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Kapitel 5 Drúdir
ОглавлениеJede Bewegung war ein Kampf gegen seine vor Panik verkrampften Muskeln. Immer wieder spähte Drúdir zu der Zwergin hinüber. Bereits ihre Aura hatte ihn vermuten lassen, wer ihm da im Gewölbe gegenübersaß – und nun, da er ihr Gesicht gesehen hatte, gab er jede Hoffnung auf, unerkannt geblieben zu sein. Zwar war in der Nacht wenig vom Gesicht des Eindringlings zu erkennen gewesen, aber was er gesehen hatte, deckte sich mit Findras Zügen.
Wäre Drúdir nicht so entsetzt darüber gewesen, dass sie sein Geheimnis kannte, hätte er sie wahrscheinlich sogar attraktiv gefunden. Ihr honigblondes Haar war streng hochgesteckt und verschwand zum Teil unter ihrem schwarzen Hut, aber die Dicke der Flechten ließ vermuten, dass es ihr offen bis zur Taille fallen würde. Ein paar Strähnen hatten sich gelöst und umrahmten in sanften Wellen ein rundes Gesicht. Die weichen Linien der leichten Stupsnase, des Kiefers und der schön geschwungenen Lippen standen im Kontrast zu den markanten Wangenknochen und ihren auffallend dunklen Augenbrauen, unter denen eindringliche, braun-grüne Augen schimmerten. Ihr leicht gebräunter Teint war makellos, und wären die Umstände anders und ihr Blick weniger hart gewesen, hätte Drúdir den weichen Kurven, die sich deutlich unter ihrer Trauerkleidung abzeichneten, wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet.
Im Augenblick jedoch fragte er sich lediglich, was diese hübsche, junge Zwergin mit ihrem verhängnisvollen Wissen anfangen würde. Natürlich … im Grunde genommen hatte sie ihm nichts vorzuwerfen. Aber wenn er noch immer in Fragars Testament erwähnt wurde – was, wie ihm jetzt bewusst wurde, gar nicht so unwahrscheinlich war – machte ihn das zum Verdächtigen. Und da würde das Misstrauen, das seine Gabe weckte, wohl kaum dazu beitragen, seine Situation zu verbessern. Und selbst wenn sich herausstellte, dass er über jeden Verdacht erhaben war: Wenn erst durchsickerte, dass er Magie praktizierte, war nicht nur ein saftiges Bußgeld fällig. Heutzutage nahm niemand das Magieverbot besonders ernst, aber das hieß noch lange nicht, dass diese Kunst in hohem Ansehen stand; im Gegenteil. Sein Ruf wäre ruiniert und das bedeutete viel unter Zwergen. Die Isolation, in der er seit der Entdeckung seiner Andersartigkeit gelebt hatte, wäre zementiert. Ganz zu schweigen davon, dass kaum ein Uhrmachermeister einen Zwerg wie ihn als Partner akzeptieren würde.
„Machen Sie sich keine Sorgen.“ Findra schien seine Gedanken erraten zu haben. „Ihr Geheimnis ist bei mir vorerst sicher. Sie haben mich wahrscheinlich ebenfalls in der Hand.“
„Wie das?“
Statt einer Antwort zog sie nur eine nervöse Grimasse, die wohl ein Lächeln sein sollte, und beschleunigte ihren Schritt. Er folgte ihr und staunte, dass sie sich nicht der nächsten Straßenbahnstation näherten. „Ist der Weg zum Präsidium nicht etwas zu weit zum Laufen?“
„Wir gehen nicht dorthin.“
„Wohin dann?“
„Dahin zum Beispiel.“ Sie deutete auf eine kleine Garküche. „Ich lade Sie ein.“
Drúdir hatte keine Ahnung, wie Zeugenbefragungen normalerweise abliefen, aber er ahnte, dass solche Einladungen nicht zum üblichen Prozedere gehörten.
Wenn es Findras Absicht gewesen war, ihnen eine Gelegenheit zu verschaffen, sich unbelauscht zu unterhalten, hatte sie eine gute Wahl getroffen. Die Preise waren niedrig genug, um zahlreiche Arbeiter aus den nahen Fabriken anzuziehen. Offenbar war gerade eine Schicht zu Ende gegangen und nun beugten sich zahlreiche schäbig gekleidete Zwerge über Schalen mit Eintopf und Spieße mit Fleisch zweifelhafter Herkunft.
