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Kapitel 7 Findra

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Es gab keine Akte über Kargan. Ein Fakt, der aufschlussreicher war, als ein ganzer Karton voller Papier es hätte sein können und Findra obendrein die Lektüre unzähliger langweiliger Observationsberichte ersparte. Aber vielleicht hatte die Unlust, die sie bei dem Gedanken überkam, sich durch eine öde Aufzeichnung nach der anderen zu arbeiten, sie etwas übersehen lassen. Langsam ging sie den schmalen Gang zwischen den deckenhohen Schränken zurück und zwang sich, jedes Kürzel auf den Schubfächern zu lesen.

Das Labyrinth der mumifizierten Ängste – oder, weniger poetisch, das Archiv der Spionageabwehr – war ein sonderbarer Ort. Es füllte drei unterirdische Hallen mit Reihen akribisch beschrifteter Schränke, zwischen denen der Staub tanzte. An der Decke pendelten elektrische Lampen im ständigen Luftzug hin und her. Sie tauchten die Gänge mal in stechendes Licht, mal in tiefen Schatten. In den Rohren, die sich wie offenliegende Eingeweide unter der Decke umeinander wanden, sangen und seufzten Wasser und Luft, die in verschiedene Räume des darüber gelegenen Gebäudes transportiert wurden. Unheimlich … als könnten sich die Schubladen jeden Augenblick quietschend öffnen, um eine unbarmherzige Armee von Kriegern aus eng beschriebenem Papier in die Welt zu entlassen, bereit, auf jeden niederzufahren, der es wagte, vom Prozedere der Spionageabwehrbürokratie abzuweichen …

Vielleicht war ihr Führer ja auch einer der Geister dieses Ortes. Naudhiz028 hatte sich ihr mit diesem Codenamen wahrscheinlich in der Hoffnung vorgestellt, gefährlich und mysteriös zu wirken. Tatsächlich wirkte er vor allem leicht angestaubt. Seine Haut war blass und trocken und auch seine wenigen nicht ergrauten Haarsträhnen wirkten in ihrem stumpfen Dunkelblond farblos. Allerdings hatten sich, sobald Findra das Archiv betrat, seine hängenden Schultern gestrafft und der Ausdruck vager Resignation, der seinen Zügen alle Schärfe nahm, war offener Missbilligung über den Eindringling gewichen.

„Haben Sie die Akte Kargan entfernt?“, fragte Findra, ohne sich zu dem Zwerg umzudrehen, der ihr mürrisch über die Schulter spähte.

„Ich weiß nicht, von welcher Akte Sie reden.“

Wahrscheinlich wusste er es wirklich nicht. Bei der schieren Menge der hier gelagerten Akten wäre es ein Wunder, wenn er sich an eine spezifische Akte erinnern könnte. Andererseits: War seine Antwort nicht etwas zu schnell gekommen? Findra bedauerte, dass sie sich nicht die Mühe gemacht hatte, ihm ins Gesicht zu sehen. „Es geht um eine Reihe Observationsberichte über den Zeitraum von 1444 bis zum 1451. Sie betreffen einen Menschen namens Kargan, wahrscheinlich als mittelverdächtig eingestuft. Ich habe alle Schubladen für diesen Zeitraum durchsucht …“

„Das ist mir nicht entgangen“, sagte er spitz. „Ich hoffe, Sie konnten ihre Neugier befriedigen.“

Findra wusste nicht, ob sie ihn für seine mangelnde Kooperation verfluchen oder dafür auslachen wollte, dass er glaubte, irgendetwas an diesen Akten würde ihre Neugier wecken. Stattdessen atmete sie tief ein und aus und drehte sich mit einem breiten Lächeln zu ihm um. „Nun, das konnte ich tatsächlich. Ich bin in einer der Schubladen auf ein zwischen die Akten gerutschtes Einlegeblatt mit der Markierung Menschl.-Obj.-K.-Obs.-23.07.1444-07.03.1451-Hagalaz078-Wiesel? ohne eine dazugehörige Akte gestoßen. Im Verzeichnis befindet sich kein solcher Eintrag. Haben Sie eine Idee, was es damit auf sich haben könnte?“

