Читать книгу Die Gilde der Iris - Sylvani Barthur - Страница 13

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KAPITEL 5

Ich kam erstaunlich gut mit den Kontaktlinsen klar. Was seltsam war, da es bei mir gewöhnlich eine Weile dauerte, ehe ich mit einer neuen Sache zurechtkam. Ich trug sie heute erst den dritten Tag und vermisste meine Brille überhaupt nicht, weshalb ich die auch nicht wie geplant beim Optiker abgeholt hatte. Meine Mitschüler hatten nach zwei Tagen das Interesse daran verloren, mich zu hänseln. Es war also alles in Ordnung.

Wären da nicht die Träume gewesen, die mich seit zwei Nächten heimsuchten. Beide Male träumte ich von einer Höhle, in der ich auf einen Mann und eine Frau traf, die mir anscheinend unbedingt etwas sagen wollten. Nach dem ersten Mal machte ich mir noch keine Gedanken, aber als sich der Traum in der zweiten Nacht wiederholte, fand ich es seltsam. Es war nicht so wie sonst, dass ich nach dem Aufwachen schon fast alles vergessen hatte. Der Traum verfolgte mich den ganzen Tag und am Abend wusste ich immer noch jedes Detail.

Außerdem machte sich in mir ein eigenartiges Gefühl breit, wenn ich an den Traum dachte. Ich verspürte eine Sehnsucht, die ich nicht einordnen konnte. Es fühlte sich an, als hätte ich irgendetwas gefunden und sofort wieder verloren.

Das alles schwirrte den ganzen Tag über in meinem Geist herum und brachte mich noch mehr durcheinander, als ich es sonst schon war. Der einzige Ort, an dem Ruhe in meinen Kopf einkehrte, war das Gewächshaus. Wenn ich nach den Bäumchen sah und mit ihnen sprach, verlor sich das Chaos in meinem Inneren. Ich erzählte ihnen von meinen Träumen, doch seltsamerweise reagierten sie nicht darauf. Trotzdem gaben sie mir ein Gefühl von Geborgenheit, das mir guttat. Allerdings konnte ich nicht den ganzen Tag dortbleiben, denn es war Februar und frostig kalt und außerdem musste ich ja zur Schule gehen. Also ertrug ich wohl oder übel das Gewirr in meinem Kopf.

Am nächsten Morgen war Samstag und statt vom Wecker, der mich die Woche über aus dem Schlaf riss, erwachte ich von meinem eigenen Aufschrei. Ich schnellte hoch und mein Herz klopfte wie wild. Ich hatte ihn wieder gehabt, diesen Traum, aber zum Schluss war er anders gewesen als die beiden Nächte zuvor.

Vor mir tauchte eine fremde Landschaft auf, wie ich sie nur aus Reiseberichten aus dem Fernsehen kannte. Es gab Berge, herrliche Wälder und riesige Seen, aber alles war in Nebel getaucht. Ich schien darüber hinweg zu fliegen. Nach einer Weile landete ich am Fuß eines teilweise bewaldeten Berges und ging los, bis sich vor mir eine Öffnung im Felsen auftat, durch die ich eintrat.

Es war stockdunkel, aber ich fand mich zurecht und lief einen Tunnel entlang, der stetig bergauf führte, bis ich in eine riesige Höhle kam, die von Fackeln an den Wänden beleuchtet wurde. Auch hier waberte dicker Nebel, sodass ich kaum etwas erkennen konnte.

Dann hörte ich wieder die Stimmen, die mir so seltsam vertraut waren. Der Mann und die Frau sprachen abwechselnd, aber ich verstand sie nicht. In dem hohen Gewölbe schallten Echos durch den Nebel. Alle gesprochenen Worte kamen hundertfach zurück und überlagerten sich so, dass mir die Ohren schmerzten. Ich musste sie mir mit den Händen zuhalten. Die Geräusche prasselten auf mich ein, als würden Felsbrocken von der Decke stürzen. Ich duckte mich auf den Boden und zog den Kopf ein. Plötzlich wurde es dunkel um mich und die Stimmen verhallten. Das Donnern um mich herum verwandelte sich in eine Leere, die regelrecht schmerzte. Ich fühlte mich furchtbar, als hätte man mir etwas weggenommen, und ich weinte lauthals.

