Читать книгу Ein Volk in Waffen - Sven Anders Hedin - Страница 10

7. Der Kaiser.

Оглавление

Inhaltsverzeichnis

Als Wilhelm II. im Juni 1913 sein fünfundzwanzigjähriges Regierungsjubiläum als Deutscher Kaiser feierte, schrieb ich in einer deutschen Zeitung u. a. folgende Worte über ihn, die zum großen Teil bereits in Erfüllung gegangen sind: »Durch seine starke und mächtige Persönlichkeit drückt Wilhelm II. dem Zeitalter, dem er angehört, sein Gepräge auf. Bisher geschah dies im Zeichen des Friedens. Was die Zukunft im Schoße trägt, weiß niemand, aber so viel wissen wir, daß keine fremde Macht Deutschlands Ehre und Sicherheit zu nahe treten darf. Und wenn unfreundliche Götter einmal blutige Runen an seinen Himmel schreiben, dann wird der Kaiser tätig und impulsiv wie in den Tagen des Friedens seine Legionen ins Feuer führen, und die goldenen Adler seines Helms werden ihnen den Weg zu neuen Siegen zeigen.«

Es wird wohl auch für alle Zeiten in der Geschichte als unerschütterliches Faktum bestehen bleiben, daß Kaiser Wilhelm im Lauf eines Vierteljahrhunderts sein möglichstes tat, um die Unwetter des Krieges von Deutschlands Grenzen fernzuhalten. Mehr als einmal hat der Ausbruch eines Krieges an einem Haar gehangen, und alle sind darin einig, daß des Kaisers persönliches Eingreifen eine Katastrophe abgewendet hat. Noch vor nicht langer Zeit war der Weltkrieg näher als die Mitwelt ahnte — auch damals gab die Friedensliebe des Kaisers den Ausschlag. Viele tadelten ihn deswegen und nannten seine Haltung unentschlossen und nachgiebig. Aber auch hier wird das Urteil der Geschichte zu seinen Gunsten ausfallen. Währenddessen rüstete sich Deutschland für die blutigen Ereignisse, an deren bevorstehendem Ausbruch kein klar sehender Mensch zweifeln konnte. Auf die Dauer war der Kampf für die Erhaltung des Friedens hoffnungslos. Das sah niemand deutlicher als der Kaiser selbst, und deshalb hat er während seiner ganzen Regierungszeit daran gearbeitet, die Streitkraft des Reiches zu Wasser und zu Land zu stärken. In dieser Stunde schwimmt die Flotte wie ein gigantisches Monument auf dem Meere, ein Monument der klugen und klaren Voraussicht ihres Urhebers. Denn der Kaiser selbst ist es, der im Verein mit seinem unübertrefflichen Großadmiral Tirpitz die schwimmenden Festungen geschaffen hat, ohne welche Deutschlands Lage verzweifelt gewesen wäre, als England mit seiner Kriegserklärung kam.

Gleich bei meiner Ankunft in Luxemburg hatte ich die Ehre, für den nächsten Tag 1 Uhr bei Kaiser Wilhelm zu Mittag eingeladen zu werden. Die meisten Gäste wohnten im Hotel Staar, und die Automobile sollten von dort rechtzeitig abgehen. Ich fuhr mit dem Generaladjutanten Exzellenz von Gontard. Der Kaiser wohnte im Haus des Deutschen Gesandten und hatte seine Privaträume eine Treppe hoch. Im Erdgeschoß war die Kanzlei, wo gewaltige Karten über die Kriegsschauplätze auf Staffeleien aufgestellt waren; daneben war der Speisesaal, ein ganz kleiner Raum.

In der Kanzlei versammelten sich die Gäste, alle in einfacher Uniform ohne allen Zierat. Ich selbst war in Alltagskleidung. Unter dem Gefolge des Kaisers fand ich ein paar alte Bekannte, den Generaladjutanten von Plessen und Admiral von Müller, der aus Smaaland stammt und so gut Schwedisch spricht wie Deutsch. Im übrigen bemerkte ich die Exzellenzen und Adjutanten von Treutler, Frhr. von Marschall, von Mutius, Generalarzt Dr. von Ilberg, den Fürsten Pleß und von Arnim. Wir waren also zehn Mann.

