Читать книгу Die Gilde der Iris - Sylvani Barthur - Страница 12

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KAPITEL 4

Nachdem Aaron Hazaar mir den ersten Termin zur Nachkontrolle aufgeschrieben hatte, verabschiedete ich mich von ihm.

„Komm gut nach Hause, Elisa. Sei vorsichtig“, sagte er ernst.

Ich nickte ihm zu, verstaute den Zettel und den Briefumschlag für Sara im Rucksack und verließ den Optikerladen. Draußen war es stockdunkel, nur alle paar Meter tropfte kümmerliches Licht von den alten Straßenlaternen auf einen Fleck des nassen Basaltpflasters, der wie ein mickriger Farbklecks anmutete.

Fröstelnd zog ich den Kragen meiner Jacke höher und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Das Pflaster war glitschig und ich ging langsam, um nicht auszurutschen. Es fing an zu nieseln, also zog ich mir die Kapuze über den Kopf. Ich war froh, als ich endlich im Bus nach Hause saß.

Während der Fahrt ging mir noch einmal alles durch den Kopf, was beim Optiker passiert war. Dabei fiel mir auf, dass ich meine Brille im Laden vergessen hatte, und Panik stieg in mir auf.

Was, wenn das mit den Linsen nicht funktionierte? Ich wäre total aufgeschmissen. Als ich anfing, zu hyperventilieren, befahl ich mir, tief durchzuatmen. Im schlimmsten Fall konnte ich morgen nach der Schule die Brille abholen und bis dahin müsste ich eben klarkommen. Außerdem gab es im Moment keine Anzeichen dafür, dass die Linsen Probleme machten.

Ganz konnte ich meine Zweifel allerdings nicht ausschalten. Um mich zu beruhigen, nahm ich den Brief aus der Tasche und las, was in schnörkeliger Schrift auf dem Umschlag stand: „An Frau Sara Walden persönlich.“ Ich drehte ihn um und bemerkte verwundert, dass er mit einem dicken Klecks dunkelroten Siegellack verschlossen war, auf dem etwas eingepresst war. Im Bus war es ziemlich düster, also hielt ich den Brief nah an meine Augen, die mit den neuen Kontaktlinsen jede Kleinigkeit erkennen konnten.

Es war ein Buchstabe, der aussah wie ein H, bei dem der Querstrich von links unten nach rechts oben verlief. Ich nahm an, dass es der Anfangsbuchstabe von Herrn Hazaars Nachnamen war. Dass er seine Briefe versiegelte, wunderte mich nicht, es passte zu ihm und seinem antiken Laden. Aber dass er sich mit Kontaktlinsen auskannte, und dann auch noch mit der neusten Entwicklung, hatte mich etwas stutzig gemacht. Das entsprach so gar nicht dem Bild, das ich von ihm hatte.

Na ja, vielleicht hatte er doch mehr drauf, als ich vermutete. Er war für mich schwer einzuschätzen, obwohl ich mir eine recht gute Menschenkenntnis zutraute. Sara vertraute ihm jedenfalls voll und ganz und das sicher nicht ohne Grund.

Als ich nach Hause kam, war Sara noch nicht zurück, also rief ich sie an, um ihr zu sagen, dass ich wohlbehalten daheim angekommen war. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe sie an ihr Handy ging. Ihre Stimme klang beruhigt, als ich ihr versicherte, dass alles geklappt hatte. Von den Kontaktlinsen erwähnte ich nichts, es würde reichen, es ihr zu sagen, wenn sie nach Hause kam. Sie war im Moment sicher beschäftigt und ich wollte sie nicht bei ihrem dringenden Meeting stören.

Ich legte den Brief auf den Küchentisch und beschloss, mich für das Bett fertigzumachen. Das würde mir die Wartezeit auf Sara, die in etwa einer Stunde nach Hause kommen wollte, etwas verkürzen.

Als ich im Bad am Spiegel vorbeilief, fiel mein Blick auf ein Gesicht, das ich kannte, aber auch wieder nicht. Erstaunt blieb ich stehen. War das wirklich ich?

Bisher kannte ich mich nur mit Brille, denn wenn ich sie absetzte, sah ich nun mal verschwommen. Fotos von mir ohne sie gab es nicht. Das hieß, dass ich mein Gesicht das allererste Mal ohne diese Sehhilfe anschaute – es war sozusagen nackt. Überraschung!