Bis dahin war mir der Traum vertraut und normalerweise würde ich jetzt aufwachen, aber heute kam es anders. Der Nebel verfärbte sich rötlich und ein mattes Licht erhellte ihn. In einiger Entfernung tauchten die Silhouetten von zwei unterschiedlich großen Gestalten auf. Ich nahm verzerrte Stimmen wahr, die schnarrend zu mir herüberwehten. Sie klangen anders als die aus den vorherigen Träumen. Plötzlich fing ich ein paar undeutliche Fetzen auf, die mir nichts sagten.

„Du … Kontakt … mir wichtig.“

„… warum muss … nicht gut …“

„… brauche … hörst du … Auskunft … Mutter …“

Die beiden Gestalten kamen näher und ein aufdringlicher, süßlich herber Geruch schwappte zu mir herüber. Ich wollte wegrennen, aber das klappte nicht, denn ich schien am Boden festgeklebt zu sein. Als die Gestalten mich fast erreicht hatten, kribbelte mein ganzer Körper. Ich bekam keine Luft mehr. Dann brach alles ab und ich erwachte schreiend.

Sara wollte ich davon nichts erzählen, sie schien im Moment auch ohne mich genug Probleme zu haben. An diesem Wochenende lief sie ungepflegt durch die Wohnung, was ich gar nicht von ihr kannte. Sie war schon seit Tagen nicht mehr beim Joggen gewesen und am Samstag ging sie nicht ins Fitnessstudio, was sonst immer an der Tagesordnung war.

Sara war sehr sportlich, wodurch sie sich deutlich von mir unterschied. Tatsächlich war das eines der wenigen Dinge, woran ich definitiv erkennen konnte, dass ich nicht mit ihr verwandt war. Sie gab sich große Mühe, mich dafür zu begeistern, aber ohne Erfolg. Ich hätte mir lieber die Hände gebügelt, als mich stundenlang sinnlos mit irgendeiner Sportart abzuquälen.

Nicht, dass ich körperlich nicht dazu in der Lage gewesen wäre, die schweren Keramiktöpfe meiner Baumzöglinge schleppte ich mit links. Mir war es einfach zu öde und langweilig, für nichts herumzurennen oder Gewichte zu stemmen. Da konnte ich meine Zeit sinnvoller verbringen.

„Elisa?“, rief mich Sara, als ich Sonntagnachmittag auf der Couch in das Druiden-Buch vertieft war. Die Szenerie darin erinnerte mich an meine Träume und ich hatte ganz kurz dieses Gefühl der Sehnsucht.

„Ja, Mama?“, fragte ich, nachdem ich mühevoll aus der Welt des Buches gelöst hatte.

„Kommst du bitte?“

Sie hatte sich schon eine Weile in der Küche zu schaffen gemacht, um die Schränke aufzuräumen. Nicht, dass es nötig gewesen wäre, bei uns herrschte peinliche Ordnung, aber sie schien sich ablenken zu müssen – von was auch immer.

„Wir müssen reden.“ Ihre Stimme klang irgendwie hilflos. Das kannte ich gar nicht von ihr. Ich sprang auf und war Null Komma nix in der Küche.

„Setzt du dich zu mir?“ Sie schob mir eine Tasse Kakao hin und rührte gedankenversunken in ihrem Kaffee. Ich setzte mich wortlos und schlürfte vorsichtig den dampfenden Kakao.

„Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll“, meinte sie mit einem gequälten Gesichtsausdruck.

„Sag doch einfach, was los ist, Mama. Ich merke doch schon die ganze Zeit, dass mit dir was nicht stimmt.“

„Ich habe da jemanden kennengelernt“, sagte sie über ihre Kaffeetasse gebeugt. „Und ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll.“

Mir fiel erst einmal die Kinnlade herunter. Super, bekam ich jetzt einen Vater vorgesetzt? Das war so ziemlich das Letzte, was ich wollte. Wir kamen problemlos allein zurecht. Außerdem hatte ich nie einen Gedanken daran verschwendet, dass Sara so etwas wie ein Liebesleben haben könnte.

„Ich glaube, da fragst du die Falsche.“ Ich schaute demonstrativ in die andere Richtung. „Von solchen Dingen habe ich echt keine Ahnung und will es auch nicht.“

Ich wollte sie nicht verletzen, aber mir gingen in Millisekunden Bilder durch den Kopf, die sie händchenhaltend mit einem Typen zeigten und mich, wie ich komplett abgeschrieben daneben stand.