„Moment mal … Sie haben sich das gesamte Aktenzeichen gemerkt? Sie haben die Schubladen doch allesamt nur kurz durchgesehen.“

Findra zuckte die Achseln. „Können Sie sich einen Reim auf das Fehlen der Akte machen?“

Er schüttelte den Kopf. „Wir werden dem nachgehen und Sie informieren, wenn wir etwas finden. Wir würden Sie bitten, unsere Antwort abzuwarten.“

Aha. Man warf sie hinaus und wollte sie bis zum Erhalt einer offiziellen Antwort – auf die sie wohl ewig warten würde – nicht mehr wiedersehen. Aber das spielte keine Rolle. Findra verließ das Archiv mit weitaus mehr Informationen, als sie es betreten hatte. Natürlich brachten diese sie keinen Schritt näher an die Lösung des Falles Fragar, sondern warfen noch mehr Fragen auf, aber trotzdem war sie froh, hier gewesen zu sein. Was sie Naudhiz028 gegenüber nicht erwähnt hatte, war eine Auffälligkeit des Verzeichnisses, die ihr sofort ins Auge gefallen war. Alle anderen Blätter in dem schmuddeligen Ordner waren abgegriffen und zerknickt gewesen. Mit Ausnahme des Blattes, auf dem die Akte, in der sie die Informationen über Kargan vermutete, verzeichnet hätte sein sollen. Das Papier war makellos, die Tinte nicht annähernd so ausgeblichen, wie sie es angesichts des Datums auf dem oberen Seitenrand hätte sein müssen.

Natürlich konnte es sein, dass man die Seite aus anderen Gründen kopiert hatte, um sie zu bewahren. Aber warum dann nur diese und nicht das kaffeefleckige Blatt fünf Seiten vorher, das kaum noch zu lesen war? Findra konnte nur eines schlussfolgern: Jemandem war daran gelegen, dass Informationen über Kargan nicht allzu leicht zugänglich wurden. Es musste jemand sein, der Einfluss auf zumindest einige Mitarbeiter der Spionageabwehr hatte. Hm, das grenzt es ein, dachte sie sarkastisch. Aber wer auch immer es war, er hatte für sein Geld lausige Arbeit bekommen. Und nun eine wirklich entschlossene Findra am Hals.

Ja, sie war sich bewusst, dass sie womöglich einer falschen Spur folgte. Aber immerhin war es eine. Mit energischen Schritten stapfte sie die Metallgitterwendeltreppe hinauf, einen langen, deprimierenden Flur entlang und schließlich auf die aufschwingende Tür des Gebäudes zu. Der Umriss eines breitschultrigen Zwerges zeichnete sich scharf vor dem einströmenden Sonnenlicht ab. Einen Augenblick später war er eingetreten und Findra konnte sein Gesicht sehen – ein Anblick, bei dem ihr selbst ein wenig die Züge entglitten. Niemand anderes als Baidur, Präsident der Nordkroner Polizei, starrte die Zwergin eisig an, die er soeben dabei ertappt hatte, seinen persönlichen Anweisungen zuwiderzuhandeln.

Baidur war selbst für einen Zwerg ungewöhnlich klein – ein Umstand, der ihm sehr bewusst war. Im Gegensatz zu anderen versuchte er nicht, mit dicken Stiefelsohlen darüber hinwegzutäuschen. Stattdessen hatte er eine Reihe von Gesten und Verhaltensweisen entwickelt, die deutlich machte, dass er nicht duldete, dass irgendjemand auf ihn herabblickte. „Findra, ich hätte Sie nicht hier erwartet“, sagte er kalt. „Ich muss nur ein paar Worte mit … jemandem wechseln. Warum warten Sie nicht auf mich und begleiten mich dann ein Stück, um mir auf dem Weg zu erklären, was Sie hier zu suchen hatten?“ Er wandte sich dem Zwerg von der Spionageabwehr zu. „Führen Sie mich nach hinten, Bildrin.“

Findra hörte ein leises Seufzen hinter sich. Offenbar gefiel es dem Archivar nicht, wenn sein lächerlicher Deckname so demonstrativ ignoriert wurde. Nun, auf ihr Mitleid musste er wohl verzichten. Sie brauchte es für sich selbst.