Punkt 1 Uhr wird die Tür des Vestibüls geöffnet, und Kaiser Wilhelm tritt mit festen, ruhigen Schritten herein. Aller Augen richten sich auf die mittelgroße, kraftvoll gebaute Gestalt. Es wird vollkommene Stille, man fühlt: eine große Persönlichkeit ist ins Zimmer getreten. Der ganze, sonst so anspruchslose Raum hat eine unerhörte Bedeutung erhalten. Hier ist die Achse, um die sich die Weltereignisse drehen. Hier ist das Beratungszimmer, von dem aus der Krieg geleitet wird. »Deutschland soll zermalmt werden«, sagen seine Feinde. »Magst ruhig sein«, sagt das deutsche Heer zu seinem Vaterland. Und hier steht in unserer Mitte sein oberster Kriegsherr, ein Bild der Mannhaftigkeit, Entschlossenheit und offenen Ehrlichkeit. Ihn umkreisen die Gedanken der ganzen Welt; er ist Gegenstand der Liebe, blinden Vertrauens, der Bewunderung, aber auch der Furcht, des Hasses und der Verleumdung. Ihn, der den Frieden liebt, umrast der größte Krieg der Geschichte, und um seinen Namen tobt der Kampf. Ein Mann, der in einem stammverwandten Reiche einen so unsinnigen Haß und so schändliche Schmähungen hat erwecken können, muß in Wahrheit ein sehr bedeutender Mann sein, denn sonst würden ihn seine Verleumder in Frieden lassen und die Schalen ihres Zornes über einen andern ausleeren, der mehr zu fürchten ist. Aber alles, was Verleumdung, Feigheit und Weiberklatsch ausdenken kann, ergießt sich über sein Haupt. Seine Absichten werden verdreht, seine Worte mißdeutet, seine Handlungen zu Verbrechen gestempelt. Aber in ganz Deutschland, im ganzen deutschen Heer erklingt sein Lob. Bei den Feldgottesdiensten und in allen Kirchen Deutschlands, an Wochen- und Feiertagen wird brünstig für sein Wohlergehen gebetet. »Magst ruhig sein!« können die Soldaten ihrem Kaiser sagen; und sie ihrerseits wissen, daß er niemals seine Pflicht versäumt, und daß er nie zurückweichen wird, ehe Deutschlands Zukunft gesichert ist.

Es ist kein Kaiser Karl V., kein Imperator, der in die Kanzlei tritt. Es ist ein Offizier in der denkbar einfachsten Uniform, einem kurzen, graublauen Waffenrock mit doppelten Knopfreihen, dunkeln Beinkleidern und gelben Feldstiefeln. Nicht einmal das kleine schwarz-weiße Band des Eisernen Kreuzes schmückt ihn. Aber es ist eine fesselnde und gewinnende Persönlichkeit, ein höflicher und freundlicher Weltmann. Seine scharfe Auffassung und sein glänzendes Charakterisierungsvermögen verraten den Beobachter und Künstler, sein kluges Sprechen den Staatsmann, seine energische Haltung, seine ausdrucksvollen Bewegungen und prächtigen Schlachtenschilderungen den Feldherrn, sein verbindliches Wesen Bescheidenheit und Menschenfreundlichkeit, und seine männlichen, befehlenden Worte den Herrscher, der an Gehorsam gewöhnt ist. Glücklich das Volk, das besonders in unruhigen Zeiten einen Herrscher besitzt, der das Vertrauen aller genießt, und an dessen Beruf niemand zweifelt.

Aber es ist auch ein Paar Augen, die eine wunderbar magnetische Kraft haben und alle fesseln, sobald der Kaiser hereintritt. Es ist, als würde der ganze Raum heller, wenn man den ruhigen blauen Augen des Kaisers begegnet. Seine Augen sind merkwürdig ausdrucksvoll. Sie erzählen vor allem von unerschütterlicher Willenskraft und eiserner Energie. Sie erzählen von Wehmut über die Blindheit derer, die nicht einsehen wollen, daß er nur das will, was Gott gefällig und seinem Volke nützlich ist. Sie erzählen auch von sprudelndem Witz, von durchdringendem Verstand, dem nichts Menschliches fremd ist, und von unwiderstehlichem Humor. Sie erzählen von Ehrlichkeit, Wahrheitsliebe und einer Aufrichtigkeit, die niemals den Blick abirren läßt, der einem fest und unerschütterlich durch Mark und Bein dringt.

Das Gefühl von Verzagtheit, das man vielleicht gehabt hat, während man auf den mächtigsten und merkwürdigsten Mann der Erde wartete, verschwindet spurlos, sobald der Kaiser nach einem mehr als kräftigen Handschlag und herzlicher Begrüßung zu sprechen begonnen hat. Seine Stimme ist männlich, militärisch, er spricht außerordentlich deutlich, ohne eine einzige Silbe zu verschlucken. Er sucht nie nach einem Wort, sondern trifft immer den Nagel auf den Kopf, oft mit sehr kräftigem Ausdruck. Er begleitet seine Rede mit hastigen und ausdrucksvollen Bewegungen des rechten Arms, während der linke in Ruhe bleibt. Seine Rede fließt spannend und interessant dahin. Sie wird oft von blitzschnellen Fragen unterbrochen, die man sich bemühen muß, ebenso schnell und klar zu beantworten, und gelingt einem das, so kann man des Kaisers Zufriedenheit bemerken. Er ist äußerst impulsiv, und seine Rede ist eine Mischung von Ernst und Scherz. Eine kluge Antwort oder eine lustige Anekdote lösen bei ihm ein herzliches Lachen aus, das auch seine Schultern erschüttern kann.

