ruhig. Heftig atmete er ein und aus.

Doch plötzlich löste sich das lose Gestein unter ihm und er rutschte mitsamt Geröll über den steilen Hang hinab ins Meer.

Laut klatschend versank er zusammen mit den Steinen im Wasser. Panik wollte sich seiner bemächtigen, doch er zwang sich, nach oben zu tauchen. Dort schnappte er laut prustend nach Luft. Seine Gliedmaßen konnte er alle bewegen. Dankbar registrierte er, dass er sich bei seinem Sturz nichts gebrochen hatte.

Den hoch aufragenden Bergkamm vor sich, begann er zu schwimmen. Gedankenleer nahm er Zug um Zug. Wenn er dort nicht Wasser und Nahrung fand, würde er ohnehin nicht mehr lange überleben.

Mantel der Gerechtigkeit

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