„Wie Sie meinen“, brachte sie heraus.

Die beiden Zwerge zogen sich zurück. Findra blickte ihnen nach. Bildrin musste sich beeilen, um mit Baidur mitzuhalten, der mit langen Schritten vorausstampfte. In Kombination mit seiner geringen Größe ließen seine breiten Schultern Findras Vorgesetzten beinahe quadratisch wirken. Eine Belagerungsmaschine mit Zylinder …

Für einen Moment verharrte Findra in einer linkischen Haltung, dann ließ sie ihren angehaltenen Atem entweichen und sich an der Wand herabgleiten. Sie zwang sich, das Ganze logisch zu betrachten. Letzten Endes wollte Baidur sie nicht loswerden, er wollte nur, dass sie den Fall Fragar vergaß. Das hieß, wenn sie ihm ihre bisherigen Ergebnisse verschwieg und ihm irgendwie weismachen konnte, dass sie tatsächlich aufgegeben hatte, musste diese Begegnung keine allzu üblen Konsequenzen für ihre Karriere haben.

Findra versuchte, in Gedanken möglichst viele Gesprächsverläufe durchzuspielen, aber es machte sie letztlich nur nervös, ohne ihr irgendwie weiterzuhelfen. Die Zeit zog sich hin. Wahrscheinlich zog Baidur sein Treffen mit wem auch immer absichtlich in die Länge, um sie warten zu lassen. Sie beschloss, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen, und zog ein sorgfältig in einen alten Schal gewickeltes Buch aus ihrem Rucksack.

Findra nahm sich erst einmal einen Moment Zeit, den Geruch des Papiers einzuatmen. Als eines von vielen Kindern einer Familie, die nach der unionweiten Reform der Landwirtschaft gezwungen gewesen war, auf der Suche nach Arbeit nach Nordkrone zu ziehen, hatte sie jahrelang selten mehr als Zeitungen gelesen, die jemand hatte liegen lassen. Die meisten Zwerge der Oberschicht – wahrscheinlich selbst solche wie Drúdir, der immer Zugang zu Fragars Sammlung, der Gildenbibliothek der Uhrmacher und wahrscheinlich sogar Geld für ein paar eigene Bücher gehabt hatte – würden es kaum nachvollziehen können, aber eine von Findras ersten Assoziationen, wenn sie das Wort „Luxus“ hörte, war der Geruch von Papier, Leder und Druckerschwärze.

Findra verwendete kein Lesezeichen, aber sie fand die Seite, auf der sie zu lesen aufgehört hatte, auf Anhieb. Sie vergaß nie eine Seitenzahl. Einen Moment später war sie so in ihre Lektüre vertieft, dass sie die bevorstehende Auseinandersetzung vollkommen vergessen hatte.

Auf Drúdirs Rat hin hatte Findra die „Sprakar-Godwis-Historig-Rúnhalar“ aufgesucht und sich von dem Bibliothekar – einem überheblichen Kerl, der sie mit kaum verhohlener Skepsis angesehen hatte – ein Grundlagenwerk zur Magie ausgeliehen. In den vergangenen Tagen hatte sie die ersten Kapitel trotz des trockenen, theoretischen Stils geradezu verschlungen.

Oh ja, sie verstand die Faszination, die Zauberei auf Fragar und seine Freunde ausgeübt hatte. Aber auch die Ängste all derer, die daran beteiligt gewesen waren, Magie durch Technik zu ersetzen. Eine gewaltige, unerklärliche Macht, die einigen zu Diensten und für andere unsichtbar war … Gewiss konnten unzählige Zwerge ruhiger schlafen, seit sie wussten, dass da draußen keine Magier mehr die Herrschaft für sich forderten. Findra erinnerte sich nur zu gut an Drúdir, wie er auf dem Boden kniete, während um ihn herum Eiskristalle über den Boden wucherten und dieses unirdische, blausilberne Licht in seinen Augen glomm. Sie würde es nicht zugeben, aber dieser Anblick verfolgte sie bis in ihre Träume.

