Читать книгу Die Gilde der Iris - Sylvani Barthur - Страница 15

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KAPITEL 7

Den Sprachkurs brachte ich mehr schlecht als recht hinter mich, denn ich konnte mich nicht konzentrieren. Aber auch die anderen waren kaum bei der Sache. Es war viel zu schlimm, was gerade alles passierte, und wir redeten fast die halbe Unterrichtsstunde darüber.

Kris war das nicht besonders wichtig, so schien es zumindest. Er quatschte mich ständig von der Seite mit irgendwelchen belanglosen Dingen voll, die mich nicht im mindesten interessierten, und fragte alles Mögliche, worauf ich kaum reagierte. Doch er schien unerschütterlich in seinen Bemühungen, Antworten zu bekommen.

Ich war unheimlich froh, als der Kurs zu Ende war. Gelernt hatte ich heute absolut gar nichts. Die Stunde hätte ich mir sparen können.

Als ich nach Hause kam, erwartete mich Sara mit einer Nachricht, die so ziemlich das Letzte war, womit ich gerechnet hatte: Für morgen hatte sie Erik zum Abendessen eingeladen. Und ich sollte dabei sein. Juhu …

Das Tempo, das sie bei ihrer neuen Beziehung vorlegte, fand ich echt rasant. Vielleicht lag es daran, dass es ihre erste Beziehung war, seit ich bei ihr lebte – jedenfalls hatte ich bisher nie etwas von einem Mann an ihrer Seite mitbekommen.

„Erik hat den Vorschlag gemacht, damit wir uns alle besser kennenlernen“, erklärte sie mir. „Und er hat darauf bestanden, das Essen mitzubringen.“

Aha, also gab in Wahrheit er das Tempo vor. Das passte zu ihm, soweit ich ihn einschätzen konnte. Uns alle besser kennenlernen, das klang nach heiler Familie – ein schrecklicher Gedanke für mich. Ich bekam innerlich eine Gänsehaut.

„Ah, wie nobel“, sagte ich abwertend. „Und bringt er was vom Chinesen mit?“

„Wo denkst du hin? Er lässt es vom San Antonio bringen. Dem Restaurant, in dem wir neulich essen waren … ähm, das Meeting hatten, meine ich.“

Das hätte ich mir wohl denken können. Er war sicher nicht gerade arm, immerhin besaß er eine erfolgreiche Im- und Export-Firma, die er erst kürzlich einfach so gekauft hatte. Er würde sich bestimmt nicht lumpen lassen bei so einer Gelegenheit.

„Und er bringt seinen Sohn mit“, sagte Sara.

Jetzt klappte mir doch die Kinnlade herunter. Also wirklich eine Familienzusammenführung? Bei diesem Thema stellten sich mir die Nackenhaare auf; ich fühlte mich wie kurz vor dem Ausrasten. Ich wollte das nicht, Punkt.

„Morgen Abend passt mir aber überhaupt nicht“, sagte ich mit einem Anflug von Trotz.

„Wieso?“ Ein ärgerlicher und zugleich erstaunter Ausdruck erschien in ihrem Gesicht. „Wir haben doch gar nichts vor.“

„Aber ich“, blaffte ich zurück. „Ich wollte mich mit jemandem aus meiner Klasse zum Lernen treffen.“

Sara legte den Kopf schief und eine Doppelfalte bildete sich über ihrer Nase. „Mit wem denn?“, fragte sie ungläubig. „Seit wann hast du denn Freunde in deiner Klasse?“

„Ist ja auch nicht direkt eine Freundin“, redete ich mich heraus. Sie wusste schließlich, wie ich zu meinen Mitschülern stand. „Aber Anne ist ein Mathe-Ass und sie wollte mir bei einer Sache helfen, die ich nicht so richtig kapiere.“ Ich versuchte, überzeugend zu klingen. „Ich habe ihr schon ein paar Mal in Bio geholfen. Vielleicht macht sie es deshalb.“ Ich zuckte mit den Schultern.

Sara legte mit einem Mal eine Bestimmtheit an den Tag wie sonst nie. „Das musst du dann wohl verschieben, Elisa. Es ist mir sehr wichtig, dass du morgen Abend dabei bist. Mit Anne kannst du auch übermorgen noch lernen. Und ich möchte jetzt nicht mehr darüber diskutieren.“

Diesen Ton kannte ich nur zu gut und ich wusste, dass ich aus der Nummer nicht mehr herauskam. Ich gab klein bei, obwohl ich innerlich fast platzte.