In dem vom weichen, gelben Licht weniger Gaslampen erhellten Raum vermengten sich die Gerüche von Bier, deftigem Essen und verschwitzter Körper mit dem Rauch unzähliger Pfeifen zu einem so intensiven Dunst, dass Drúdir staunte, wie wenig Zeit er dennoch brauchte, um sich daran zu gewöhnen.
Mit der sonderbaren Klarheit, die extreme Anspannung manchmal verlieh, registrierte der Zwerg Details wie den anthrazitfarbenen Staub, der sich unter den Fingernägeln und in den Falten der ungesund blassen Gesichter einiger Kunden gesammelt hatte. Wahrscheinlich waren sie für die Weiterverarbeitung und das Umladen der Kohle verantwortlich, die aus den nahen Bergen geliefert wurde. Ihre leisen Unterhaltungen füllten den Raum mit dem Gemurmel tiefer, müder Stimmen. Im Gegensatz zu der mit Fremdwörtern gespickten, überartikulierten Sprechweise der Oberschicht sprachen sie das mit verballhornten hochkiarvanischen Wörtern durchsetzte Zwergisch der unteren Schichten: Lang gezogene Vokale, K-Laute, die zu G, und T-Laute, die zu D wurden, was ihren gedämpften Gesprächen eine sonderbar melodische Qualität verlieh.
Gelegentlich mischte sich eine Stimme in das allgemeine Gemurmel, die so tief und dröhnend war, dass die schweren Bierkrüge auf den Tischen vibrierten. Drúdir wandte den Kopf und sah eine Art grotesk geformten Berg in der dämmrigsten Ecke der Gaststube sitzen: ein Troll. Im Laufe der Zeit hatte es einige der grauhäutigen Hünen in die nördlicheren Städte der Union verschlagen. Nun, zwei Jahrzehnte, nachdem die ersten von ihnen Arbeit in den Fabriken oder auf den riesigen Feldern der Großbauern gefunden hatten, begannen die Zwerge allmählich, sie zu akzeptieren – zumindest die Zwerge, die tagtäglich Seite an Seite mit ihnen schufteten. Diejenigen, für die Drúdir Uhren und filigrane mechanische Kunstwerke anfertigte, sahen selten einen Troll aus der Nähe und legten großen Wert darauf, dass es dabei blieb.
Drúdirs Blick kehrte zu Findra zurück. Sie hatte sich von seiner Seite gelöst und war zum Tresen geschlendert. Sie bewegte sich hier mit einer Selbstverständlichkeit, die in verblüffendem Gegensatz zu der steifen Eleganz ihrer Garderobe stand. Was durchaus Sinn ergab, wenn er bedachte, dass sie für die Nordkroner Polizei arbeitete. Von Töchtern reicher Industrieller oder Adliger wurde nur erwartet, einen angenehmen Anblick zu bieten, sich in jeder Gesellschaft elegant zu bewegen und eine angemessene Ehe einzugehen. Die Zwerge der Mittelschicht bemühten sich, dasselbe zu tun. Eine arbeitende Tochter oder Schwester galt als Eingeständnis finanzieller Probleme. Ausnahmen waren nur statusträchtige Betätigungen wie Wissenschaft oder traditionelle zwergische Kunst. Drúdir fand das lächerlich, aber immerhin waren die Zwerge in solchen Dingen immer noch etwas vernünftiger als die Menschen in den Ländern südlich der Union.
Mit zwei kleinen tönernen Bierkrügen in den Händen kehrte Findra zurück und führte ihn zu einem kleinen Tisch, der in der eisigen Zugluft zwischen der Tür und einem offenen Fenster stand und daher bisher leer geblieben war. Drúdir hatte kein Problem damit. Die Müdigkeit machte sich bei ihm bemerkbar und hinter seinen Augen pulsierte ein feiner, stechender Schmerz. Der belebende, kühle Luftzug, der ihm um die Schläfen strich, war ihm nur recht.
Für einige Sekunden, die sich ins Endlose zu dehnen schienen, saßen sie nur da und sahen einander misstrauisch über ihre Krüge hinweg an. Findra holte tief Luft. Drúdir war sicher, dass sie etwas sagen würde, aber stattdessen beugte sie sich zur Seite und kramte in ihrer geräumigen Umhängetasche. Als ihre kräftigen Hände – sechsfingrig, wie es gerade hier im Norden häufig vorkam – wieder zum Vorschein kamen, waren sie um etwas Metallenes gewölbt, als hielte sie einen verletzten Vogel. Behutsam und ohne Eile holte Findra eine fliegende Lampe nach der anderen aus ihrer Tasche und setzte sie auf den Tisch. Greifbarer Beweis ihrer Begegnung in der letzten Nacht, belastend und zugleich ein Friedensangebot.
