Читать книгу Die Gilde der Iris - Sylvani Barthur - Страница 16

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KAPITEL 8

Als der Wecker klingelte, schreckte ich hoch. Es kam mir so vor, als wäre ich gerade erst eingeschlafen und ich fühlte mich wie gerädert. Mein Mund war trocken und es kratzte im Hals. Ich setzte mich im Bett auf und bekam prompt einen Hustenanfall.

Sara kam ins Zimmer und schaute mich besorgt an. „Elisa, du siehst ja furchtbar aus. Geht es dir nicht gut?“

„Ich glaube, ich werde krank“, sagte ich schwach.

Sara fühlte meine Stirn. „Könnte sein, dass du Fieber hast. Du scheinst etwas auszubrüten.“

Ich überlegte, ob ich ihr von dem neuen Traum erzählen sollte, entschied mich aber dagegen, als sie genervt stöhnte.

„Das passt ja super, wo Erik und sein Sohn heute zum Abendessen kommen.“ Sie schüttelte den Kopf und eine steile Falte grub sich in ihre Stirn.

Sara dachte womöglich, dass ich irgendetwas angestellt hatte, um krank zu werden, damit ich mich vor dem Essen drücken konnte. Das war auch gar nicht so abwegig, nachdem ich gestern derart ablehnend auf ihre Ankündigung reagiert hatte. Ich schaute zu ihr auf. Tränen standen in ihren Augen. Das hatte ich nicht gewollt, auch wenn ich es doof fand, dass sie einen Freund hatte.

„Ich glaube, ich bleibe lieber im Bett, dann bin ich bestimmt heute Abend wieder fit“, sagte ich und versuchte, sie glaubhaft anzulächeln. „Es ist nicht schlimm, wenn ich mal einen Tag in der Schule fehle. Heute steht sowieso nichts Besonderes an.“

Sie schaute mich skeptisch an, doch dann nickte sie. „Ich denke, du hast recht, Eli. So gut wie du in der Schule bist, kannst du dir mal einen Fehltag erlauben. Und es bringt ja nichts, wenn du krank im Unterricht sitzt. Da bekommst du sowieso nicht viel mit.“

Puh … geschafft. Sonst war Sara sehr eigen beim Thema Schule und Fehlen. Aber mir ging es wirklich nicht gut, außerdem hatte mich dieser Traum total geschlaucht und ich brauchte dringend eine Auszeit, um meine Gedanken zu ordnen. Und dann musste ich mir auch noch überlegen, wie ich nach Volda kommen konnte, wo immer das lag. Nun hatte ich den ganzen Tag Zeit, mich schlauzumachen.

Mir fiel ein, dass mir meine Eltern aufgetragen hatten, Sara zu informieren, kurz bevor sie verschwanden. Sie hatten gesagt, dass sie Bescheid wusste. Doch ich war noch zu verwirrt von all dem, was ich erfahren hatte. Wenn ich klarer sah, würde ich ihr alles erzählen. Vielleicht, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kam.

„Hast du noch irgendetwas auf dem Herzen, Eli?“, fragte sie mit einem Unterton, der mich kurz aufhorchen ließ.

„Was meinst du denn, Sara?“

Sofort durchfuhr mich ein Schreck. Hatte ich das jetzt wirklich laut gesagt? Sonst nannte ich Sara doch immer „Mama“ – dass ich das in Gedanken seit der Nachricht meiner Adoption nicht mehr konnte, wusste sie nicht.

Sie erstarrte für einen Augenblick, ehe sie weitersprach: „Ach, nichts Bestimmtes.“ Damit winkte sie ab und gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich gehe dann mal zur Arbeit. Du kommst allein zurecht?“ In ihrer Stimme lag ein trauriger Unterton.

Meine Güte, das hatte ich nicht gewollt! Aber nun war es raus.

„Ja, klar. Ich werde einfach schlafen. Dann geht es mir sicher bald besser“, sagte ich und konnte sie dabei nicht anschauen.

„Okay“, meinte sie, ehe sie das Zimmer verließ. „Ruf mich an, wenn was ist, ja?“

„Mach ich“, sagte ich und zog mir demonstrativ die Decke bis zum Hals.

Sara machte sich wirklich Sorgen. Ich konnte spüren, dass sie mich sehr gern hatte, aber trotzdem hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlte. Hatte ich deshalb instinktiv nicht mehr „Mama“ zu ihr gesagt? Ob das, was mir fehlte, etwas war, das mir womöglich nur meine leiblichen Eltern geben konnten? Nun, wenn ich sie bald traf, würde ich das herausfinden …

Mit diesem Gedanken schlief ich ein und erwachte erst kurz vor Mittag aus einem traumlosen Schlaf. Jetzt ging es mir wirklich besser. Als mein Magen laut knurrte, beschloss ich, mir etwas zu essen zu machen. Im Kühlschrank stand eine Schüssel mit Kichererbsensalat, den mochte ich besonders gerne.

