Читать книгу Die Gilde der Iris - Sylvani Barthur - Страница 17

Оглавление

KAPITEL 9

Die Türklingel riss uns abrupt aus dem Gespräch und wir zuckten beide erschrocken zusammen.

„Verdammt, ich habe Erik total vergessen.“ Sara blickte gehetzt zwischen Küche und Haustür hin und her, als könnte sie sich nicht entscheiden, was sie zuerst tun sollte.

„Geh dich umziehen“, sagte ich.

Ich unterdrückte den Impuls, etwas ganz anderes zu sagen: Wie unerträglich ich es fand, dass sie mich so viele Jahre angelogen hatte. Nicht nur wegen der Adoption. Ich meine, sie hatte mich in dem Glauben gelassen, meine Eltern seien tot, hatte mich mit meinen Schuldgefühlen und meiner Trauer kämpfen lassen. Wie hatte sie das nur antun können? Und jetzt konfrontierte sie mich mit diesem neuen Mann an ihrer Seite und erwartete, dass ich einfach so umschaltete von ‚Mein Leben wird sich grundlegend ändern‘ zu ,Hi, ich bin Elisa, lass uns Freunde sein‘. Was dachte sie sich nur?

Aber ich verkniff es mir. Zwar war ich sauer und eigentlich hatten wir andere Probleme, aber dieses Abendessen war ihr sehr wichtig. Und jetzt war es sowieso zu spät – wir konnten Erik und seinen geheimnisvollen Sohn ja kaum vor der Tür stehen lassen.

„Ich lasse unseren Besuch rein, okay?“

„Wirklich?“

Ich nickte und sie rannte ins Schlafzimmer, um sich schick zu machen.

Als ich die Tür öffnete, traf mich fast der Schlag. Dort stand Erik – und noch jemand. Das konnte jetzt nicht wahr sein! Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss, denn Kris lächelte mir entgegen. Der Kris, der mich in der Schule und im Sprachkurs so oft zur Weißglut getrieben hatte, und für den ich ziemlich widersprüchliche Gefühle hegte. Ich hätte es mir denken können, so überraschend, wie er in mein Leben eingebrochen war. Genauso überraschend wie Erik.

„Guten Abend, Elisa.“ Erik nahm meine Hand und deutete eine Verbeugung an. Jetzt leuchtete mein Gesicht wahrscheinlich endgültig wie eine reife Tomate.

„Hallo Elisa“, sagte Kris locker und musterte mich grinsend von oben nach unten.

Da fiel mir erst auf, dass ich zwar eine Jeans anhatte, aber noch mein Schlafshirt trug, das mir fast bis zu den Knien reichte. Es war hellgrün und über dem kleinen Baum, der ungefähr dort herausstach, wo mein Bauch war, stand in Schnörkelschrift „Save the forest“.

„Schick ist aber was anderes“, meinte Kris.

Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. Erik warf seinem Sohn einen strafenden Blick zu. Anscheinend war ihm der Kommentar unangenehm.

„Ich meinte ja nur, dass man sich für einen Kennenlernbesuch eigentlich ein bisschen aufbrezelt.“ Er nahm die Schultern zurück, wodurch seine muskulöse Brust noch breiter erschien. „So wie ich.“

Er trug ein türkisfarbenes Hemd über seiner dunkelblauen Jeans, die wie angegossen saß. Die frische Farbe betonte das helle Blau in seinen graublauen Augen. Ich musste zugeben, dass mir gefiel, was ich da sah. Doch seine beleidigenden Bemerkungen und der arrogante Ausdruck in seinem Gesicht machten das alles in Sekundenbruchteilen zunichte. Ich kochte innerlich.