„Ich wollte ja auch nicht direkt einen Rat von dir“, meinte sie sichtlich getroffen. „Ich würde nur gerne wissen, ob du damit klarkommen würdest.“

Nein, damit kam ich überhaupt nicht klar. Doch das sagte ich ihr nicht, denn sie tat mir leid. Sie saß da wie ein Häufchen Elend.

Ich sollte mehr Verständnis zeigen, redete ich mir ein. Schließlich musste sie mich nicht fragen, war sie alt genug, um allein zu entscheiden.

„Na ja, ich denke schon, dass ich damit klarkomme, wenn der Typ nicht gerade ein Ekelpaket ist.“ Ich zuckte versöhnlich mit den Schultern.

Ihre Miene hellte sich auf. „Nein, er ist wirklich sehr nett. Ich glaube, du wirst ihn mögen.“

Mal sehen. Ich bekam Bauchschmerzen. „Kenne ich ihn vielleicht?“, fragte ich und steckte die Haarsträhne hinter das Ohr, die mir vorwitzigerweise ins Gesicht gefallen war.

„Nein, nicht direkt, aber ich habe dir schon von ihm erzählt“, sagte sie schmunzelnd. Mir schwante etwas und mein Verdacht bestätigte sich sogleich: „Es ist mein neuer Chef. Er heißt Erik und stammt ursprünglich aus Norwegen.“

Was für ein Zufall. Das konnte ja nicht wahr sein! Jetzt verstand ich, was es mit dem wichtigen Meeting auf sich gehabt hatte, als ich den Termin bei Herrn Hazaar hatte. Deshalb war sie nicht mitgekommen. Kaum hatte sie diesen Typ kennengelernt, spielte er schon die erste Geige.

In mir kochte es.

„Und? Was denkst du?“.

„Keine Ahnung“, sagte ich trotzig. „Du solltest dich nicht um mich kümmern.“ Ich versuchte, meinen Zorn zu unterdrücken. „Du musst ja mit ihm zurechtkommen und wenn du damit glücklich bist, ist es in Ordnung.“ Jetzt hatte ich genau das Gegenteil von dem gesagt, was ich dachte, denn natürlich passte es mir überhaupt nicht, was sie mir hier eröffnete. Das hatte ich nur ihr zuliebe getan, verzieh ich mir die Lüge.

„Okay“, meinte sie lächelnd. „Da bin ich ja beruhigt.“

Zum Glück hatte sie den unterschwelligen Ton in meiner Stimme nicht bemerkt. Offenbar fiel ihr ein riesiger Felsbrocken vom Herzen und den Rest des Tages redeten wir nicht mehr darüber.

Als es Abend war, war ich gespannt, ob der Traum wiederkommen würde.

Er kam wieder, mit voller Wucht. Letzte Nacht hatte sich der Nebel noch ein Stück weiter gelichtet, und als ich dieses Mal die riesige Höhle betrat, war er komplett verschwunden. Vor mir sah ich deutlich zwei Menschen, einen Mann und eine Frau. Beide waren um die vierzig, schätzte ich, und sie trugen lange bräunliche Umhänge mit Kapuze, die mich an Filme aus dem Mittelalter erinnerten. Die Frau hatte goldblonde lange Locken und der Kinnbart und die kurzen Haare des Mannes waren braun.

Beide lächelten mich an und die grauen Augen des Mannes strahlten. Die Augen der Frau konnte ich nicht erkennen und mich durchzuckte ein grausiger Schrecken, als ich den Grund dafür verstand: Dort, wo sie sein sollten, verunstaltete dunkelbraunes Narbengeflecht ihr hübsches Gesicht. So etwas hatte ich schon einmal bei Brandopfern gesehen und ich erschauerte, als ich mir vorstellte, welche Qualen sie hatte erleiden müssen, als diese Narben entstanden waren.

„Eli, mein Kind“, sagte die Frau mit einer weichen Stimme. „Endlich können wir mit dir reden.“

Ich hatte das Gefühl, dass sie mir direkt in die Augen sah, obwohl das nicht sein konnte.

„Mein Mädchen“, meinte der Mann liebevoll. „Jetzt können wir dir alles sagen.“

Ich hörte zwar ihre Worte, begriff aber nichts davon. Mein Verstand weigerte sich, das Gehörte zu erfassen. Als ich keine Regung zeigte, warf der Mann der Frau einen vielsagenden Blick zu und sie nickte.

Wie konnte sie das nur sehen? Die beiden wandten sich wieder zu mir und kamen auf mich zu.