Wir redeten an diesem Abend nur noch das Nötigste und ich ging früh schlafen. Allerdings brauchte ich lange, um zur Ruhe zu kommen. In meinem Kopf rumorte unaufhörlich das Gespräch mit Sara und ich war immer noch wütend.

Würde ich womöglich einen neuen Vater bekommen und noch dazu einen, den ich jetzt schon nicht leiden konnte? Bei dem Gedanken daran schoss mir urplötzlich das Bild von meinem angeblich leiblichen Vater aus den Albträumen in den Kopf. Auch wenn ich nicht glaubte, dass irgendetwas davon stimmte, hatte ich ein ganz anderes Gefühl dabei, sein Bild vor mir zu sehen. Es fühlte sich gut an, irgendwie echt, obwohl ich keine Ahnung hatte, wieso.

Ich spürte, wie ich bei diesen Gedanken ruhiger wurde. Vielleicht war ja doch etwas Wahres dran? Kurz bevor mich der Schlaf übermannte, nahm ich mir vor, nicht wegzulaufen wie sonst, falls der Traum wiederkommen sollte. Vorausgesetzt, dass ich es beeinflussen konnte.

Und er kam wieder, der Traum. Alles war genauso wie bei den vielen Malen zuvor. Bis auf das Ende: Als ich in der Höhle stand und die beiden mich anflehten, ihnen zu glauben, lief ich nicht davon, sondern blieb stehen und hörte ihnen zu.

„Ich sehe, du bist bereit, Elisa“, sagte mein Vater und lächelte.

„Endlich, Schatz.“ Meine Mutter atmete hörbar auf. „Komm, setz dich zu uns. Wir können dir nun alles sagen, was du wissen musst.“

Auf einmal befanden wir uns in einem anderen Teil der Höhle, in dessen Mitte ein gemütliches Lagerfeuer brannte. Wir setzten uns an einen Tisch, der in der Nähe stand und ich konnte die Wärme spüren, die von den gelb und orange lodernden Flammen ausging. Jetzt stellte ich nicht mehr infrage, dass sie meine leiblichen Eltern waren. Auf eine beruhigende Art und Weise wusste ich einfach, dass es stimmte.

„Es ist so weit, die Katastrophen auf der Welt haben begonnen“, sagte mein Vater.

Ich nickte. „Ja, es ist schlimm. Überall an den Küsten gibt es Überflutungen und Zerstörung und die Polkappen schmelzen weiter. Es sind schon viele Menschen umgekommen.“ Darüber hatte es in den vergangenen Tagen in den Medien viele Berichte gegeben und ich fand es schrecklich und total beängstigend.

„Es wird noch schlimmer werden, aber du kannst helfen, Eli“, sagte meine Mutter.

„Wie denn?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich kann nur ein bisschen Norwegisch und ich kann Bäume ziehen. Andere Fähigkeiten habe ich nicht. Und ich wüsste nicht, wie das helfen könnte.“

„Du kannst viel mehr, als du denkst. Das musst du uns glauben. Wir wissen das, wir sind deine Eltern.“ Mein Vater schaute mir eindringlich in die Augen.

„Aber wo wart ihr denn die ganze Zeit und wieso bin ich bei einer Adoptivmutter aufgewachsen?“ Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen traten. Ich war traurig und gleichzeitig wütend. „Das kann ich einfach nicht begreifen.“

„Auch wenn sich das jetzt abgedroschen anhört, es ist kompliziert“, sagte meine Mutter. „Wir haben das alles nur zu deinem Schutz getan, mein Schatz. Es gibt abgrundtief böse Menschen, die uns und dich benutzen und umbringen wollen, wenn wir ihnen nicht helfen.“

Ich schluckte. Das klang tatsächlich wie eine Phrase, aber gleichzeitig auch beängstigend. Wer sollte mich denn umbringen wollen und warum?