Es war merkwürdig: Jahrelange Berufserfahrung hatte sie gelehrt, selbst hinter den unschuldigsten Fassaden Zwerge zu erwarten, die zu ungeheurer Brutalität und Hinterlist fähig waren. Doch es wollte ihr trotzdem kaum gelingen, die beiden Drúdirs, die sie kennen gelernt hatte – den jungen Uhrmacher, hinter dessen abweisender Haltung sie tiefe Unsicherheit erahnte, und den Hexer aus der Werkstatt – als ein und dieselbe Person zu betrachten. Die Magie, die sie gesehen hatte, war einfach zu fremd. So etwas sollte es nicht geben. Sie konnte mit Magie in der Vergangenheit oder in fernen, exotischen Ländern leben, aber sie in ihr eigenes Leben einbrechen zu sehen, war verstörend. Es hätte sie erleichtert, wenn sie wenigstens eine klare Antwort darauf hätte finden können, was Magie eigentlich war. Wozu sie befähigte, wie man sie maß und – vor allem – was man ihr entgegensetzen konnte. Doch sie war enttäuscht worden. Zwar gab es große Überschneidungen darin, wie verschiedene Magier diese sonderbare Kraft beschrieben, aber ihre Wahrnehmungen waren selten identisch. Es ließ sich nicht klar berechnen, wie mächtig ein Zauber sein würde und welche Faktoren das beeinflussten. Tatsächlich hatte noch niemand eine Erklärung dafür finden können, wie das magische Fadenwerk überhaupt funktionierte und warum einige Geschöpfe es manipulieren und damit mühelos Gesetze der Physik aushebeln konnten.

Wahrscheinlich war es ein Glück, dass ihre eigenen Gedanken sie von der Lektüre abgelenkt hatten, denn so hörte sie Baidur bereits aus weiter Ferne kommen. Sorgfältig verstaute sie das Buch in ihrem Rucksack und richtete sich auf. Nervös glättete sie ihren Rock.

„Gehen wir!“ Der bullige Zwerg hielt kaum inne, um nach seinem schweren Mantel und seinem Hut zu greifen. Er drehte sich nicht nach ihr um. Er wusste, dass sie ihm folgen würde.

Ein eisiger Windstoß fegte ihnen entgegen. Der Regen der letzten Tage war einer klirrenden, trockenen Kälte gewichen. Der Wind drückte den Rauch der Fabrikschlote aus den Außenbezirken in die Straßen der Innenstadt hinab, sodass ganz Nordkrone am Husten und sich Räuspern war.

Findra zog ihren Schal enger und beeilte sich, Baidur zu folgen. „Sie wollten mit mir sprechen?“, fragte sie vorsichtig.

Er nickte grimmig. „Ich kann mich nicht erinnern, Sie in die Archive geschickt zu haben.“

„Ich wusste nicht, dass dazu eine Aufforderung nötig ist.“

„Ist sie auch nicht. Wäre aber vielleicht besser.“

Findra hob eine Augenbraue. Dabei hatte sie gedacht, Baidur würde im Großen und Ganzen Eigeninitiative befürworten und es mit den Hierarchien nicht allzu genau nehmen – natürlich nur, solange niemand seine Autorität in Frage stellte.

Er wies mit einem Daumen über die Schulter. „Da drinnen sind Informationen über das Leben unzähliger Zwerge. Niemand sollte nach Belieben darin herumschnüffeln können.“

Findra kniff angesichts dieser offensichtlichen Scheinheiligkeit die Lippen zusammen. Sie wusste von mehreren hochrangigen Politikern und Polizeioffizieren, die die Spionageabwehr gelegentlich als Privatdetektive missbrauchten, um Geschäftskonkurrenten oder Ehepartner ausspähen zu lassen. Wenn Baidur deren Verhalten missbilligte, dann auf sehr diskrete Weise. Und das, obwohl er es sich hätte leisten können, sie in ihre Schranken zu verweisen.