Aber mehr als über Kris ärgerte ich mich über mich selbst. Hätte ich nicht vergessen, mich ordentlich anzuziehen, wäre mir dieser peinliche Moment erspart geblieben. Mit zusammengepressten Lippen atmete ich tief aus, ehe ich gezwungen lächelnd in Eriks Richtung sagte: „Kommen Sie doch herein.“

„Du kannst ruhig Erik und du sagen, Elisa“, meinte er überaus freundlich. „Wir werden uns ja sicher noch häufiger sehen.“

Super, darauf ich freute mich jetzt schon. Ich biss meine Zähne aufeinander. Diese zweifelhafte Freude war umso größer, weil die Chancen recht gut standen, dass ich auch Kris nun außerhalb von Schule und Volkshochschule treffen musste.

Als die beiden in den Flur traten, kam Sara dazu, nun fertig aufgebrezelt, um mit Kris’ Worten zu sprechen. Wie sie so dezent geschminkt, mit hochgesteckten Haaren und einem sportlich eleganten Kleid dastand, sah sie aus wie ein Model. Erik verschlang sie beinahe mit seinen meerblauen Augen. Er küsste ihr förmlich die Hand und gab ihr dann einen leidenschaftlichen Kuss auf den Mund.

In mir schrie es auf. Das war ja ekelhaft und total peinlich. Ich spähte verstohlen zu Kris, dem es offenbar ähnlich ging. Er stand mit geneigtem Kopf und den Händen in den Hosentaschen da und sein Gesicht sprach Bände. Das machte ihn mir ein wenig sympathischer.

Ich räusperte mich und als mich Sara aus den Augenwinkeln heraus ansah, zerrte ich demonstrativ an meinem Schlafshirt. Sie blinzelte kurz, als hätte sie mich verstanden. Ich musste mich umziehen, ehe von Kris noch mehr dämliche Kommentare zu meinem modischen Outfit kamen.

Da klingelte es erneut.

„Das wird das Essen sein“, sagte Erik.

Ich lief in mein Zimmer, die drei würden sicher auch ohne mich klarkommen. Eilig zerrte ich eine zimtfarbene Bluse aus dem Schrank, der nicht übermäßig bestückt war, und schlüpfte hinein. Es war eines der wenigen Teile, die ich mir gekauft hatte, als mich Sara mal auf eine Shoppingtour mitgeschleppt hatte. Sie hatte darauf bestanden und mir gefiel sie auch ganz gut. Den Pferdeschwanz band ich neu hoch, ehe ich wieder zurückging. Das musste an Styling reichen.

Der Esstisch, an dem ich auf meinem Weg vorbeikam, war brechend voll mit Schüsseln und Platten voller Essen. Das würde sicher für eine ganze Woche reichen.

„Sieht schon besser aus.“ Kris grinste, als ich in die Stube kam.

Volltrottel, betitelte ich ihn im Stillen und setzte mich auf den freien Sessel in der Nähe der Couch.

„Die Farbe steht dir ausgesprochen gut, Elisa.“ Erik nickte wohlwollend. Obwohl sich das besser anhörte, als die arrogante Bemerkung von Kris, fühlte es sich unangenehm an.

„Danke“, sagte ich knapp und schaute peinlich berührt zu Boden. Wenn das so weiterging, brauchte ich nach diesem Abend eine Woche Urlaub. Hoffentlich ging das Essen schnell rum. Ich hatte sowieso nicht den Nerv dafür. Eigentlich wollte ich mich darum kümmern, wie wir nach Volda kamen, doch das musste im Moment leider warten. Ich zappelte nervös mit dem rechten Bein, wobei meine Gedanken um alle Möglichkeiten kreisten, wie wir dorthin gelangen konnten.

„… ist wirklich überaus erschütternd, was im Moment passiert. Findest du nicht auch, Elisa?“, sagte Erik und riss mich aus meinen Gedanken.

„Was? Ach so, die Katastrophen. Ja, das ist furchtbar“, sagte ich geistesgegenwärtig. „So viel Zerstörung und Leid auf der ganzen Welt.“

„Wenn man dem nur Einhalt gebieten könnte.“ Er schüttelte ratlos den Kopf. „Aber offenbar kann man absolut nichts dagegen tun.“ Erik nahm Saras Hand, die neben ihm auf der Couch saß, und blickte ihr tief in die Augen. Sofort lief sie rot an. Es war total peinlich, sie so zu sehen. Ich musste mich ablenken.