Der Anblick erinnerte mich daran, dass Erik und sein Sohn heute zum Essen kamen und bei dem Gedanken schüttelte es mich. Ruhig bleiben, befahl ich mir. Es würde schon nicht so schlimm werden.

Jetzt fehlte nur noch mein geliebtes Knäckebrot, doch ich fand es nicht dort, wo es immer lag. Als Sara vor ein paar Tagen die Küchenschränke aufgeräumt hatte, musste sie einige Dinge woanders verstaut haben. Ich ging auf die Suche und entdeckte in einem der obersten Fächer etwas, das dort nicht hingehörte: Den Brief, den mir Herr Hazaar für Sara mitgegeben hatte. Sie hatte ihn nach dem Lesen sofort eingesteckt und seitdem hatte ich ihn nicht mehr gesehen.

Neugierig geworden, nahm ich mein Essen und den Brief und setzte mich im Wohnzimmer gemütlich auf die Couch. Beim Überfliegen der Zeilen fiel mir der Löffel in die Schüssel. Was dort stand, war unglaublich! Rasch stellte ich mein Essen weg und las angestrengt noch einmal von vorne.

Hallo Sara,

was wir immer vermutet haben, hat begonnen. Es ist noch nicht sehr auffällig, aber ich habe Elisa zur Sicherheit die speziellen Linsen angepasst. Wir werden es regelmäßig kontrollieren.

Du musst unbedingt dafür sorgen, dass sie die Linsen nicht herausnimmt. Es hätte verheerende Folgen, wenn sie es zu früh entdeckt. Ich gebe sofort der Gilde Bescheid.

Richte dich bitte darauf ein, dass wir bald die Reise antreten werden, und zum nächsten Kontrolltermin musst du unbedingt mitkommen, egal, was ist.

Bis dahin viele Grüße und gib auf unsere Hüterin acht!

Ich las ihn noch zwei, drei Mal, ohne recht zu verstehen, was dort stand. Eins war allerdings klar: Sara und Aaron Hazaar kannten sich besser, als sie vorgaben und sie wussten etwas über mich, das sie mir verschwiegen hatten. Die beiden hatten mich bewusst angelogen, was meine Augen betraf.

Was war damit los? Und was hatten sie noch für Geheimnisse? Was meinten sie mit „unsere Hüterin“? Sollte ich das sein? Mir schwirrte der Kopf.

Also machte ich das, was ich immer tat, wenn meine Gedanken verrückt spielten oder ich mich nicht gut fühlte. Nachdem ich mich angezogen hatte, lief ich mit dem Brief in den Garten zum Gewächshaus. Ich begrüßte meine Bäumchen nur kurz, denn im Geiste war ich immer noch bei dem Brief, in dem so unglaubliche Dinge standen.

Die Sonne schien durch die sauberen Glasscheiben und ich setzte mich auf den kleinen Hocker in der Ecke. Wieder nahm ich den Brief und las ihn laut vor. Dabei hatte ich das Gefühl, dass sich die Zweige der Bäumchen zu mir neigten und wenn ich die Augen schloss, fühlte ich, wie sie mich liebevoll streichelten. Langsam beruhigte ich mich, aber der Sinn von dem, was hier geschrieben stand, erschloss sich mir trotzdem nicht.

Um mich abzulenken, nahm ich die kleine Schaufel, lockerte vorsichtig die Erde in den Töpfen und strich dabei jedem Bäumchen zart über die Zweige. In meinem Inneren erklangen glockenhelle Stimmchen, die mich beruhigten. Sie ließen mich spüren, dass ich keine Angst zu haben brauchte und dass sich bald alles aufklären würde. So seltsam das klang, half es mir irgendwie und es ging mir gleich besser.

Beim Blick auf die Uhr erschrak ich. Hatte ich wirklich so viel Zeit im Gewächshaus verbracht? Es war fast fünf Uhr und Sara würde jeden Augenblick nach Hause kommen. Ich verabschiedete mich von meinen Freunden und lief wieder in die Wohnung. Den Brief legte ich nicht zurück, denn ich wollte Sara sofort darauf ansprechen, wenn sie heimkam. Ich musste endlich Gewissheit haben, was hier los war.