Ich trat näher und bemerkte zuerst die Falten, die sich auf meiner Stirn eingegraben hatten. Als ich meinen Kopf ein wenig nach links und rechts drehte, fiel mir wieder eine Haarsträhne ins Gesicht, die sich aus dem Pferdeschwanz gelöst hatte. Selbst nach zahllosen Friseurbesuchen war es nicht gelungen, meine Haare so zu stylen, dass der Haargummi sie bändigen konnte. Ich strich die Strähne hinter das linke Ohr und ging ganz nah an den Spiegel heran, um meine Augen zu betrachten. Ich wollte sichergehen, dass ich mit den Kontaktlinsen nicht zu freakig aussah, denn morgen in der Schule würden mich alle genau mustern. Zumindest die Clique von Dana. Nicht, dass ich mir groß was daraus machte, aber manchmal gingen mir die Hänseleien schon auf die Nerven, auch wenn ich das nicht zeigen wollte. Kurz tauchte in meinem Kopf der Gedanke auf, wie Kris das finden würde und ob er es überhaupt bemerkte. Ich verscheuchte diesen Gedanken sofort wieder, verärgert über mich selbst.

Meine Augenfarbe war grau, genau wie die von Sara – was wohl ein Zufall war, wir waren ja schließlich nicht verwandt. Doch nun wirkten sie durch die rötlich gefärbten Kontaktlinsen hellbraun. Das war gar nicht mal schlecht, fand ich. Die Augen waren nicht mehr ganz so groß, wie sie durch die Brillengläser aussahen, dominierten allerdings immer noch mein schmales Gesicht mit der zu kleinen Nase und der zu vollen Unterlippe. Na ja, ich fand den Anblick nicht unbedingt furchtbar, aber attraktiv war etwas anderes.

Vom Flur her drangen Geräusche zu mir. Sara musste nach Hause gekommen sein, vor Ablauf der angekündigten Stunde.

„Eli, bist du da?“, rief sie, noch ehe die Haustür ins Schloss fiel.

„Ja, ich bin im Bad.“ Ich verabschiedete mich mit einer Grimasse von meinem Spiegelbild.

Als ich in die Küche kam, stand Sara am Tisch und hielt den Brief in der Hand. Sie war heute schon die zweite Person, die sich scheinbar mit Lichtgeschwindigkeit bewegte.

„Der ist für dich von Herrn Hazaar“, sagte ich und wartete darauf, dass sie die Veränderung in meinem Gesicht bemerkte.

„Aha“, meinte sie abwesend und drehte den Brief um, um ihn zu öffnen. Beim Anblick des Siegels setzte sie sich auf den Stuhl, der neben ihr stand.

„Was ist denn, Mama?“, fragte ich besorgt.

„Ach, nichts, das Meeting war nur sehr anstrengend“, sagte sie ernst. Endlich blickte sie zu mir auf und ich dachte, dass sie jetzt bestimmt irgendwie überrascht sein würde, aber nichts dergleichen.

„Siehst du denn nichts?“, fragte ich ärgerlich. Sie war doch sonst so aufmerksam, wenn es um mich ging, und bemerkte jede Kleinigkeit, was mich manchmal nervte. Ohne mich weiter anzuschauen, öffnete sie den Brief.

„Meine Augen …?“, sagte ich extra deutlich, zeigte demonstrativ mit beiden Fingern darauf und beugte mich sogar zu ihr herunter. „Ich trage Kontaktlinsen und die Augenfarbe hat sich verändert, schau mal.“ Erst jetzt sah sie mich an, doch sie schien nicht erstaunt zu sein.

„Ja, man kann nichts sehen“, murmelte sie vor sich hin.

„Was meinst du denn damit?“

„Ach, nichts.“ Ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung. „Wann sollen wir denn wieder zu Herrn Hazaar?“

„Mittwoch in zwei Wochen.“ Ich kramte in meinem Rucksack, der noch in der Küche stand, und reichte ihr den Terminzettel. „Hier.“

Sie las kurz, was auf dem Papier stand, und nickte. „Okay, den Termin werde ich mir auf jeden Fall freihalten, egal was bei der Arbeit los ist.“ „Wie lief denn dein Meeting?“, fragte ich, aber sie antwortete nicht sofort. Hatte es Probleme gegeben? War sie deshalb so abwesend? „Ging es um was Wichtiges?“

„Ja, schon.“ Sie klang nicht besonders überzeugend. „Na, du weißt ja, dass wir seit Kurzem einen neuen Chef haben und er hat eine total andere Art, die Firma zu leiten. Das ist alles etwas gewöhnungsbedürftig.“ „Ist er denn wenigstens nett?“, fragte ich besorgt. Was sie sagte, hörte sich nicht nach einem liebenswürdigen Boss an.