Da fiel mir der Traum wieder ein. Wenn Erik wüsste, dass ich der einzige Mensch auf der Welt war, der diese Katastrophe aufhalten konnte … wenn ich den Aussagen von Sara und meinen Eltern Glauben schenken durfte.

Wie auch immer das sein konnte …

Sara stand auf und wies auf den Esstisch. „Ich denke, wir essen erst einmal.“

Als sie an mir vorbeiging, schaute sie mich verträumt an, was bei mir ein kribbelndes Gefühl erzeugte und eine steile Falte auf meiner Stirn erscheinen ließ. Hatte sie vor lauter Erik vergessen, was wir vorhatten?

„Gute Idee“, sagte Kris und sprang auf. „Ich habe einen Bärenhunger, auch wenn die Welt gerade untergeht.“

Er fand das wohl witzig. Dieser Kerl war so etwas von unsensibel! Am liebsten hätte ich ihn vor die Tür gesetzt, aber damit hätte ich Sara blamiert. Erik schien der unpassende Kommentar seines Sohnes auch nicht zu gefallen, denn er sah ihn strafend an, woraufhin der sofort verstummte. Besser so. Mehr von diesen hirnlosen Bemerkungen hätte ich nicht ertragen.

Der Rest des Abends verlief recht ruhig, bis zu dem Moment, als Erik einen Anruf erhielt. Er entschuldigte sich und ging kurz in den Flur, um ihn entgegenzunehmen.

Kris kaute noch. Er schien tatsächlich einen Bärenhunger zu haben. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass so viel in einen Menschen hinein passte. Nur gut, dass Erik solche Mengen an Essen bestellt hatte.

„Das Hühnchen schmeckt total gut“, sagte Kris mit vollem Mund. „Kannst du so was auch kochen, Elisa?“

Ich kam mal wieder nicht zum Antworten, denn er plapperte schon weiter. Anscheinend war er viel gesprächiger, wenn sein Vater nicht dabei war.

„Dann könnte ich ja öfter mal zum Essen vorbei kommen. Bei uns gibt es abends meistens etwas aus irgendeinem teuren Restaurant, aber Selbstgekochtes schmeckt bestimmt noch besser.“ Er verschluckte sich beim Sprechen, wodurch sein Gequassel endlich unterbrochen wurde.

„Nein, ich koche nicht“, sagte ich genervt. „Da musst du wohl weiter Geld ausgeben in den teuren Restaurants. Hier brauchst du jedenfalls nicht herzukommen.“

Saras Augen wurden vor Schreck ganz groß und sie stieß zornig mit ihrem Fuß an mein Schienbein. Sie wusste ja nicht, dass ich Kris kannte, und wunderte sich offensichtlich über mein Benehmen ihm gegenüber.

Kris stutzte einen Moment, ehe er achselzuckend meinte: „Na ja, dann eben nicht.“

Ein paar peinliche Augenblicke vergingen, ehe Erik wieder hereinkam und sich noch einmal für den Anruf entschuldigte. Er war der perfekte Gentleman.

„Es tut mir sehr leid, aber wir können nicht bleiben“, meinte er dann zu Sara. „Es hat sich Zuhause bei der Familie etwas Besorgniserregendes ereignet und ich muss dringend weg.“ Er nickte Kris zu. „Henrik hat angerufen.“

Kris sprang auf.

„Was ist denn los?“, fragte Sara erschrocken, die offenbar wusste, wer Henrik war.

„Es hat eine riesige Flutwelle gegeben und die ganzen Lagerräume der Firma stehen unter Wasser. Aber das ist nicht das Schlimmste.“ Seine Augen schimmerten feucht. „Henrik hat gesagt, dass mein Vater seit ein paar Stunden vermisst wird. Sie haben ihn überall gesucht, aber bisher nicht gefunden.“

„Opa?“ Kris wurde blass. „Wir müssen sofort hin und selbst nach ihm suchen.“

„Ja, das müssen wir. Und wir gehen jetzt gleich.“ Er trat zu Sara und küsste sie auf die Stirn.