„Beinahe traurig, dass sie durchgebrannt sind“, sagte sie.
„Ich kann die Glühbirnen austauschen“, entgegnete Drúdir vorsichtig und widerstand dem Drang, die Lampen in seinen Taschen verschwinden zu lassen. Noch immer war ihm beinahe übel vor Anspannung. Doch etwas an dem Respekt, mit dem Findra diese kleinen Maschinen behandelte, auf deren Konstruktion er so viel Zeit verwendet hatte und deren Verbindung zu ihm im magischen Spektrum als breiter Faden aufschimmerte, nahm ihm ein wenig von seiner Beunruhigung. Ein wenig, wohlgemerkt.
„Ich möchte mich entschuldigen“, sagte sie. „Ich habe Sie in der Nacht … tun sehen, was Sie getan haben, und bin wohl ein wenig in Panik geraten. Ich wusste nicht, wie Sie auf meine Anwesenheit reagieren würden, und bin auf Nummer sicher gegangen. Selbstverständlich hätte ich nur im äußersten Notfall geschossen.“
Natürlich konnte sie es sich leisten, sich großmütig zu entschuldigen, dachte Drúdir grimmig. Sie war es nicht, die am Schauplatz eines Mordes bei einem obskuren magischen Ritual ertappt worden war. Er wusste noch nicht einmal, was für einen schaurigen Anblick er geboten haben mochte, während sich die Magie in Schattenranken um ihn herum manifestierte und Eiskristalle seinen Mantel überzogen. Und hatte er nicht aus dem Augenwinkel zwei geisterhaft bläulich-weiße Punkte gesehen? Waren das etwa seine Augen im Spiegel gewesen? Götter, er konnte froh sein, dass sie nicht sofort geschossen hatte! Angesichts des angsterfüllten Aberglaubens, der Magie im Allgemeinen und jeden Zauber, der mit den Toten zu tun hatte im Besonderen umgab, musste sie eine sehr mutige Frau sein, um sich auf diese Konfrontation mit einem vermeintlich mächtigen Magier einzulassen.
„Ich hätte vermutlich ganz ähnlich reagiert“, gestand er ein, jedoch ohne die abweisende Maske fallen zu lassen, zu der sein Gesicht geworden war. Sie hatte vielleicht seinen Respekt verdient, aber bis auf Weiteres weder Vertrauen noch übermäßige Freundlichkeit. „Wollen Sie mir vielleicht sagen, warum wir hier sind?“, fragte er.
Findra seufzte. „Glauben Sie es oder nicht, aber ich bin wirklich interessiert daran, herauszufinden, warum Fragar sterben musste. Und wenn Sie getan haben, was ich glaube, dass Sie getan haben, geht es Ihnen ganz ähnlich.“
Drúdir beschloss, sie auf die Probe zu stellen. „Was glauben sie denn, was ich getan habe?“
Findra biss sich auf die volle Unterlippe. „Äh … Nekromantie?“ Wahrscheinlich kam sie sich gleichzeitig kühn und lächerlich dabei vor, es auszusprechen.
Drúdir widerstand mühevoll dem Drang, den Kopf auf die zerkratzte Tischplatte zu hämmern. Er hasste dieses Wort. Es weckte vollkommen falsche Vorstellungen … oder gar keine, wenn er in Bezug auf Findra richtig vermutete. Höchstwahrscheinlich ahnte sie, dass sein Zauber etwas mit dem Zwerg zu tun hatte, der an jener Stelle gestorben war und konnte dies mit einem in einem Groschenroman oder schlechten Historiendrama aufgeschnappten Wort in Verbindung bringen. Doch da würden ihre Kenntnisse schon enden.
„Der Begriff bereitet Ihnen Unbehagen“, bemerkte sie.
Drúdir seufzte. „Wenn Sie ‚Nekromant‘ hören, denken Sie wahrscheinlich an einen Verrückten in schwarzer Kutte, der auf Friedhöfen herumschleicht und leise vor sich hin kichert, während er perverse Experimente oder die Ergreifung der Weltherrschaft plant.“
„Und das trifft nicht zu?“ Natürlich wollte sie ihn mit diesen Worten provozieren. Und natürlich schaffte sie es.