Nervös tigerte ich zwischen Flur und Küche hin und her, als die Haustür aufgeschlossen wurde. Als Sara eintrat und mich mit dem Brief in der Hand im Flur stehen sah, wurde sie kreidebleich.

„Würdest du mir freundlicherweise erklären, was das zu bedeuten hat?“ Ich wedelte mit dem Papier.

„Ja, das kann ich“, sagte sie nach einer Schrecksekunde und kam zu mir, um mich in den Arm zu nehmen. Ich war nicht begeistert davon und drehte mich weg. „Komm, setz dich zu mir.“ Sie wies auf einen Küchenstuhl. „Ich glaube, es wird Zeit, dir einiges zu erzählen.“

„Das glaube ich auch“, sagte ich wütend. Jetzt war ich sicher, dass ich Sara nicht mehr Mama nennen würde, nie mehr. Ich setzte mich widerwillig und Sara begann zu erklären.

„Es hat mit dem zu tun, was du vor Kurzem geträumt hast, Eli. Du bist jemand ganz Besonderes und wir versuchen seit Jahren, dich vor denen zu beschützen, die dich dazu benutzen wollen, etwas sehr Schlimmes zu tun.“

„Wer soll das denn sein?“, fragte ich. „Und wer ist wir?“ Aufgeregt steckte ich mir die Haarsträhne hinters Ohr. Das hier klang, als würde ich nun endlich mehr erfahren.

„Unsere Feinde sind die Leute vom Lacerta-Clan. Und wir, das sind die Mitglieder der Gilde der Iris, einem uralten Geheimbund. Auch Aaron Hazaar und deine Eltern gehören dazu.“

Diese Begriffe sagten mir überhaupt nichts und irgendwie blieb nur der Teil der Erklärung hängen, in dem sie von meinen Eltern sprach. Wenn sie nach wie vor dazugehörten, bedeutete das wohl, dass sie noch lebten. Eine unbeschreibliche Freude breitete sich wie eine warme Welle in meinem Inneren aus, die aber sofort von einer eiskalten Wand aus Wut eingedämmt wurde.

Das hieß doch, dass sie mich jahrelang belogen hatte!

„Die Feinde der Gilde wollen dich dazu benutzen, das Tor in eine andere Welt zu öffnen. Das würde unsere Erde vernichten, also müssen wir es um jeden Preis verhindern.“

„Aber wie soll das denn gehen? Wie wollen diese Leute mich benutzen?“, fragte ich.

„Nur ganz wenige Menschen haben die Gabe, das Weltentor zu öffnen. Deine Mutter konnte das, bis sie bei einem Anschlag des Lacerta-Clans ihr Augenlicht verlor. Ob du die gleiche Gabe hast, wussten wir damals nicht. Deshalb haben wir dich im Verborgenen aufwachsen lassen, bis die Zeit gekommen war, es herauszufinden. Und nun hat sich gezeigt, dass die Gabe sehr wohl an dich vererbt wurde.“

Das waren so viele unglaubliche Informationen, dass ich kein Wort herausbrachte. Dabei brannten mir unzählige Fragen auf der Seele.

Sara schien zu spüren, dass ich fassungslos war, aber sie fuhr dennoch fort. „Diese Gabe hat etwas mit deinen Augen zu tun. Wie es genau funktioniert, können dir deine Eltern erklären, wenn wir sie aufsuchen. Das hat Herr Hazaar gemeint, als er in dem Brief geschrieben hat, dass wir uns auf eine Reise vorbereiten sollen.“

Das war das Stichwort für mich. Plötzlich kam meine Stimme zurück. „Ich habe heute Nacht wieder von ihnen geträumt. Sie haben mir aufgetragen, dir zu sagen, dass wir so schnell es geht nach Volda kommen sollen. Sie sagten mir auch, dass du Bescheid wüsstest.“

Sara schien nicht überrascht, als ich ihr das erzählte. „Ich war gestern Abend noch bei Aaron“, erklärte sie. „Er meinte, wenn deine Träume klarer werden, müssen wir uns auf den Weg machen. Volda liegt an der Westküste Norwegens, in der Nähe des Geirangerfjords. Aber im Moment gibt es große Probleme, überhaupt irgendwo hinzukommen. Vorhin haben sie in den Nachrichten gesagt, dass wegen der Naturkatastrophen fast überall auf der Welt der Flugverkehr eingestellt worden ist und dass keine Schiffe mehr fahren.“

„Und wie sollen wir dann nach Volda kommen?“, fragte ich fassungslos. Das war ja furchtbar!

Die Gilde der Iris

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