„Ich hoffe, es geht alles gut und ihr kommt gesund wieder.“ Noch als sie das sagte, stutzte sie kurz. „Wartet, wie wollt ihr denn dorthin kommen? Der Flug- und der Schiffsverkehr nach Norwegen sind schon seit ein paar Stunden eingestellt.“ Hatte ich gerade richtig gehört? Hatte Sara Norwegen gesagt? Da drehte sie sich auch schon zu mir um. „Erik spricht von der Firma seines Vaters in Alesund. Das liegt am Geirangerfjord.“ Sie zwinkerte mir aufgeregt zu.

„Wir nehmen die Jacht“, sagte Erik. „Sie liegt in Bremerhaven und wir können in ein paar Stunden mit dem Auto dort sein.“ Er lief Richtung Haustür. „Komm, Kris.“

„Können wir mitkommen?“, rief Sara ihm hinterher. „Bitte, es ist wichtig“, fügte sie hinzu, als Erik sie erstaunt ansah.

„Wegen dem, was du mir erzählt hast?“, fragte er und Sara nickte betreten. Es war ihr offenbar unangenehm, dass er das vor mir erwähnte.

Ich brauchte einen Moment, bis ich erfasste, was ich gehört hatte. Wusste Erik etwa von der Sache mit meinen Eltern? Das war nun wirklich ungeheuerlich! Es ging ihn doch überhaupt nichts an! Wann hatte Sara ihm davon erzählt und warum? Ich musste mich am Tisch festhalten, weil ich das Gefühl hatte, dass mir die Beine wegknickten.

„Gut.“ Er nickte Sara zu. „Aber dann müsst ihr sofort mitkommen. Packt nur die nötigsten Sachen zusammen, alles andere lasse ich auf die Jacht bringen.“

Sara sprintete los und zog mich mit in ihr Schlafzimmer. Ich hörte noch, wie Erik mit jemandem telefonierte und ihm sagte, dass er die Jacht zum Ablegen bereit machen sollte. Sara tauschte ihr Kleid gegen Hose und Pullover und schmiss ein paar Sachen von sich in einen Trolley. Dann zerrte sie mich in mein Zimmer. Dort fand ich endlich meine Stimme wieder.

„Was soll das?“, schrie ich sie an. „Wieso hast du Erik von Norwegen erzählt und was geht ihn das überhaupt an?“

„Ich habe ihm nur gesagt, dass wir bald dorthin fahren. Ich musste ihm doch Bescheid geben, dass ich dann nicht zur Arbeit komme.“ „Und weiß er, was wir dort wollen?“, fragte ich aufgebracht. Ihr Blick verriet mir, dass es nicht alles war, was er wusste.

„Ich habe ihm nur gesagt, dass verschollene Verwandte von dir aufgetaucht sind und dass wir dringend nach Norwegen müssen.“ Sie nahm meine Hand, um mich zu beruhigen, aber ich zog sie weg. „Es ist nur ein Zufall, dass er gerade jetzt nach Alesund muss, und noch dazu ein Guter. So kommen wir wenigstens nach Volda, denn Alesund ist nicht sehr weit. Das ist doch die Gelegenheit.“

Ich schwankte zwischen Wutausbruch und Freude. Aus irgendeinem Grund glaubte ich ihr nicht, dass Erik nicht mehr wusste, als sie mir gesagt hatte. Andererseits war es die einzige Chance, unter den jetzigen Umständen zu meinen Eltern zu kommen.

„Los, Eli, wir müssen uns beeilen.“

Sie zog ein paar Sachen aus meinem Schrank und packte sie schnell in den Trolley, ehe sie ihn verschloss. Ich hatte keine Wahl. Ich musste mitmachen, wenn ich nach Volda wollte. Und das wollte ich unbedingt.

Die Gilde der Iris

Подняться наверх