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B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines BetreuersVII. Das Sachverständigengutachten › 2. Qualifikation des Sachverständigen

2. Qualifikation des Sachverständigen

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Das Gesetz macht seit 1.9.2009 erstmals Vorgaben bezüglich der Qualifikation des Sachverständigen. Die Auswahl des Sachverständigen trifft das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Es ist stets eine natürliche Person, kein Institut zu bestellen. Eine formelle Qualifikation schreibt das Gesetz in § 280 FamFG und im Unterbringungsverfahren nach § 321 FamFG vor. Der Sachverständige im Betreuungsverfahren soll Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie (§ 280 Abs. 1 S. 2 FamFG) sein. Ergibt sich seine Qualifikation nicht ohne Weiteres aus der Fachbezeichnung des Arztes, ist diese vom Gericht zu prüfen und in seiner Entscheidung darzulegen.[1]

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Vor dem 1.9.2009, als es nur im Unterbringungs-, nicht aber im Betreuungsverfahren eine Qualifikationsregelung gab, hatte das Bayerische Oberste Landesgericht in einer vielbeachteten Entscheidung bereits Standards für die gerichtliche Gutachtenpraxis, die für den gesamten deutschen Rechtsraum Geltung beanspruchen, entwickelt.[2] Der Leitsatz der Entscheidung lautet wie folgt:

Die Sachkunde zur Erstellung von Gutachten über die Voraussetzung einer Betreuung ist bei Ärzten des höheren öffentlichen Gesundheitsdienstes der Staatlichen Gesundheitsämter in Bayern vom Tatrichter darzulegen.

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Das Gericht stellte fest: Mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens sind regelmäßig nur Nervenärzte, öffentlich bestellte Amtsärzte mit psychiatrischer Vorbildung, auf dem Gebiet der Psychiatrie kundige Klinikärzte und die in Bayern bestellten LG-Ärzte zu beauftragen.[3] Zumindest muss der Sachverständige ein in der Psychiatrie erfahrener Arzt sein.[4] Auf Grund der Spezifika der Ausbildung ist eine Sachkunde auf dem Gebiet der Psychiatrie bei Ärzten des höheren öffentlichen Gesundheitsdienstes nicht per se gegeben. Von ihnen wird lediglich zur Erlangung ihres Amtes der Nachweis einer dreimonatigen Tätigkeit als Arzt in einem Gesundheitsamt, bei einem LG-Arzt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus verlangt. Auf diesem Hintergrund zweifelte das Bayerische Oberste Landesgericht zu Recht die erforderliche Sachkunde dieser Ärzte zur Erstellung eines Betreuungsgutachtens an.

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Will ein Betreuungsrichter gleichwohl das Gutachten eines derartigen Arztes einer Betreuungsanordnung zu Grunde legen, ist dessen Sachkunde im Einzelfall im Beschluss darzulegen.[5] Es entspricht einer weit verbreiteten Praxis, sowohl in Betreuungs- als auch in Unterbringungssachen Berufsanfängern, wie zum Beispiel Assistenzärzten, jungen Stationsärzten, bisweilen sogar Ärzten im Praktikum die Erstellung eines Gutachtens zu überlassen. Das Gutachten eines Assistenzarztes einer psychiatrischen Klinik reicht in der Regel nicht aus. Ein Assistenzarzt befindet sich noch in Ausbildung und verfügt gerade nicht über die erforderliche Facharztqualifikation.[6] Zu den Begutachtungsstandards zählt es, die psychische Krankheit, körperliche, geistige oder seelische Behinderung des Betroffenen konkret fachpsychiatrisch zu bezeichnen. Ferner sind sachverständigenseits die Auswirkungen der Erkrankung auf die kognitiven und voluntativen Fähigkeiten des Betroffenen darzulegen.[7] Wie es im Medizin- und Arzthaftungsrecht dem State of the Art entspricht, müssen auch im Betreuungsrecht die Gutachten dem Facharztstandard entsprechen.

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Die anwaltliche Überprüfung der Betreuungsanordnung auf Verfahrensfehler hat stets die Sachkunde des Sachverständigen einzubeziehen. Man sollte sich also nicht scheuen, danach zu fragen, welche Ausbildung und Berufserfahrung der Sachverständige hat.