„Elisa“, sagte die Frau und griff nach meiner Hand. „Wir sind es, deine Eltern.“

In mir explodierte ein Feuerwerk der verschiedensten Gefühle – alle auf einmal. Angst, Wut, Liebe, Traurigkeit und Zweifel. Die Frau hatte das gesagt, was ich schon die ganze Zeit über in meinem tiefsten Inneren gewusst hatte. Doch wie war das möglich?

Ich schüttelte verstört den Kopf. „Das kann gar nicht sein.“ Der Teil von mir, der im Moment die Oberhand hatte, wehrte sich gegen diesen abenteuerlichen Gedanken.

„Doch es stimmt, Elisa“, sagte der Mann. „Du musst uns glauben, bitte.“

„Wir würden dir gerne alles erklären, aber wir haben nicht genug Zeit. Du musst uns vertrauen, es ist unheimlich wichtig“, sagte die Frau und drückte sanft meine Hand.

Ihre Berührung tat mir gut, es fühlte sich alles so richtig an. Der Teil von mir, der sich eben noch gegen den Gedanken gewehrt hatte, schmolz ganz langsam dahin.

„Wir werden dir jetzt etwas sagen, das du sicher erst einmal nicht glauben wirst, aber es ist von enormer Bedeutung. Nicht nur für dich und uns, Elisa. Es stehen unzählige Leben auf dem Spiel“, sagte mein vermeintlicher Vater.

„Schreckliche Naturkatastrophen werden die Erde heimsuchen und es könnten noch furchtbarere Dinge auf der Welt passieren. Du bist die Einzige, die in der Lage ist, das aufzuhalten“, sagte die Frau.

Nein, das konnte ich nicht glauben. Da verlangten sie zu viel von mir. Erst sollte ich sie als meine Eltern akzeptieren, von denen ich dachte, dass sie tot waren, und jetzt hing plötzlich das Leben anderer Menschen von mir ab? Ich fühlte, wie ich zitterte und mir das Blut aus dem Gesicht wich.

„Geht es dir gut, Eli?“, fragte die Frau besorgt und strich mir liebevoll über die Wange. „Ich weiß, das ist alles ein bisschen viel auf einmal. Wir müssen dir jetzt einiges zumuten. Das Leben vieler Menschen, vielleicht sogar der ganzen Menschheit, ist in Gefahr, und du musst verstehen, dass es deine Aufgabe ist, sie zu retten. Nur du allein kannst das tun, glaube mir.“

Ich entzog ihr meine Hand. Was sie sagte, konnte ich einfach nicht annehmen. Erlaubte sich da jemand einen schlechten Scherz mit mir? Wenn ja, dann war das eine der schlimmsten Gemeinheiten, die ich je erlebt hatte. Und ich hatte schon einiges einstecken müssen. Das hier ging tiefer: Sie spielten mit meinen Gefühlen und ich war total durch den Wind. Ich weigerte mich, da mitzumachen. Wenn ich mich jetzt darauf einließ und es wäre alles nur Schwindel, würden sie mich in meinem Innersten verletzen, früher oder später.

„Nein, ich glaube euch nicht.“ Meine Stimme überschlug sich. „Ich bin niemand, der die Welt retten kann, und ihr seid nicht meine Eltern. Das ist alles gelogen.“

Ich ging rückwärts und die beiden folgten mir zögernd.

„Eli, bitte …“, sagte der Mann flehend.

„Du musst uns glauben.“ Die Frau kam beschwörend auf mich zu und versuchte, erneut meine Hand zu greifen. „Wir lieben dich, Elisa.“

Ich musste sofort hier weg, also drehte ich mich um und rannte aus der Höhle. Plötzlich umwallte mich wieder der Nebel und im nächsten Moment saß ich schreiend im Bett.

Mein Herz schlug rasend schnell und ich atmete keuchend, so als hätte ich einen Marathon hinter mir. Es hatte sich alles so wirklich angefühlt. Alles war unglaublich deutlich und beängstigend. Aber es war trotzdem nur ein Traum.

Es war vier Uhr morgens und ich konnte nicht mehr einschlafen. In zwei Stunden musste ich sowieso aufstehen, denn es war Montag. Also las ich weiter in dem Druiden-Buch, um mich abzulenken, was auch einigermaßen klappte. Trotzdem verfolgten mich die Ereignisse aus dem Traum den ganzen Tag.

Die Gilde der Iris

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