„Ich hatte gute Gründe.“

„So? Welches Interesse könnten Sie an einem Niemand namens Kargan haben?“

„Er hat mit Fragar korrespondiert. Ich dachte, man könnte vielleicht seine aktuelle Adresse ausfindig machen und ihm telegrafieren. Vielleicht hätte er uns etwas Nützliches über Fragar verraten können.“

„Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt: Der Fall Fragar ist aussichtlos. Konzentrieren Sie sich lieber auf die Fälle, die sie lösen können. Sie helfen niemandem, wenn Sie zu eitel sind, um sich einzugestehen, dass Sie hier nichts bewirken.“

Er blieb so jäh stehen, dass sie beinahe in seinen breiten Rücken hineingerannt wäre, und drehte sich zu ihr um. Sie standen so nahe voreinander, dass sie jedes einzelne Haar seiner buschigen, drohend zusammengezogenen Augenbrauen sehen konnte. „Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt und werde es nicht noch mal wiederholen: Ich gebe Ihnen eine Chance, zu beweisen, dass Sie fähig sind, nicht auf Teufel komm raus Ihren eigenen Kopf durchzusetzen, sondern Ihre verdammte Arbeit zu machen. Wenn Sie das nicht können, sind Sie hier falsch und ich werde Sie irgendwohin schicken, wo Sie keinen Schaden anrichten können.“

Findra hatte gedacht, sie würde eingeschüchtert sein, aber stattdessen ertappte sie sich bei dem Gefühl, dass etwas an seiner donnernden Standpauke nicht ganz stimmig war. Abgesehen von seiner völlig unverhältnismäßigen Reaktion an sich. Baidur sprach, als hätte er sich die Worte zuvor zurechtgelegt und das passte nicht zu ihm. Und er sah ihr nicht in die Augen. Er erinnerte sie an einen Schauspieler, der sich in seiner Rolle nicht wohlfühlte.

Interessant. Wahrscheinlich hatte man ihn eher bedroht als bestochen, sie notfalls hinauszuwerfen, falls sie sich als zu hartnäckig erwies.

Findra starrte ihn wütend an, ließ den Ärger in ihrem Gesicht dann aber langsam einem Ausdruck der Resignation und Scham weichen. „Ja, ich nehme an, Sie haben recht. Ich habe diese ganze Fragar-Sache zu persönlich genommen. Ich war regelrecht besessen.“ Abgesehen von der Vergangenheitsform war sie sogar gar nicht mal so weit von der Wahrheit entfernt – dieser Fall war zutiefst persönlich geworden. „Wahrscheinlich tut es mir gut, etwas Abstand davon zu bekommen“, fügte sie an. Hatte sie zu schnell eingelenkt?

Wenn er nach Anzeichen für Lügen gesucht hätte, wäre Baidur sicher fündig geworden, aber es war ihr Glück, dass er sich in dieser Situation kaum wohler fühlte als sie. Noch vor wenigen Wochen hatte er ihr seiner Hochachtung versichert. Vermutlich hätte er seine Drohung, sie zu entlassen oder zu versetzen, nur ungern wahrgemacht.

„Wahrscheinlich würde Ihnen ein wenig Abstand wirklich guttun“, sagte er. Seine plötzliche Freundlichkeit stand in auffälligem Kontrast zu seinem Ausbruch von gerade eben. „Wissen Sie was: Ich beurlaube Sie. Verschwinden Sie für drei Wochen aus der Stadt.“ Seine Stimme machte deutlich, dass der letzte Teil eher Warnung als Scherz war.

Findra musste ihr verwirrtes Lächeln nicht vortäuschen. „Äh … danke. Ab wann?“

„Ab sofort.“

„In Ordnung …“

Er tippte an seine Hutkrempe und drehte sich ohne ein weiteres Wort um. Ein jäher Windstoß wirbelte ein einsames Herbstblatt, das es irgendwie in die weitgehend baumlose Stadt verschlagen hatte, hinter seiner kompakten Gestalt her, als er in eine Gasse abbog.

Findra blieb stehen. Das verwirrte Lächeln auf ihrem Gesicht verwandelte sich in ein aufrichtiges, als sie in Gedanken den Preis für zwei Zugfahrkarten nach Schwarzspiegel ausrechnete.

Sie mochte Vorbehalte gegen Drúdir haben, aber sie hatte ihm ihr Wort gegeben, ihn in ihre Nachforschungen einzubeziehen. Außerdem hatte sie ohne ihn nicht die geringste Chance, Zugang zu dem sonderbaren – und zutiefst verdächtigen – Netzwerk von Magieinteressierten zu finden, von dem er ihr berichtet hatte.

Drúdir

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