„Wenn Sie das glauben, was die Autoren dieser Groschenheftchen Ihnen weismachen wollen, staune ich, dass man Ihnen einen Mordfall übertragen hat“, fauchte er.
Sie hob eine Augenbraue. „Wie sieht die Realität denn aus?“
Wieder stürzten die Erinnerungen an Fragars Tod auf ihn ein. Und die an die Tode seiner Eltern. Und die an den des unbekannten Unfallopfers, dessen Erinnerungen er versehentlich in sich aufgenommen hatte. Und die an die überfahrene Katze. Und natürlich an all die wunderschönen, gefährlichen Ornamente aus Schmerz und Tod, die wie scharfzackige Sterne in der Magie um ihn herum schwebten. Fragar und seine Freunde hatten in ihrer mit unbeholfenem Mitgefühl kaschierten Begeisterung nie begriffen, was Drúdirs Gabe wirklich bedeutete.
„Unangenehm“, sagte er knapp.
Dann brach es aus ihm heraus: „Sie fragen sich, warum ich über das MEMENTO MORI gelacht habe? Weil ich nun wirklich der Letzte bin, der diese Erinnerung braucht. Ich sehe den Tod überall, vor allem, wenn er überraschend und qualvoll kommt. Ich habe Fragars Tod erlebt, als wäre er mein eigener! Falls Sie geschichtlich bewandert sind, kennen Sie vielleicht die eine oder andere Geschichte über die Macht der Nekromanten von einst. Glauben sie sie nicht! Welche Macht auch immer in den Fragmenten ermordeter Seelen liegt: Wer bereit ist, den Preis dafür zu zahlen, ist nicht bei klarem Verstand!“
„Oh …“ Sein Ausbruch ließ sie verblüfft und verlegen zurück, was ihm eine gewisse Befriedigung verschaffte. Natürlich nicht genug, um seine Scham zu überdecken, oder auch nur das Erstaunen über sich selbst. Der nächste Moment der Überraschung folgte auf dem Fuß. Zuerst spiegelte ihr Gesicht Distanz und Ablehnung, aber dann trat auch so etwas wie aufrichtiger Respekt in ihre Augen. „Ich bin beeindruckt, dass Sie das für Fragar auf sich genommen haben.“
„Ich war es ihm schuldig.“
Sie nickte. „Auch ich schulde Fragar etwas.“
„Tun Sie nicht so, als würde er Ihnen etwas bedeuten.“
Nun war sie es, die ihn anfauchte: „Er bedeutet mir genug, um meinen Beruf für ihn zu riskieren. Und wenn Sie irgendetwas über meine Situation wissen würden, wüssten Sie, was das heißt.“
Ihre Feindseligkeit erleichterte Drúdir auf sonderbare Weise. Sie stellte die Distanz wieder her, die er mit seinem Eingeständnis so jäh verringert hatte.
Eine Weile starrten die beiden Zwerge einander mit ausdruckslosen Gesichtern an, dann griff Findra nach ihrem Bierkrug und nahm einen langen Zug. „Haben Sie etwas gesehen, was mir bei den Ermittlungen weiterhelfen könnte?“
Drúdir hob eine Augenbraue. „Mir?“
„Haben Sie etwas gesehen?“ Ihre Stimme war halb ungehalten, halb flehend.
Drúdir seufzte. „Zuviel. Und gleichzeitig kaum etwas Nützliches.“ Es war die Wahrheit – so viel davon, wie er im Augenblick zu teilen bereit war. Es widerstrebte ihm zutiefst, Findra ins Vertrauen zu ziehen, umso mehr, da es hier nicht nur um ihn ging.
Seine Nachforschungen würden ihn tief in das verworrene Beziehungsgeflecht des Netzwerks führen. Und obwohl er viele Standpunkte seiner Mitglieder nicht teilte, wünschte er keinem von ihnen – na schön, fast keinem – den Besuch der nicht gerade für ihr Feingefühl bekannten Nordkroner Polizisten. Zwar war niemand von ihnen je so dumm gewesen, sich beim Praktizieren von Magie ertappen zu lassen, aber zum Netzwerk gehörten auch hochrangige Politiker und Zwerge wie Wisdrin, die es sich nicht leisten konnten, mit Magie in Verbindung gebracht zu werden. Zu lebendig war die Erinnerung daran, wie diese während der präindustriellen Zeit und der Magierkriege missbraucht worden war.
