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12. Madame Desserrey.

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Es war noch hell, als ich nach Stenay zurückkam. Am Eingang des Schlosses saß der Kronprinz und ruhte sich aus; er war eben vom Tagesdienst zurückgekehrt. Später machte ich noch einen Spaziergang durch die Stadt. Bei den Maasbrücken wurde ich von den Wachtposten angehalten, die mich bestimmt aber höflich aufforderten, meinen Ausweis vorzuzeigen. Es ist ja nicht weiter verwunderlich, daß ich ihnen verdächtig vorkam, da ich ein Skizzenbuch unter dem Arm trug. Bloß einer von ihnen, ein ehrenwerter Landwehrmann, erklärte querköpfig, mein Ausweis sei nicht genügend. »Also der Generalstabschef General Moltke imponiert Ihnen nicht?« »Nein, der Ausweis muß von der fünften Armee abgestempelt sein«, antwortete er. Ein paar Kameraden von ihm retteten die Situation, nachdem sie den Ausweis gelesen und versichert hatten, daß General Moltke ihnen genüge.

Nach einem kurzen Besuch im Lazarett, das in einer französischen Artilleriekaserne eingerichtet war, kehrte ich um und blieb erstaunt am Eingang eines Ladens stehen, in dem Soldaten aus und ein gingen. Da ich hörte, wie ein paar Soldaten verzweifelte Anstrengungen machten, sich mit den Inhaberinnen des Ladens zu verständigen, erbot ich mich zum Dolmetsch. Es war ein Geschäft für Damenartikel, Weißwaren, Schnürleiber, Spitzen, Taschentücher, Strümpfe, Parfüms, Seife und andere nützliche Toilettengegenstände. Die Inhaberin, Frau Desserrey, war seit drei Jahren Witwe und lebte mit ihren drei Kindern und einer Schwester von diesem kleinen Geschäft. Die Soldaten im Laden wollten Hemden kaufen, und Madame Desserrey wollte ihnen begreiflich machen, daß sie ihnen alles, was sie verlangten, nähen wolle, wenn sie ihr den Stoff dazu schafften. Mit diesem Bescheid waren die Soldaten zufrieden, kauften ein paar Schachteln Seife und zogen ihrer Wege. Ich fragte Madame Desserrey, ob der Krieg sie nicht ruiniert habe, doch hatte sie bisher noch keinen Verlust gehabt; sie hoffte, über den Herbst und Winter hinwegzukommen und bald den Krieg beendet zu sehen.

»Und wie finden Sie die deutschen Soldaten?« fragte ich.

»Sie haben mir und den Meinen nicht das geringste getan, sind immer höflich und nehmen sich nichts heraus. Was sie von meinem Lager brauchen konnten, haben sie gekauft und ehrlich bezahlt; ich könnte ein großes Geschäft machen, wenn ich nur neue Waren aus Luxemburg erhielte. Ich und noch drei andere sind die einzigen, die hier ihre Läden offenhalten; alle übrigen haben geschlossen und sind beim Herannahen der Deutschen geflohen.«

Im Laden standen zwei Strickmaschinen, daran saßen die achtzehnjährige Blanche Desserrey und ihre vierzehnjährige Schwester und strickten Strümpfe für die deutschen Soldaten, während ihr elfjähriger Bruder draußen auf der Treppe saß und dem Soldatenleben zusah. Fräulein Blanche war bezaubernd, sah aber leidend aus und hatte einen wehmütigen Zug in ihren schwarzen Augen und einen Hoffnungsanker an ihrer Brosche. Ich fragte sie, ob sie viele Freunde draußen im Krieg habe. Ja, antwortete sie und sie sehne sich nach ihren Freunden, die aus der Stadt geflüchtet seien. »Wie entsetzlich ist nicht dieser Krieg!« rief sie, »welches Unglück für alle!« Dann fragte sie, ob man auch heute an der Front hart kämpfe; sie hatte den Kanonendonner am frühen Morgen gehört. Ja, man kämpfte erbittert, Deutsche und Franzosen, und mancher tapfere und vielversprechende junge Mann starb für sein Vaterland. Fräulein Blanche nähte nicht nur für Soldaten, sie träumte auch die schönsten Träume, und ihr Herz war rein und ohne Falsch; sie war liebenswürdig und konnte obendrein lachen inmitten aller Einquartierungssorgen und beim Strümpfestricken, ja man merkte, daß sie die Freude zu den vergänglichsten Dingen in dieser Welt zählte. Die deutschen Soldaten, die hereinkamen, betrachteten sie mit Interesse und begegneten ihr achtungsvoll. Sie selbst versicherte, sie habe nie Anlaß gehabt, sich über ihr Benehmen zu beklagen; sie ahnte aber nicht, daß sie auch den Stärksten mit einem Blick ihrer Augen entwaffnen konnte.

Ein Volk in Waffen

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