„Wir können dir jetzt nicht alles sagen, es ist einfach zu wenig Zeit“, sagte mein Vater. „Aber du musst wissen, dass du der einzige Mensch auf der Welt bist, der diese Katastrophen beenden kann.“

„Ich spüre etwas, das uns stört.“ Meine Mutter drehte sich mit ausgestreckten Händen auf dem Stuhl nach rechts und links. Sie klang besorgt. „Wir müssen uns beeilen, Joon, die Verbindung könnte gleich abbrechen.“

Er schien erschrocken. „Du musst unbedingt zu uns kommen, Elisa. So schnell wie möglich.“

„Sag Sara alles, was wir dir gesagt haben. Sie weiß Bescheid. Sag ihr, dass ihr nach Volda kommen müsst. Wir lieben dich, Schatz …“

Das Bild der beiden verblasste und ihre Umrisse verschwanden. „Wartet!“, rief ich noch, konnte aber nichts ausrichten. Meine Eltern waren weg.

In meinem Kopf dröhnte es, als würde direkt neben mir ein Lastwagen angelassen und mir wurde schwindelig. Ich sollte zu ihnen kommen. Hieß das etwa, dass sie noch lebten?

Mit einem Mal schlugen die Flammen raumhoch, die eben noch gemütlich knisternd gezüngelt hatten. Wie aus dem Nichts wallte rötlicher Nebel auf und der widerliche Geruch drang wieder in meine Nase. Ich sprang vom Stuhl auf und ging rückwärts, bis ich mit dem Rücken an einen Felsvorsprung stieß, hinter den ich mich duckte.

Die verzerrten, knarrenden Stimmen, die ich vernahm, kannte ich schon aus früheren Träumen und nun sah ich die Silhouetten mehrerer Wesen, die sie ausstießen. Eine davon war sehr groß, die hatte ich bereits gesehen, und bei ihr waren ein paar Kleinere, deren Umrisse seltsam anmuteten, und mir angst machten. Sie hatten mich zum Glück nicht entdeckt und ich verhielt mich ruhig, auch wenn ich am ganzen Körper vor der Kälte zitterte, die sich mit dem Erscheinen der Gestalten im Raum ausgebreitet hatte. Mir wurde noch kälter, als der herb süßliche Geruch sich verstärkte.

Sie sprachen miteinander und ich verstand zuerst gar nichts. Das Schnarren der kleineren Gestalten konnte ich nicht deuten, doch dann hörte ich wieder ein paar zusammenhanglose Worte, die von dem großen Wesen kamen.

„… bin ganz nah dran … bald so weit …“

Dann übernahmen wieder die anderen Stimmen.

„… werden mich hinführen … Aufgabe erfüllen … Herrscher ausrichten.“

Die große verbeugte sich vor den kleineren Nebelgestalten. Ein lautes Schnarren folgte, und obwohl ich nichts verstand, hatte ich den Eindruck, einen Befehlston herauszuhören.

Die große Gestalt zuckte zusammen. „… halte … Versprechen … in den Tod.“ Sie schlug sich vor die Brust und verneigte sich nochmals tief.

Das war alles. Der Spuk verschwand und ich saß wieder aufrecht in meinem Bett. Mir war eiskalt, aber mir stand der Schweiß auf der Stirn.

Laut Wecker war es halb drei und stockdunkel draußen. Total aufgelöst wischte ich mir den Schweiß ab und ließ mich wieder ins Kissen sinken. Ich zitterte nach wie vor und versuchte, mich zu beruhigen, indem ich gleichmäßig ein- und ausatmete. Es half ein wenig, doch in meinem Kopf herrschte Chaos und in meiner Nase hing immer noch ein schwacher Fetzen des abstoßenden Geruchs aus der nebligen Höhle.

Auch wenn es ziemlich abgefahren klang, spürte ich in meinem Innersten, dass der Traum real war und meine Eltern lebten. Sie wollten, dass ich zu ihnen kam, und das würde ich auf jeden Fall tun. Ich würde endlich meine Wurzeln ergründen können – das, was mich ausmachte.

Die beiden hatten gesagt, dass ich die Welt retten sollte. Das verstand ich nicht und es war mir im Moment auch herzlich egal. Hauptsache, ich fand sie und konnte bei ihnen sein. Die Gefühle übermannten mich und mir liefen Tränen über die Wangen. Ich schluchzte laut in mein Kissen, bis ich völlig erschöpft wieder einschlief.

Die Gilde der Iris

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