Auch Findra stieß gereizt die Luft aus. „Hören Sie zu, Hexerei ist nicht die Methode meiner Wahl, aber wenn Sie ihren … Zauber schon einmal gewirkt haben, machen Sie das Beste daraus, indem Sie mir erzählen, was Sie gesehen haben. Sie können etwas Gutes bewirken, wenn Sie der Polizei helfen.“
„Als ob irgendjemand die Hilfe eines Nekromanten akzeptieren würde. Sie erinnern sich: Kutten und Gekicher. Viel Spaß dabei, das Ihren Kollegen zu verkaufen.“
„Ich frage nach Ihrer Hilfe – und biete meine an. Und wenn Fragar Ihnen wirklich am Herzen lag – und angesichts dessen, was Sie auf sich genommen haben, um etwas darüber herauszufinden, bin ich davon überzeugt – werden Sie sie annehmen. Sie werden bei all ihren Fähigkeiten nicht weit kommen, ohne die Hilfe von jemandem, der weiß, wie man eine Mordermittlung führt.“
„Sie sprechen auffallend oft nur von sich. Was ist mit der ganzen Nordkroner Polizei, die eigentlich dabei hinter ihnen stehen sollte?“
Findra presste die Lippen zusammen und in ihren Augen glomm Zorn, der sich ausnahmsweise nicht gegen ihn richtete. „Sagen wir es so: Die gesamte Nordkroner Polizei – oder zumindest der Mann, dem sie untersteht – nimmt ihre Pflichten, was diesen speziellen Fall betrifft, nicht sehr ernst.“
„Mit Ausnahme von Ihnen?“
„Genau. Mit Ausnahme von mir, die ich, nebenbei gemerkt, für dieses bisher ziemlich unergiebige Treffen ein verdammt hohes Risiko eingehe.“
„Und genau das verstehe ich nicht. Ich habe gehört, bei Ihnen stapelten sich die Akten ungelöster Fälle. Warum gehen Sie nicht einem von denen nach?“
„Haben sie mir nicht zugehört? Wahrscheinlich bin ich aus irgendeinem Grund besessener von Fragars Tod, als mir guttut, aber es geht hier nicht nur um ihn. Wenn ich herausfinde, warum er gestorben ist, weiß ich auch, was meinen Vorgesetzten – einen bisher als absolut integer bekannten Zwerg – dazu bringt, durch nahezu komplett unterlassene Ermittlungen womöglich einen Mörder davonkommen zu lassen … und mir mit einer Versetzung in ein Kaff an der Grenze zu den Trollländern zu drohen, wenn ich mich weiter damit beschäftige.“
Drúdir beugte sich vor. „Das heißt …“
„Fragar wurde womöglich mit dem Segen von jemandem ganz oben getötet.“
„Aber … warum?“ Drúdir hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, als er den quengeligen Klang seiner Stimme hörte.
Findra zuckte die Achseln. „Das werde ich wohl nie herausfinden, wenn Sie mir nicht verraten, was Sie wissen.“
Drúdirs Schultern sackten nach unten, als er eine Entscheidung traf. Wahrscheinlich war es ihre Isolation, die ihn für sich einnahm, obwohl sich in jedem ihrer Blicke all die Ablehnung und Angst zu spiegeln schienen, die sich die Magier Kiarvas in Jahrhunderten der Gewaltherrschaft erarbeitet hatten. Und der Fakt, dass sie recht hatte. Allein würde er nicht weit kommen. „Ihr arbeitet doch mit den Paranoikern von der Spionageabwehr zusammen, oder?“
Findra biss sich auf die Lippen – diesmal eher verlegen. Die Spionageabwehr der Union hatte ein gewichtiges Problem: Es konnte bei ihr nicht von einer Organisation die Rede sein, sondern vielmehr von unzähligen regionalen Vereinigungen, die einander fast noch mehr misstrauten als den Ausländern, auf die sie eigentlich ein Auge haben sollten. Informationen wurden widerstrebend und unvollständig weitergegeben … oder nur über die Lecks, die sich trotz der Geheimhaltungsbemühungen häuften. Die misstrauischeren Zwerge gingen beinahe alle davon aus, dass es irgendwo noch eine wirklich ernstzunehmende Organisation gab, der die Stümperei der offiziellen Spionageabwehr als Tarnung diente.
„Vor vielleicht fünfzehn Jahren ist ein gewisser Kargan hergekommen und hat hier fünf Jahre lang als Lehrling bei Fragar gearbeitet. Es wäre vielleicht keine schlechte Idee, herauszufinden, ob es eine Akte über ihn gibt.“