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10. Hinter der Feuerlinie.

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21. September. Frühzeitig wird geweckt, denn um sieben Uhr war Frühstück, bei dem sich alles um den Kronprinzen versammelte. Dann bat mich der Kronprinz, ihn in das Haus des Generalstabs zu begleiten, wo ein »Feldzugsplan« für mich entworfen werden solle. Der General hielt es für das Richtigste, daß ich erst einmal das Artilleriefeuer bei Septsarges sähe. Drei Offiziere erhielten entsprechende Aufträge. Major Matthiaß war Leiter der Fahrt, ein Soldat Automobilführer.

Das Auto ist fertig und wir nehmen Platz. Mit rasender Geschwindigkeit fahren wir nach Süden, und ich will nicht leugnen, daß sich meiner jetzt eine steigende Spannung bemächtigte. Denn das hier war kein Manöver, sondern der Krieg selbst, der größte Krieg, der jemals auf Erden ausgefochten wurde, und wir waren an der Westfront, den Franzosen gegenüber, die mit Recht als die besten Soldaten unter Deutschlands Widersachern angesehen wurden. Von Minute zu Minute näherten wir uns der Feuerlinie, und wenn das Auto an den Kurven die Geschwindigkeit verlangsamte, hörte man die Kanonade immer deutlicher, diese dumpfen schweren Schüsse, von denen die Erde erzitterte. —

Die Straße ist voll von Proviantkolonnen, die nach Süden ziehen, von unzähligen Bagagewagen, die leer nach Norden fahren, um bei irgendeiner Eisenbahnstation neuen Proviant zu holen; von frischen Truppen, jungen, kräftigen Soldaten, die direkt aus Deutschland kommen. Aber fröhlich und guter Dinge sind sie alle; sie singen lustige Soldatenweisen, rauchen ihre Pfeifen und ihre Zigarren, lachen und schwatzen, als zögen sie hinaus zu einem ländlichen Volksfest. In Wirklichkeit aber ziehen sie hinaus, um die Lücken zu füllen, die das Feuer der Franzosen in die Reihen ihrer Kameraden gerissen hat. Sie sind Ersatztruppen, aber ich finde kein einziges Gesicht, das ein Vorgefühl des nahen Todes verrät. Den Kanonendonner hören sie deutlicher als wir, denn das Surren des Automobils übertönt alle anderen Laute. Aber sie scheinen an der dumpfen Musik Gefallen zu finden, und doch ist ihr Platz weit vor den Artilleriestellungen!

Wir rasen durch Dun. Man kann kaum von mehr als einer Straße in dieser kleinen, schön gelegenen Stadt an der Maas reden. Aber wie furchtbar ist sie verwüstet! Ein wehmutsvoller Trost, daß ihre Häuser von der eigenen Artillerie der Franzosen zusammengeschossen wurden, um den Deutschen den Aufenthalt in Dun so ungemütlich wie möglich zu machen. Dun ist jetzt Etappenort mit Etappenkommandantur, Etappenlazarett, Etappenmagazin und großem Lager von Waffen und Munition. Bis hierher reicht die Eisenbahn unter preußischem Betrieb; hier werden auch die Vorräte aus den Eisenbahnwagen umgeladen und vom Troß weiterbefördert.

Nun merkt man, daß wir uns dem Feuer nähern. Die ganze Straße wimmelt von Militär. Hier eine Schar Verwundeter, Kopf, Hand oder Arm verbunden; dort eine Munitionskolonne, eine endlose Reihe Wagen, sie sind voll beladen mit grober Munition, Granaten für die 21-cm-Mörser bei Septsarges und seine Nachbardörfer an der Front. Jedes Gespann von sechs Pferden samt dem zweiteiligen Munitionswagen erfordert sechs Soldaten. Drei reiten auf den linksgehenden Sattelpferden, zwei sitzen auf dem Bock der vorderen Wagenhälfte und einer nach rückwärts gewendet auf der hinteren Wagenhälfte. Sie haben Mauserpistolen links im Gürtel, die Säbel der Reiter sind links am Sattel befestigt. Was tut es, daß die Uniformen der Leute so schmutzig sind wie der Lehm und der Schlamm des Feldes; das ganze Gespann ist doch höchst malerisch mit seinen starken, schweren Geräten, seinen Deichseln, Lederriemen, Seilen und seinem ganzen Geschirr. Ein Reiter singt, ein anderer pfeift, ein dritter schreit ein widerspenstiges Nebenpferd an; hinten auf einem Wagen sitzen ein paar und drehen Zigaretten, bei der rumpelnden Bewegung des Wagens gar nicht so einfach. Zuletzt kommt die Feldküche der Mannschaft mit Proviant und einigen Bündeln Holz. Und immer klingt es in unsern Ohren, dies ewige »Tramp, Tramp«, wenn die Kolonnen vorbeiziehen, ein niemals versiegender Strom von Kriegern, Pferden, Proviant und Munition.

Endlich haben wir die Spitze der großen Kolonne erreicht. Hier reiten ein paar Offiziere, der Kolonnenführer und seine nächsten Leute. Sie grüßen. Kaum haben wir sie verlassen, da sind wir schon am Ende einer neuen Munitionskolonne; ihre Wagen sind mit je drei Soldaten bemannt und von vier Pferden gezogen, von denen nur das vordere linke beritten ist.

An den Straßenseiten fallen zahllose große, tiefe Löcher auf. Hier hat das Feuer ordentlich gehaust. Das sehen wir nur allzu gut, sobald wir wieder an die Maas herunterkommen, da, wo das Dorf Vilosnes so schlimm mitgenommen wurde. Aber mitten in der Verwüstung blüht das Soldatenleben: da halten Proviantkolonnen mit unzähligen Wagen, rasten große Abteilungen von Ersatztruppen, die sich ungeniert auf dem nassen Erdboden rings um ihre Gewehrpyramiden herum ausgestreckt haben, reiten Feldgendarmen in grünen Uniformen und werden die gefallenen Bagagepferde ersetzt, denn in Vilosnes haben die Deutschen ein Pferdedepot eingerichtet.

Nun donnern die Kanonen mächtig, und wir haben nicht mehr weit bis zu den deutschen Batterien. Noch ist keine Gefahr. Die unzähligen Granatlöcher um uns stammen nicht aus den letzten Tagen. Seitdem hier die Granaten fielen, sind die Deutschen weiter vorgerückt. Aber wir sind unmittelbar hinter den Feuerlinien; deshalb häufen sich hier alle Vorräte, die zur Ernährung von Menschen nötig sind, sowie Pferde, Kanonen und Gewehre. Mitten im Schlamm der Äcker, Felder und Wiesen haben die Proviantkolonnen und Feldlazarette ihre Biwaks. Nirgendwo auch nur ein handgroßer Fleck, wo man einen trockenen Schlafplatz für die Nacht herrichten könnte! Vermutlich schlafen die Leute auf den Wagen, soweit der Raum reicht. Abgehärtet und frisch wie sie sind, klagen sie nicht, sie singen nur.

Ein Volk in Waffen

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