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Hinblicklich der Qualifikation eines Sachverständigen in Betreuungs- und Unterbringungssachen lassen sich folgende Grundsätze aufstellen: Bei psychischen Krankheiten und geistigen/seelischen Behinderungen ist grundsätzlich ein Facharzt für Psychiatrie oder ein Facharzt für Neurologie (bis 2003 gab es noch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) zu beauftragen. Das Gutachten eines Assistenzarztes in einer psychiatrischen Klinik reicht in der Regel nicht aus, wenn nicht festgestellt wird, dass er aufgrund eines fortgeschrittenen Ausbildungsstandes die im Einzelfall erforderliche Sachkunde besitzt. Etwas anderes gilt, wenn der stellvertretende Abteilungsarzt des Krankenhauses das Gutachten abzeichnet.[8] Zumindest muss der Sachverständige ein in der Psychiatrie erfahrener Arzt sein. Wird ein Gutachter beauftragt, dessen Sachkunde sich nicht ohne weiteres aus seiner Berufsbezeichnung oder aus der Art seiner Berufstätigkeit ergibt, ist seine Sachkunde – wie oben ausgeführt – in der Entscheidung nachvollziehbar darzulegen.[9]

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Eine gerichtliche Entscheidung ist daraufhin zu überprüfen, ob Ausführungen zur Sachkunde des begutachtenden Arztes, der nicht Facharzt für Neurologie und Psychiatrie ist, getätigt wurden. Ergibt sich die Sachkunde des Gutachters nicht bereits aus der Facharztbezeichnung, so hat das Gericht die erforderliche Qualifikation des Sachverständigen in seiner Entscheidung näher zu begründen.[10]Fehlen hierzu Ausführungen in dem Beschluss, darf das Gutachten in dem Verfahren nicht verwertet werden. Es hat als nicht vorhanden zu gelten.[11]

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Diese muss das Gericht vornehmen, wenn der Sachverständige beispielsweise die Berufsbezeichnung „praktischer Arzt“ führt oder die Funktion eines Assistenzarztes im Krankenhaus hat. Insbesondere im letzteren Fall ist zu überprüfen, ob ein Abteilungsarzt das Gutachten abzeichnete. Im Falle einer Gegenzeichnung ist davon auszugehen, dass der Abteilungsarzt beurteilen kann, ob ein Assistenzarzt die nötige Sachkunde zur Erstellung des Gutachtens besaß. Ansonsten muss sich aus der gerichtlichen Entscheidung ergeben, warum der beauftragte Sachverständige auf dem Fachgebiet der Psychiatrie über die erforderliche Erfahrung verfügt.

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Bei gerichtsbekannten, irreversiblen Krankheiten kann es sinnvoll sein, einen Psychologen, Pädagogen oder Pflegesachverständigen mit der Untersuchung des Ausprägungsgrades der Krankheit zu beauftragen und deren Auswirkung auf die Fähigkeit des Betroffenen zur eigenständigen Wahrnehmung seiner Angelegenheiten.[12]

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Ein Problem der gerichtlichen Gutachteneinholung ist der Zeit- und Kostendruck[13] sowie die Beauftragung so genannter „Hofgutachter“. Bestimmte Sachverständige werden immer und immer wieder mit Gutachten betraut. Die Gutachten werden teilweise mit Hilfe von Textbausteinen aufgeplustert und in Serie erstellt. Im Rahmen einer anwaltlichen Vertretung eines Betroffenen sollte über die Ärztekammer ein Sachverständiger erfragt und zur Begutachtung dem Betreuungsgericht vorgeschlagen werden. Im Zivilprozess handelt es sich hierbei um ein gängiges Verfahren. Die Parteien werden vielfach, beispielsweise im Arzthaftungsprozess vor gerichtlicher Beauftragung eines Sachverständigen gebeten, diesbezüglich Vorschläge zu unterbreiten. Hiervon sollte durch den beauftragten Anwalt zwingend Gebrauch gemacht werden in Ansehung der Relevanz des Sachverständigengutachtens für den Ausgang des Betreuungsverfahrens.

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