Auf Befehl des Kaisers gingen wir in den Speisesaal. Admiral von Müller saß links, ich rechts von dem hohen Wirt, ihm gegenüber der Generaladjutant von Gontard.

Der Mittagstisch war einfach gedeckt. Der einzige Luxus war die goldene Klingel, die vor dem Kuvert des Kaisers stand, und mit der er klingelte, sobald ein neues Gericht hereingetragen werden sollte. Das Mittagessen war ebenso einfach: Suppe, Fleisch mit Gemüse, Nachspeise und Früchte mit Rotwein. Ich bin selten so hungrig gewesen, als nachdem ich von des Kaisers Tisch aufgestanden war! Nicht wegen der geringen Anzahl der Gerichte, sondern weil niemals eine Pause im Gespräch entstand, bis die Klingel zum letztenmal erscholl, alles sich erhob, und die feldmäßig uniformierten Lakaien unsere Stühle wegrückten. Der Kaiser sprach fast die ganze Zeit mit mir. Er knüpfte an meinen letzten Vortrag in Berlin an, dem er beigewohnt hatte; Tibet, wo ich so unruhige Zeiten erlebte, werde wohl bald das einzige Land auf der Erde sein, das Ruhe habe. Dann sprach er von der Weltlage und den Stürmen, die über Europa hinbrausen. Mich freute besonders, zu hören, mit welcher Achtung und Sympathie sich der Kaiser über Frankreich aussprach. Er beklagte die Notwendigkeit, die ihn gegen seinen Wunsch gezwungen habe, sein Heer gegen die Franzosen zu führen, und er hoffte, daß die Zeit kommen werde, da Deutsche und Franzosen gute Nachbarschaft halten könnten. Auf dieses Ziel habe er sechsundzwanzig Jahre hingearbeitet, und er hoffe, daß eine ganz neue Ordnung der Dinge aus dem gegenwärtigen Krieg hervorgehen werde. Eine Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich werde mit Notwendigkeit ein unerschütterliches Bollwerk für den zukünftigen Frieden schaffen. Erst aber den Sieg über die unübersehbaren Heere, die vier Großmächte gegen Deutschlands Grenzen und die deutschen Besitzungen in fremden Weltteilen werfen, dann ein ehrenvoller und nach allen Seiten hin Sicherheit schaffender Friede und schließlich der große und festgebaute Weltfriede. Vor allem setzt der Kaiser sein Vertrauen in Gott, aber er verläßt sich auch blind auf das deutsche Volk und seine große, herrliche Armee. Er vertraut auf die glänzende Tapferkeit und die Todesverachtung der Soldaten und auf das Offizierkorps, das sie zu Wasser und zu Lande führt.

Wenn die Franzosen eine Ahnung von der wirklichen Denkweise des Kaisers hätten, würden sie ihn ganz anders beurteilen als jetzt. Und niemand wird wohl glauben, daß ich die Verantwortung auf mich nehmen könnte, dem Kaiser andere Urteile in den Mund zu legen als die, die er wirklich gefällt hat und die ich selbst von ihm gehört habe. Das hieße die Gastfreundschaft, die ich an der Front genossen habe, übel lohnen.


Schloß in Stenay, Hauptquartier des deutschen Kronprinzen.

(Vgl. Seite 37.)


Französische Gefangene.


Das zerstörte Dun an der Maas.

(Vgl. Seite 41.)

Auf dem Tisch in der Kanzlei standen Zigarren und Zigaretten und ein brennendes Licht. Hier wurde die Unterhaltung lebhaft fortgesetzt, in Ernst und Scherz, Erzählungen von Kriegsgreueln und lustige Anekdoten wechselten ab, bis der Kaiser sich verabschiedete, mir eine glückliche und lehrreiche Reise wünschte und in seine Zimmer hinaufging, wo gewiß ganze Berge von Papieren und Briefen, Rapporten und Telegrammen ihn erwarteten.

Alles Gerede, daß der Kaiser unter dem Krieg gealtert sei, daß der Krieg mit all seiner Mühe und Unruhe seine Kräfte und seine Gesundheit verzehrt habe, ist Dichtung. Sein Haar ist nicht stärker ergraut als vor dem Krieg, sein Gesicht hat Farbe, und er ist so wenig abgezehrt und mager, daß er im Gegenteil von Leben und Kraft strotzt. Ein Mann von Kaiser Wilhelms Art ist in seinem Element, wenn die Macht der Verhältnisse ihn zwingt, alles was er besitzt und vor allem sich selbst zum Nutzen und zur Ehre seines Reiches einzusetzen.

Ein Volk in Waffen

Подняться наверх