„Doch, das ist er.“ Sie stand auf und drehte sich weg. „Ich gehe nur schnell ins Bad. Bin gleich wieder da.“

Ob ihr neuer Chef doch nicht so freundlich war? Ich wollte sie nicht weiter fragen, es schien ihr unangenehm zu sein. Als ich nach dem Brief greifen wollte, der eben noch auf dem Tisch gelegen hatte, war er weg. Sara hatte ihn anscheinend mit ins Bad genommen.

„Herr Hazaar hat dir aber gesagt, dass du die Linsen nicht selbst herausnehmen darfst, oder?“, fragte sie mich mit ernster Miene, als sie wieder in die Küche kam.

„Ja, hat er. Warum fragst du?“

„Er hat in dem Brief geschrieben, dass du das auf gar keinen Fall machen darfst. Das würde deinen Augen schaden.“

„Schon klar, ich weiß, Mama. Ich habe sowieso keine Ahnung, wie ich die Dinger rausnehmen und wieder einsetzen soll“, sagte ich kopfschüttelnd. „Ich bin echt froh, wenn er das übernimmt.“

Das schien sie einigermaßen zu beruhigen. Ich berichtete ihr von meinem Besuch bei Herrn Hazaar, hatte aber das Gefühl, dass sie mir nicht richtig zuhörte. Es schien sie noch etwas anderes zu beschäftigten und ich war mir sicher, dass es mit ihrer Arbeit zu tun hatte.

Der nächste Tag war durchwachsen.

Wie ich vermutet hatte, war ich das Gespräch des Tages. Meine Mitschüler überhäuften mich mit einer Menge blöder Bemerkungen, die ich möglichst schnell wieder vergessen wollte. In der großen Pause liefen mir auch noch Kris und ein paar andere Jungs aus seiner Klasse über den Weg. Ich versuchte vergeblich, mich hinter der Tür meines Spindes zu verstecken, aber er hatte mich schon gesehen.

„Hallo Elisa“, rief er, als er näher kam. „Wow, du siehst so anders aus.“ Er trat einen Schritt zurück und musterte mich. „Wo hast du denn deine Brille gelassen?“

Ich schluckte – war das unangenehm! Ich wollte mich einfach umdrehen und weggehen, aber er stellte sich mir in den Weg.

„Ohne Brille siehst du gar nicht so schlecht aus“, sagte er und verschränkte seine Arme vor der Brust.

Ich fand echt ätzend, was er da abzog. Mit zusammengekniffenem Mund funkelte ich ihn an und merkte aus den Augenwinkeln, wie die anderen Jungs grinsten. Das war so peinlich.

„Nicht, dass du vorher nicht hübsch warst, aber so gefällst du mir viel besser“, sagte er einschmeichelnd.

„Danke“, stotterte ich und ärgerte mich sofort darüber. Wenn das ein Kompliment sein sollte, war es nicht bei mir angekommen. Ich fand es nur doof, was er da von sich gegeben hatte, und dann bedankte mich auch noch dafür. Offenbar war ich nicht mehr ganz dicht. So etwas war mir noch nie passiert.

„Ich muss jetzt los“, sagte ich schnell, ehe er mich weiter vollquatschen konnte, und lief mit hochgezogenen Schultern zum Unterrichtsraum, in dem ich gleich Mathe hatte.

In der Mathestunde konnte ich mich kaum konzentrieren, weil mir dauernd die Worte durch den Kopf gingen, die Kris zu mir gesagt hatte. Ich gefiel ihm ohne Brille noch besser als vorher? Hieß das, dass er sich für mich interessierte?

So ein Quatsch, schalt ich mich selbst. Und wieso machte ich mir überhaupt Gedanken darüber?

Als mich der Mathelehrer nach dem Lösungsweg für die Aufgabe fragte, den er an der Tafel erklärt hatte, starrte ich ihn nur wortlos an, was mir gleich wieder blöde Kommentare meiner Mitschüler einbrachte. Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst, aber das funktionierte nicht. Ich hakte das Ganze als weiteren Punkt meiner Liste der Peinlichkeiten ab, von denen ich schon einige gesammelt hatte. Und ich schwor mir, keinerlei Gedanken mehr an Kris zu verschwenden.

Die Gilde der Iris

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